Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Inkrafttreten der Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c S 3 SGB 5 zum 1.4.2007. Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts

 

Orientierungssatz

1. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ist § 275 Abs 1c S 3 SGB 5 idF vom 26.3.2007 auf alle Fälle anwendbar, in denen die Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung unter Einschaltung des Krankenhauses nach dem 31.3.2007 begonnen hat. Dies gilt auch für Behandlungsfälle, die vor dem 1.4.2007 abgeschlossen wurden.

2. Die Anwendung des § 275 Abs 1c S 3 SGB 5 ab 1.4.2007 verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.06.2010; Aktenzeichen B 1 KR 29/09 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.12.2008 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.7.2008 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auch in Fällen zu zahlen, in denen die stationäre Behandlung, die der geprüften Abrechnung zugrunde lag, vor dem 1.4.2007 durchgeführt wurde.

Mit Rechnung vom 23.4.2007 rechnete das nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhaus der Klägerin die in der Zeit vom 14.3.2007 bis 30.3.2007 durchgeführte stationäre Behandlung eines bei der beklagten Krankenkasse Versicherten ab. Die am 25.4.2007 von der Beklagten in Auftrag gegebene Prüfung der Abrechnung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ergab keine Beanstandungen (Gutachten vom 14.5.2007). Die Zahlung der von der Klägerin verlangten Aufwandspauschale von 100 € verweigerte die Beklagte mit der Begründung, § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V sei nur auf Fälle anwendbar, in denen die Aufnahme zur stationären Behandlung nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung zum 1.4.2007 erfolgt sei. Die auf Zahlung von 100 € nebst 4 v. H. Zinsen seit Rechtshängigkeit gerichtete Klage hat das Sozialgericht Koblenz mit Urteil vom 11.12.2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die zum 1.4.2007 in Kraft getretene Bestimmung des § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V sei nur auf Behandlungsfälle anwendbar, die ab dem 1.4.2007 begonnen haben. Das ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, nach der Einzelfallprüfungen "zukünftig" zielorientierter und zügiger einzusetzen seien. Da die Bestimmung im Vorfeld heftig umstritten gewesen und erst im Bundesgesetzblatt vom 30.3.2007 veröffentlicht worden sei, hätten sich die Krankenkassen erst ab dem 1.4.2007 darauf einstellen können. Anderenfalls hätten die Krankenkassen zur Einhaltung der in § 275 Abs. 1 c Satz 2 SGB V vorgesehenen Ausschlussfrist von sechs Wochen alle noch offenen Prüfungen innerhalb dieser Frist einleiten müssen (Hinweis auf Sächsisches Landessozialgericht 25.4.2008 - L 1 B 198/08 KR-ER). Da dies zu einem Untergang von Ansprüchen führen würde, wäre die Regelung bei dieser Auslegung mit einer verfassungsrechtlich problematischen echten Rückwirkung verbunden. Im Übrigen sei aus Gründen der Rechtsklarheit und der Praktikabilität grundsätzlich auf die bei Aufnahme des Versicherten geltende Rechtslage abzustellen (Hinweis auf BSG 24.1.2008 - B 3 KR 17/07 R). Für die Aufwandspauschale könne es auch nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung bei der Krankenkasse ankommen, denn das Gesetz stelle nur für den Lauf der Sechs-Wochen-Frist auf den Eingang der Rechnung ab. Zudem würde eine solche Auslegung den Krankenhäusern ermöglichen, den Anspruch auf die Aufwandsentschädigung durch eine verzögerte Vorlage der Rechnung willkürlich herbeizuführen.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 19.12.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.1.2009 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie trägt vor, für die Entstehung des Anspruchs auf die Aufwandspauschale nach dem zum 1.4.2007 in Kraft getretenen § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V sei allein der Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung bei der Krankenkasse maßgeblich. Diese Auffassung vertrete auch das Bundesministerium für Gesundheit in seiner Stellungnahme vom 19.9.2007. Das ergebe sich auch aus dem Wortlaut der Regelung und aus den Gesetzesmaterialien. Diese Auslegung führe auch nicht zu einer echten Rückwirkung; für einen Missbrauch der Bestimmung durch die Krankenhäuser gebe es keine Anhaltspunkte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.12.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 100 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Durch die Einführung der Aufwands...

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