Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht bei einem unter Legasthenie leidenden Schüler. Nachhilfeunterricht als Teilhabeleistung. Eignung der Nachhilfe als Teilhabeleistung bei ausbleibender Verbesserung der schulischen Noten

 

Orientierungssatz

1. Leistungen zur Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB 2 können minderjährigen Grundsicherungsempfängern auch dann gewährt werden, wenn eine nicht nur vorübergehende Lernschwäche behoben werden soll, sondern eine Teilleistungsstörung (hier: Legasthenie) durch einen längerfristigen Prozess in Form von Nachhilfe gelindert und der schulische Erfolg dadurch erhöht werden soll. Insbesondere schließt dabei die Regelung zu Eingliederungsleistungen für Behinderte in §§ 53, 54 SGB 12 die Zuerkennung von Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB 2 nicht aus. In Abgrenzung der jeweiligen Förderleistungen kommen Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 2 SGB 2 dabei immer dann in Betracht, soweit es um reine Lernförderleistungen ohne einen therapeutischen Ansatz geht.

2. Die Eignung eines Nachhilfeunterrichts entfällt nicht deshalb, weil sich über einen bestimmten Zeitraum keine Verbesserung der Note im jeweiligen Fach einstellt, da der Erfolg der Nachhilfe auch darin bestehen kann, einer Verschlechterung der Note entgegen zu wirken bzw. ein bestimmtes ausreichendes Leistungsniveau zu erreichen.

3. Einzelfall zur Zuerkennung von Teilhabeleistungen durch Kostenübernahme für Nachhilfeunterricht eines an Legasthenie leidenden Schülers (hier bejaht).

 

Tenor

Der Bescheid vom 22.10.2012 in Gestalt des Bescheides vom 10.12.2012 und des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2012 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Teilnahme am Nachhilfeunterricht im Fach Englisch für den Zeitraum vom 10.09.2012 bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013 insgesamt 180,-- € und für das Schuljahr 2013/2014 bis zum Abschluss der schriftlichen Prüfungen mit Ausnahme der Schulferien in Höhe von wöchentlich 5,-- € zu zahlen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch.

Der am 19.02.1997 geborene Kläger bezieht zusammen mit seiner Mutter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II). Sein Vater erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Derzeit besucht der Kläger die 10. Klasse der Realschule G.. Er leidet an ADHS und Legasthenie. Vom 07.01.2008 bis 08.05.2012 nahm er an einer Legasthenietherapie bei einer Dyslexietherapeutin teil. Finanziert wurde die Therapie durch die V. Stiftung. Während der Therapie begann er die Medikation mit Ritalin, die er gegenwärtig noch fortsetzt.

Bereits im Mai und Juni 2011 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch. Dieses lehnte der Beklagte zunächst ab. Es schloss sich ein Rechtsstreit beim Sozialgericht Braunschweig an (Az. S 74 AS 2720/11). Im Rahmen dieses Verfahren schlossen die Beteiligten am 03.02.2012 einen Vergleich. Der Beklagte verpflichtete sich ab dem 01.02.2012 bis zum Ende des Schuljahres 2011/2012 die Kosten für die Nachhilfe im Fach Englisch in Höhe von monatlich 28,00 € zu übernehmen. Dabei schloss sich der Beklagte der Auffassung des Gerichts an, das Leistungsdefizit des Klägers beruhe nur noch darauf, dass der Kläger durch die jahrelange Legasthenie sprachlich noch etwas zurückfalle, dieses aber behoben werden könne durch Unterstützung der Eltern in Deutsch und durch eine Nachhilfekraft im Fach Englisch.

Im Abschlussbericht über die Legasthenietherapie vom 03.06.2012 führt die Therapeutin aus, der Kläger erreiche eine Rechtsschreibleistung im Durchschnittsbereich, bei der Leseleistung liege er bei der Lesezeit im durchschnittlichen bis gut durchschnittlichen Bereich, bzgl. der Lesefehler erreiche er gut durchschnittliche bis überdurchschnittliche Leistungen. Eine erneute Intelligenztestung habe ergebe, dass der Kläger deutlich besser in der Lage sei, sein Potential zu entfalten. Die Therapeutin geht davon aus, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr von einer seelischen Behinderung aufgrund seiner Legasthenie bedroht sei. Aufgrund des systematischen Rechtsschreibaufbaus und der guten Leseentwicklung könne er seinen schulischen und beruflichen Werdegang “sicher meistern„. Sie beschreibt ihn als ehrgeizig und zuverlässig und kontinuierlich bereit, sich den Aufgaben zu stellen.

Am 10.09.2012 beantragte der Kläger bei dem Beklagten erneut die Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Nachhilfeunterricht im Fach Englisch, erteilt von einer älteren Schülerin in Höhe von 10 €/Stunde für eine Stunde wöchentlich.

Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.10.2012 ab, da es sich nicht um ein vorübergehendes Lerndefizit des Klägers handele. Nachdem der Beklagte die Kostenübernahme abgelehnte hatte, erklärte sich die ältere Schülerin bereit, dem Kläger für 5 €/Stunde...

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