Leitsatz (amtlich)

1. War der Richter in der Anwaltskanzlei einer Prozesspartei oder ihres Prozessbevollmächtigten, der als Zedent der Klageforderung ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Prozessausgang hat, angestellt, kann dies einen Ablehnungsgrund darstellen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Richter in der Sache des gegenwärtigen Rechtsstreits tätig geworden ist oder nicht.

2. Den Richter trifft die prozessuale Pflicht gegenüber den Verfahrensbeteiligten, sein früheres Beschäftigungsverhältnis in der Anwaltskanzlei der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten (s. Leitsatz 1) offen zu legen. Die Nichtoffenbarung des anzeigepflichtigen Näheverhältnisses bildet einen selbständigen Ablehnungsgrund.

3. Trifft der ablehnbare Richter eine Entscheidung oder wirkt er an einer solchen mit, ohne sein früheres Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Leitsatzes 1 offen zu legen, liegt darin ein wesentlicher Verfahrensmangel, der auf Rechtsmittel zur Aufhebung des Urteils führen kann; ist zur Entscheidung eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig, kommt eine Zurückverweisung an das Gericht des ersten Rechtszugs in Frage.

 

Normenkette

ZPO §§ 42, 48, 511, 538 Abs. 2 Nr. 1, § 546; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG München II (Urteil vom 20.10.2012; Aktenzeichen 13R O 326/10)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des LG München II vom 30.10.2012, Az. 13R O 326/10, samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG München II zurückverwiesen.

II. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München II vorbehalten.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht der Rechtsanwaltssozietät ..., die den Beklagten in Rechtsstreitigkeiten gegen die Stadt ... vertreten hatte, die Zahlung von Rechtsanwaltshonorar.

Hinsichtlich des streitigen und unstreitigen Parteivorbringens in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Ersturteils (Bl. 229/245 d.A.) Bezug genommen.

Das LG hat im Termin vom 26.6.2012 ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil erlassen. Nach Einspruchseinlegung hat das LG das Versäumnisurteil nach Beweisaufnahme mit dem angefochtenen Endurteil vom 30.10.2012 unter Korrektur eines Zinszeitpunkts ganz überwiegend aufrechterhalten. Die an den Kläger abgetretenen Honorarforderungen der Sozietät ... seien berechtigt. Sie beruhten auf einer wirksam abgeschlossenen Zeithonorarvereinbarung und seien auch nicht überhöht. Dass Rechtsanwalt ... zugesagt habe, die Vertretung im Mandatskomplex "Feuerwache" kostenlos zu übernehmen sowie die Kostenrechnung vom 17.7.2008 über 19.074,12 EUR unabhängig von der Bezahlung der übrigen Honorarrechnungen zu stornieren, und dass vereinbart worden sei, dass ein über 10.000 EUR hinausgehender Betrag erst dann gezahlt werden müsse, wenn dem Beklagten aus der Tennishalle oder dem Hotelprojekt Erträge zufließen würden, habe sich in der durchgeführten Beweisaufnahme nicht bestätigt. Zwar hätten der Beklagte und die von ihm benannten Zeuginnen ... und ... den entsprechenden Vortrag des Beklagten bestätigt; diese Angaben seien aber nicht glaubhafter als die gegenteilige Aussage des Zeugen Rechtsanwalt ... Die vom Beklagten der Klageforderung entgegengehaltenen Schadensersatzansprüche bestünden nicht. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.

Der Beklagte macht mit der Berufung geltend, das erstinstanzliche Verfahren leide unter einem wesentlichen Verfahrensmangel und sei daher an das LG zurückzuverweisen. Zur Überraschung des Beklagten habe sich im Rahmen der Berufungsprüfung durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten herausgestellt, dass die Erstrichterin, Richterin am LG ..., zum Zeitpunkt der mit dem Beklagten abgeschlossenen Mandatsvereinbarung als Rechtsanwältin in der Kanzlei ..., die wirtschaftlich gesehen Inhaberin der Klageforderung sei, tätig und ausweislich der Vollmacht Anlage K 52 sogar in den vom Beklagten beauftragten Angelegenheiten bevollmächtigt gewesen sei. Sofern deswegen nicht bereits die gesetzlichen Ausschließungsgründe des § 41 Nr. 1 bzw. Nr. 4 ZPO anzuwenden seien, liege jedenfalls ein Verstoß gegen die nach § 48 ZPO bestehende Amtspflicht der Richterin vor, auf diesen Umstand hinzuweisen. Dieser hätte zweifellos ein Ablehnungsrecht des Beklagten begründet, zumal für die zu treffende Entscheidung die von der Richterin vorzunehmende Würdigung der Zeugenaussagen ehemaliger Kollegen aus der Kanzlei wesentlich gewesen sei. Die für den Beklagten erst jetzt erklärlichen Eigentümlichkeiten der Verfahrensführung setzten sich in einer einseitigen und fehlerhaften Beweiswürdigung fort. Entgegen der Auffassung der Erstrichterin sei es mehr als nachvollziehbar, dass Rechtsanwalt ... die Rechnung vom 17.7.2008 erlassen habe, ohne dies an die sofortige Bezahlung der weiteren Rechnungen z...

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