Rz. 16

Ziel der Teilhabeleistungen ist es, den betroffenen Menschen möglichst auf Dauer in Arbeit, Beruf und vor allem Gesellschaft zu integrieren bzw. einzugliedern. Das durch § 4 Abs. 1 Nr. 4 angesprochene Ziel bezieht sich insbesondere auf die Leistungen zur sozialen Teilhabe und orientiert sich insbesondere an der Eingliederungshilfe i. S. d. § 53 SGB XII. Wie das Wort "insbesondere" in § 53 und 54 SGB XII zeigt, umfasst die Aufzählung der in Betracht kommenden Leistungen lediglich eine beispielhafte Aufzählung. Danach können auch andere, nicht ausdrücklich in § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII oder § 76 SGB IX genannte Maßnahmen in Betracht kommen, sofern sie geeignet und erforderlich sind, die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 27.8.2015, L 8 SO 177/15 B ER). Die Leistungen zur sozialen Teilhabe sind also individuell auf den Betroffenen auszurichten und bezüglich der Art, Weise und Form offen. Ein starres, festes Leistungsspektrum ist dem System der Leistungen zur sozialen Teilhabe fremd.

 

Rz. 16a

Der Begriff der in § 4 Abs. 1 Nr. 4 aufgeführten Gesellschaft ist weiter zu fassen als der Begriff der Gemeinschaft. Das Teilhabeziel spricht insbesondere die Stellung des Menschen in der Hierarchie an und geht über das Ziel der Ermöglichung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hinaus. Es fokussiert sich nicht nur auf das bloße "Mitleben" in einer Gemeinschaft, sondern z. B. auch auf die Stellung im gesellschaftlichen Leben und – sofern die Behinderung es zulässt – auf die Möglichkeit, auch gesellschaftlich geachtete Aufgaben übernehmen zu können. Nur dadurch kann der in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verankerte Anspruch, dass behinderte Menschen wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligt werden dürfen, erfüllt werden.

 

Rz. 16b

Die Teilnahme an der Gesellschaft bezieht sich insbesondere auch auf den Kontakt mit den Mitmenschen und der kulturellen Umwelt, insbesondere auch auf den Umgang mit nichtbehinderten Menschen (§§ 76 ff.). Für die Übernahme der Kosten ist entscheidend, ob die Maßnahme die Begegnung mit nichtbehinderten Menschen erkennbar fördert, und zwar nicht nur durch die Förderung von Kontakten zu nahestehenden Personen wie Familienangehörigen, Freunden und Bekannten, sondern darüber hinaus zu allen Personen, die aufgrund gemeinsamer Interessen und Bedürfnisse den behinderten Menschen helfen können, das Gefühl menschlicher Isolierung zu überwinden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.6.2010, L 9 SO 163/10; OVG Niedersachsen, Urteil v. 31.10.2002, 4 LB 286/02; LSG Thüringen, Urteil v. 23.5.2012, L 8 SO 640/09). Ziel ist es einerseits, dem Menschen, der aufgrund seiner Behinderung von (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt ist, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen, andererseits aber auch den Personen, die in die Gesellschaft integriert sind, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichnet, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten werden (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 17.12.2012, L 29 AL 337/09).

Die Nutzung des Internets stellt bei einem Blinden ein geeignetes Mittel dar, um dieses Teilhabeziel zu erreichen. Aufgrund dessen hat der Träger der Eingliederungshilfe (gemäß § 241 Abs. 8 BTHG bis 31.12.2019 an dessen Stelle der Sozialhilfeträger) für die Erlernung des Umgangs mit "social medias" (digitale Medien und Technologien, die es Nutzern ermöglichen, sich untereinander auszutauschen und mediale Inhalte einzeln oder in Gemeinschaft zu gestalten) auch die Kosten der Computerschulungen zu übernehmen (Bay. LSG, Urteil v. 16.5.2013, L 18 SO 6/12).

 

Rz. 16c

Auch die sonstigen Rehabilitationsträger des § 6 haben z. B. bei medizinischen Rehabilitationsleistungen (§ 42 Abs. 1) die Zielausrichtung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 insoweit zu beachten, als sie nach § 42 Abs. 3 bei Bedarf ein "erweitertes" Leistungsspektrum zur Verfügung zu stellen haben. Das gilt allerdings nur insoweit, solange die eigentliche "Hauptmaßnahme" – nämlich die medizinische Rehabilitation – im Vordergrund steht. Wechselt dagegen der Schwerpunkt der Leistungen von den medizinischen Rehabilitationsleistungen zu den Leistungen zur sozialen Teilhabe, findet ein Zuständigkeitswechsel beim Rehabilitationsträger statt (vgl. BSG, Urteil v. 26.6.2007, B 1 KR 36/06 R).

 

Rz. 16d

Durch das Übereinkommen der Vereinten Nationen v. 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – BRK; BGBl. II 2008 S. 1420) – seit dem 26.3.2009 ist in Deutschland mit der Ratifizierung durch die Bundesregierung geltendes Recht – und dem dadurch begründeten Inklusionsgrundsatz hat gerade der Bereich der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft/Gesellschaft eine neue Dimension erhalten. Nach Art. 26 (Habilitation und Rehabilitation) besteht seitens des Staates und dadurch der Gesellschaft die Pflicht, wirksame und geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Selbstbestimmung, umfassende kö...

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