rechtskräftig: ja

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abwehrgrundrecht. Abwendung wesentlicher Nachteile. Anordnungsgrund. Beitragssatzsenkung. Beiträge. Bundesversicherungsamt. Effektiver Rechtsschutz. Einstweilige Anordnung. Genehmigung. Gesetzliche Krankenkasse. Grundrechtsträger. Mittelbare Staatsgewalt. Öffentliche Gewalt. Rechtsschutzgarantie. Wettbewerb

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine gesetzliche Krankenkasse übt mittelbare Staatsgewalt als deren organisatorisch verselbständigter Teil aus. Sie ist der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zugehörig und kann sich deshalb grundsätzlich nicht auf die Rechtsweggarantie dieser Vorschrift berufen.

2. Begehrt eine gesetzliche Krankenkasse zur Durchsetzung einer beschlossenen Beitragssatzsenkung gegenüber dem die Genehmigung versagenden Bundesversicherungsamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, so fehlt diesem Antrag in der Regel der Anordnungsgrund. Der Ablehnung des Antrags steht dann auch nicht entgegen, dass ein Anordnungsanspruch möglicherweise zu bejahen ist.

3. Ein Anordnungsgrund kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Krankenkasse geltend macht, die Beitragssatzsenkung sei im Interesse der Beitragszahler erforderlich.

4. Wird eine Krankenkasse bei einem Rechtsstreit um eine nicht genehmigte Senkung der Beiträge um – auf das Jahr bezogen – 0.1 % zur rechtlichen Überprüfung des Versagungsbescheides auf das Hauptsacheverfahren verwiesen, so entstehen ihr auch dann, wenn letzteres erst in mehreren Jahren abschließend – auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage – entschieden wird, keine – für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche – schweren und unzumutbaren Nachteile.

5. Die Aussicht, nach der beabsichtigten Beitragssatzsenkung zu den bundesweit günstigsten gesetzlichen Krankenkasse zu gehören, kann auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten nicht zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen.

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4 S. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2; SGB V § 195 Abs. 1, § 220 Abs. 1, 3, §§ 241a, 260-261

 

Verfahrensgang

SG Kiel (Beschluss vom 08.07.2005; Aktenzeichen S 9 KR 33/05 ER)

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juli 2005 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beschwerdegegnerin.

Der Streitwert wird auf 1.250.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juli 2005, mit dem sie im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet wird, eine die Herabsetzung der Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung betreffende Satzungsänderung der Beschwerdegegnerin zu genehmigen.

Die Beschwerdegegnerin wurde von der Beschwerdeführerin durch Genehmigungsbescheid vom 16. Januar 2003 mit Wirkung vom 1. Februar 2003 als neue, mittlerweile bundesweit geöffnete Innungskrankenkasse errichtet. Sie hat ihren Sitz in Kiel und arbeitet überwiegend online, also über das Internet. Bei der Eröffnung der Beschwerdegegnerin betrug der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung 12,9 %, der erhöhte 16,0 % und der ermäßigte 11,7 %. Eine bereits im Juni 2003 beschlossene Senkung des Beitragssatzes wurde von der Beschwerdeführerin nicht genehmigt. Das hiergegen eingeleitete einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht Kiel blieb für die Beschwerdegegnerin ohne Erfolg. Im Dezember 2003 beschloss der Verwaltungsrat der Beschwerdegegnerin eine Beitragssenkung von 12,9 % auf 11,9 %, von 16,0 % auf 15 % und von 11,7 % auf 10,7 %. Nachdem die Beschwerdeführerin auch diese Satzungsänderung nicht genehmigt hatte, erwirkte die Beschwerdegegnerin beim Sozialgericht Kiel im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes deren Verpflichtung zur Genehmigung. Auf die Beschwerde der Beschwerdegegnerin hob der beschließende Senat den genannten Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 22. Januar 2004 auf und wies den Antrag der Beschwerdegegnerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück (Beschluss vom 24. Februar 2004 – L 1 B 21/04 KR ER –).

Die durchschnittliche Mitgliederzahl der Beschwerdegegnerin betrug 2003 1.355, im Januar 2004 4.419, im Januar 2005 61.460 und im Mai 2005 81.498. Die Beschwerdegegnerin erwartet – als Folge der hier streitigen Beitragsreduzierung – für 2005 eine durchschnittliche Mitgliederzahl von 90.884 und für Dezember 2005 einen Mitgliederbestand von 120.273.

Im Zusammenhang mit der durch Gesetz vom 14. November 2003 in § 241 a Sozialgesetzbuch V (SGB V) vorgeschriebenen Beitragssenkung zum 1. Juli 2005 plante die Beschwerdegegnerin eine zusätzliche Beitragsherabsetzung. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2004 teilte ihr die Beschwerdeführerin mit, dass eine solche Beitragsreduzierung nicht genehmigungsfähig sei. Dieselbe Mitteilung erhielt die Beschwerdegegnerin von der Beschwerdeführerin am 6. Mai 2005, nachdem die Beschwerdegegnerin in einer Pressemitteilung angekündigt hatte, sie werde zum 1. Juli 2005 eine Bei...

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