Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Betriebsweg. häuslicher Arbeitsplatz. sachlicher Zusammenhang. gespaltene Handlungstendenz. Erfrischung. Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Treppe: Teil der Wohnung und der Betriebsstätte. Nutzung: wesentlich auch betrieblicher Zweck. Telearbeitsplatz. Holen eines Getränks

 

Orientierungssatz

Zur bejahenden Anerkennung eines Arbeitsunfalls an einem häuslichen Telearbeitsplatz (hier: Treppensturz auf dem Weg vom Arbeitsplatz im Dachgeschoss zur Küche im Erdgeschoss zwecks Besorgens eines Getränks).

 

Normenkette

SGB VII § 8 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 05.07.2016; Aktenzeichen B 2 U 5/15 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29.04.2014 und der Bescheid der Beklagten vom 11.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, eine Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge des Arbeitsunfalls vom 21.09.2012 anzuerkennen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls an einem häuslichen Telearbeitsplatz.

Die Klägerin ist als Angestellte beim L. in W beschäftigt.

Nach einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber vom 20.01.2010 arbeitet sie an einem Telearbeitsplatz in ihrer Wohnung. Gemäß der Neufassung der Dienstvereinbarung Nr. 35 zur Regelung der Telearbeit im L vom 23.07.2009 werden die Arbeitsmittel für die häusliche Arbeitsstätte vom Dienstherrn zur Verfügung gestellt; sie dürfen nicht für private Zwecke benutzt werden. Die häusliche Arbeitsstätte wird von der Klägerin kostenlos zur Verfügung gestellt.

Der Arbeitsplatz der Klägerin ist in einem Raum im Dachgeschoss ihrer Wohnung eingerichtet. In diesem befinden sich außerdem ein kleines Bad, das Arbeitszimmer des Ehemannes sowie ein Schlafraum. Die Räume sind über eine Treppe zu erreichen. Im Erdgeschoss der Wohnung befinden sich die Küche, Wohnzimmer und ein weiteres Bad.

Die Klägerin leidet unter Asthma und COPD und muss mehrmals am Tag viel trinken. Am 21.09.2012 arbeitete sie morgens an dem Telearbeitsplatz für den Arbeitgeber. Da die in das Arbeitszimmer mitgenommenen Wasserflaschen bereits leer waren, verließ sie gegen 11.00 Uhr ihren Arbeitsplatz, um sich in der Küche Wasser zu trinken zu holen. Auf der Treppe rutschte sie von einer Stufe ab und knickte mit dem linken Fuß um. Die unmittelbar danach aufgesuchte Hausärztin Dr. D stellte eine Fraktur des linken Fußes fest; laut Durchgangsarztbericht vom 24.09.2012 bestand eine Metatarsale V Schrägfraktur links.

Mit Schreiben vom 11.10.2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Wenn Wohnung und Arbeitsstätte in demselben Gebäude liegen, beginne und ende der Versicherungsschutz mit Erreichen bzw. Verlassen des Arbeitszimmers.

Mit Schreiben vom 16.10.2012 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 05.11.2012 zurückgewiesen wurde.

Am 03.12.2012 hat die Klägerin dagegen Klage beim Sozialgericht Mainz erhoben mit dem Ziel der Anerkennung der Metatarsale V Schrägfraktur links als Folge eines Arbeitsunfalles am 21.09.2012.

Das Sozialgericht Mainz hat die Klage durch Urteil vom 29.04.2014 abgewiesen. Der Unfall stelle keinen Arbeitsunfall i. S. v. § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) dar. Es handele sich vorliegend nicht um einen Wegeunfall gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Fänden sich, wie vorliegend, betrieblich und privat genutzte Räume im selben Gebäude, komme ein solcher von vorneherein nicht in Betracht, weil ein Weg von und nach dem Ort der Tätigkeit grundsätzlich erst an der Außentür des Gebäudes beginne. Die Klägerin habe den Unfall auch nicht auf einem Betriebsweg erlitten. Ein solcher sei gegeben, wenn der Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt werde und der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehe oder sich ihr anschließe. Entscheidend sei die objektive Handlungstendenz des Versicherten, also ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit habe ausüben wollen. Beim Heruntergehen der Treppe mit dem Ziel, sich in der Küche etwas zu trinken zu holen, handele es sich um eine Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz, da die Klägerin ihren Durst stillen und außerdem ihre Weiterarbeit an dem Tag habe sicherstellen wollen. Eine solche Verrichtung stehe dann im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn sie hypothetisch auch vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre. Dies sei hier nicht festzustellen. Jeder Beschäftigte sei auf regelmäßiges Trinken angewiesen. Es habe sich zudem um übliche Bürotätigkeit gehandelt und nicht um eine ein besonderes Durstgefühl verursachende, sodass auch von daher kein sachlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit zu bejahen sei. Das Zurücklegen des Weges vom Arbeitszimmer in die Küche sei auch nich...

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