Rz. 538

Liegt ein versicherungswidriges Verhalten nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 9 vor, wird der Eintritt einer Sperrzeit gleichwohl in den Fällen verhindert, in denen sich der Arbeitslose für sein Verhalten auf einen wichtigen Grund berufen kann. Der wichtige Grund ist auch ein Tatbestandsmerkmal im Minderungsrecht (neben der außergewöhnlichen Härte, die der Feststellung einer Leistungsminderung entgegenstehen kann) und beim Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. §§ 31 bis 32, 34 SGB II).

 

Rz. 539

Der wichtige Grund ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Regelmäßig wird eine Interessenabwägung erforderlich. Die im Einzelfall schwerwiegenden Rechtsfolgen des Eintritts einer Sperrzeit für den Arbeitslosen rechtfertigen dieses Ausgleichsmerkmal zum eigentlichen Sperrzeittatbestand.

 

Rz. 540

Der wichtige Grund ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schützen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder deren Behebung er unbegründet unterlässt, zu bestimmen. Die Sperrzeitregelung greift dabei Obliegenheitsverletzungen des Versicherten auf. Ein wichtiger Grund liegt nach ständiger Rechtsprechung des BSG vor, wenn dem Arbeitslosen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten (als das versicherungswidrige Verhalten) nicht zugemutet werden konnte (BSG, Urteil v. 14.9.2010, B 7 AL 33/09 R; zuletzt Bay. LSG, Urteil v. 19.4.2018, L 10 AL 223/17). Dabei muss es sich z. B. in Fällen des Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 um Umstände handeln, die sich auf die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses beziehen, die nach der historischen Entwicklung der Sperrzeitregelungen grundsätzlich entweder der beruflichen oder der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers entspringen müssen.

 

Rz. 541

Die §§ 78, 80 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) können als Grundlage für die heutigen Sperrzeitregelungen herangezogen werden. § 78 Abs. 2 AVAVG enthielt für die Aufgabe der Beschäftigung nur berechtigte Gründe, die der beruflichen Sphäre entsprangen; daneben waren (nur) wichtige Gründe nach § 80 Abs. 1 Satz 1 AVAVG in Anlehnung an die allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften zu prüfen. Mit Inkrafttreten des Arbeitsförderungsrechts (AFG) wurde die Unterscheidung zwischen berechtigtem und wichtigem Grund zwar aufgegeben und durch eine verallgemeinernde Generalklausel ersetzt, und das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) habe mit § 144 SGB III inhaltlich ohne wesentliche Änderung die Regelung des § 119 AFG übernommen; trotz der mit der gegenüber dem AVAVG für weitere Fallgestaltungen offenen Neuregelung durch das AFG bzw. das SGB III bleibt das Beschäftigungsverhältnis selbst jedoch weiterhin Bezugspunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit eines anderen Verhaltens.

 

Rz. 542

Wollte der Arbeitslose durch die Arbeitsaufgabe einzig und allein günstigere Rechtsfolgen für seinen entstehenden Alg-Anspruch herbeiführen (gemäß § 434 l Abs. 1 SGB III a. F. von 26 statt 12 Monaten Anspruchsdauer) und treten zu rein wirtschaftlichen Aspekten keine mit der Berufssphäre verbundenen oder sonstigen persönlichen Gründe hinzu, die die Fortsetzung der Beschäftigung unzumutbar machen, treffen die Rechtsfolgen, die sich aus der Eigenkündigung des Arbeitslosen ergeben, diesen nach Auffassung des BSG jedenfalls nicht unverhältnismäßig.

 

Rz. 543

Mit der Sperrzeitregelung hat der Gesetzgeber eine typisierende und pauschalierende Regelung getroffen, mit der er dem BSG zufolge deutlich macht, dass sich ein Arbeitnehmer prinzipiell nicht an der Lösung seines Beschäftigungsverhältnisses beteiligen soll. Die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses ist nach Auffassung des Gesetzgebers bereits ein versicherungswidriges Verhalten; nur ausnahmsweise soll keine Sperrzeit eintreten, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher kann aber jedenfalls nicht angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis nur löst, um sich für ihn günstigere arbeitsförderungsrechtliche Rechtsfolgen zu erhalten, die sich aus der Lösung, also dem (normativ) versicherungswidrigen Verhalten, ergebenden Rechtsfolgen jedoch nicht so gravierend sind, dass sie ihn unverhältnismäßig treffen.

 

Rz. 544

Dabei spielt bei der gewählten Typisierung und Pauschalierung keine Rolle, ob bzw. wann das Beschäftigungsverhältnis ohnedies geendet hätte; denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG hat die Sperrzeitregelung weder Strafcharakter noch ist sie ein pauschalierter Schadensausgleich. Diesem Gesichtspunkt wird danach vielmehr hinreichend durch die getroffenen (Härte-) Regelungen mit der Verkürzung der Sperrzeit Rechnung getragen. Erst wenn diese nicht greifen, kann sich ggf. noch aus hinzutretenden beruflichen oder persönlichen Gründen ergeben, dass der Arbeitslose einen wichtige...

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