Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Unterbrechung des versicherten Weges. privater Zweck. Geringfügigkeit. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Autofahrt. Briefeinwurf auf dem direkten Weg nach Hause

 

Leitsatz (amtlich)

1. Jede Unterbrechung des versicherten Arbeitsweges aus privaten Gründen bewirkt die Unterbrechung des Unfallversicherungsschutzes (vgl BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 50).

2. Zur Bestimmung der Motive der Unterbrechung des versicherten Arbeitswegen ist auf die kleinste vom Versicherten ausgehende Handlungseinheit abzustellen (vgl BSG vom 4.6.2013 - B 2 U 12/12 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 49; BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 55).

3. Ereignet sich ein Wegeunfall nach der Unterbrechung des Arbeitsweges und vor dessen Wiederaufnahme besteht für dieses Unfallereignis kein Unfallversicherungsschutz.

 

Orientierungssatz

Hält eine Arbeitnehmerin ihren Pkw kurz auf dem direkten Weg nach Hause an, um einen privaten Brief "im Vorbeigehen" bzw " ganz nebenher" in den Briefkasten zu werfen und stürzt dabei beim Aussteigen aus dem Fahrzeug, unterbricht sie ihren Arbeitsweg aus eigenwirtschaftlichen Gründen und steht nicht mehr gem § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.05.2019; Aktenzeichen B 2 U 31/17 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), den die Klägerin am 18. März 2014 gegen 14.30 Uhr nach dem Ende ihrer Arbeitszeit auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte, der K.-Kurklinik, nach Hause erlitten hat.

Die Klägerin fuhr mit ihrem Pkw aus dem Klinikgelände und bog nach rechts auf die Straße Z. ein, ohne - insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig - hierbei den Weg zu ihrem Wohnort zu verlassen. Etwa 5 - 10 m nach dieser Abzweigung hielt sie an der rechten Fahrbahnseite an, um einen Privatbrief in den dort befindlichen Briefkasten zu werfen. Beim Aussteigen aus dem Fahrzeug stürzte die Klägerin, wobei sich die rechte Hand noch am Lenkrad befand. Dabei rollte das Fahrzeug über ihren linken Fuß. D-Arzt Dr. Y. diagnostizierte noch am Unfalltag u. a. eine knöcherne Läsion der Fußwurzel links.

Mit Bescheid vom 6. Mai 2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 18. März 2014 als Arbeitsunfall ab. Es bestünde kein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, so dass der Versicherungsschutz entfallen sei. Denn die Klägerin habe den versicherten Weg unterbrochen, um einen Brief in den Briefkasten zu werfen. Dabei habe es sich um eine ausschließlich private, eigenwirtschaftliche Tätigkeit ohne Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gehandelt. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte u. a. an, dass der Versicherungsschutz unterbrochen werde, sobald Versicherte allein eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgten, die mit der versicherten Fortbewegung nicht übereinstimmten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die kurzzeitige Unterbrechung bzw. eine geringfügige Unterbrechung des Weges als nicht mehr versichert anzusehen.

Am 29. Oktober 2014 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht mit dem Begehren erhoben, das Ereignis vom 18. März 2014 als Arbeitsunfall in Form eines Wegeunfalls anzuerkennen. Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juni 2015 gab das Sozialgericht der Klage statt. Unfallversicherte Tätigkeiten seien auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (Wegeunfall). Die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis insbesondere dahingehend geführt, dass sie im Unfallzeitpunkt einer versicherten Tätigkeit nachgegangen sei. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII verlange einen inneren (sachlichen) Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit und der versicherten Tätigkeit, der so eng und gewichtig sein müsse, dass es gerechtfertigt sei, den Weg der versicherten Tätigkeit zuzuordnen. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin auf dem direkten Weg von der Arbeitsstätte zum Wohnhaus angehalten und aussteigen wollen, um einen Brief in den Briefkasten zu werfen. Dabei handele es sich um eine Unterbrechung des Arbeitsweges. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes während der Unterbrechung sei zu unterscheiden, ob die Unterbrechung einer Verrichtung diene, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe, oder ob sie wesentlich allein aus privaten Gründen erfolge. Im ersteren Fall bestehe Versicherungsschutz auch während der Unterbrec...

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