Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungen für Bildung und Teilhabe. Anrechnung des Regelbedarfsanteils für Verkehr auf den Schülerbeförderungsbedarf

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Regelbedarfsanteile für den Schülerbeförderungsbedarf eingesetzt werden müssen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Bemessung eines Schülerbeförderungsbedarfs nach § 28 Abs. 4 SGB II.

Der im Juli 1997 geb. Kläger leidet u. a. an einer Asthmaerkrankung. Er lebt mit seiner 1998 geb. Schwester, seiner Mutter und deren Partner im gemeinsamen Haushalt. Die Familie bezieht Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II.

Im Mai 2011 beantragte die Mutter des Klägers für beide Kinder einen Zuschuss zu den Beförderungskosten zur Schule. Die Kinder nutzen für den 2,5 km (Kläger) und 2,4 km (Schwester) langen Schulweg öffentliche Verkehrsmittel. Die Kosten werden mit einem monatlich erworbenen Schüler- und Geschwisterticket (15 €) bestritten.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass bei einem Schulweg von weniger als drei Kilometern kein Bedarf für eine Beförderung bestehe (Bescheid vom 3.8.2011).

Der Kläger erhob Widerspruch, mit dem er eine notwendige Beförderung wegen seiner Asthmaerkrankung geltend machte. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung zur Beurlaubung vom Schulsport.

Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück; die Schulsportbefreiung besage nicht, dass dem Kläger die Bewältigung des Schulwegs in normalem Gehtempo nicht möglich sei (Widerspruchsbescheid vom 28.12.2011).

Hiergegen richtet sich die am 12. Januar 2012 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage, in deren Verlauf ein ärztliches Attest eingereicht wurde, das den Beklagten zu einer Anerkennung des Schulbeförderungsbedarfs in Höhe der Kosten für eine Geschwister-Monatskarte im Jahres-Abo (160 € : 12 = 13,33 €) veranlasste. In Anwendung der “Ausführungsvorschriften über die Gewährung der Leistungen für Bildung und Teilhabe„ vom 6.12.2011 rechnete der Beklagte einen Betrag von 12,08 €, der für Verkehr im Regelbedarf enthalten sei, auf die 13,33 € an (Bescheid vom 9.2.2012).

Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Verkürzung des Schülerbedarfs um reguläre Regelbedarfsanteile für Verkehr jedenfalls nicht in vollem Umfang dieses Bedarfsanteils rechtens sei.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß,

den Bescheid 9.2.2012 dahingehend abzuändern, dass die Schülerbeförderungskosten in Höhe des Monatspreises für ein Geschwisterticket (15 €) anerkannt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Einsatz des Regelbedarfs für Verkehr sei wegen der Verwendung des Tickets für Fahrten außerhalb der Schulbeförderung zumutbar. Mit Ansatz von 12,08 € statt richtig 14,08 € für den Verkehrsanteil im Regelbedarf sei der Kläger mit dem Bescheid vom 9.2.2012 sogar überzahlt worden.

Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewech-selten Schriftsätze sowie die beigezogenen Leistungsakten verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im Ergebnis nicht begründet.

Im konkreten Einzelfall ist die volle Anrechnung des Regelbedarfsanteils für Verkehr auf den Schülerbeförderungsbedarf nicht zu beanstanden. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 RBEG beträgt der anrechenbare Anteil im hier streitigen Zeitraum Januar bis Juni 2011 12,62 €, so dass der Kläger mit den angerechneten 12,08 € nicht beschwert ist.

In Umsetzung des BVerfG-Urteils vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 hat der Gesetzgeber für Kinder und Jugendliche besondere Bedarfe nach § 28 SGB II als existenznotwendige Leistungen zusätzlich zum Regelbedarf nach §§ 20, 23 SGB II geschaffen. Zugleich hat er die Grund-konzeption, die Regelbedarfe im SGB II abweichend von § 27a Abs. 4 SGB XII als strikte Pauschalen zu gewähren, unangetastet gelassen.

Es wäre daher unzulässig, die Bedarfe nach §§ 20, 23 SGB II unter dem Gesichtspunkt ersparter Aufwendungen infolge der Anerkennung von § 28-Bedarfen zu kürzen.

Der Gesetzgeber hat aus diesem Grund den Weg gewählt, die Bedarfe nach § 28 SGB II zu kürzen, sofern sie Überschneidungen mit Regelbedarfsanteilen aufweisen, wie z. B. bei der Mittagsverpflegung nach § 28 Abs. 6 SGB II (§ 5a Abs. 3 Alg II-VO).

Bei der Schülerbeförderung hat der Gesetzgeber für eine mögliche Kürzung des Bildungsbe-darfs den problematischen Begriff des “zumutbaren„ Einsatzes von Regelbedarfsanteilen zur (teilweisen) Eigendeckung des § 28 Abs. 4-Bedarfs gewählt.

Um einer letztlich willkürlichen Bestimmung dessen, was zumutbar ist, zu entgehen (dazu etwa SG Chemnitz vom 30.3.2012 - S 22 AS 5853/11 mit spekulativen Mutmaßungen über das Mobilitätsverhalten in bestimmten Altersgruppen), muss die Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II eng und in Anlehnung an § 5a Abs. 3 Alg II-VO ausgelegt werden. Danach sind Abzüge in der Regel nur soweit zulässig, als konkret nachgewiesen werden kann, in welcher H...

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