Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung bzw in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung. Betäubungsmittelrecht. betäubungsmittelabhängiger Straftäter. Zurückstellung der Strafvollstreckung zugunsten einer stationären Entwöhnungsbehandlung. Anwendbarkeit des § 7 Abs 4 S 3 Nr 1 SGB 2

 

Orientierungssatz

1. Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen sind ua Justizvollzugsanstalten, Untersuchungsgefängnisse, Jugendarrestanstalten, psychiatrische Krankenhäuser und Entziehungsanstalten. Sonstige Einrichtungen, auch wenn sie auch die Voraussetzungen für eine Einrichtung im Sinne des § 7 Abs 4 S 1 SGB 2 erfüllen, sind derartigen Einrichtungen gleich zu erachten, wenn die Zeit des Aufenthaltes auf die Strafhaft angerechnet wird, etwa Einrichtungen der Drogenhilfe nach den §§ 35, 36 BtMG 1981.

2. Die Rückausnahme des § 7 Abs 4 S 3 Nr 1 SGB 2 will nach ihrem Regelungszweck einen Wechsel aus dem Leistungssystem des SGB 2 in das des SGB 12 bei einer nur absehbar kurzzeitigen Krankenhausunterbringung vermeiden. Deshalb ist bei der im Zeitpunkt der Aufnahme der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 begehrenden Person in ein Krankenhaus vorzunehmenden Prognoseentscheidung auch zu berücksichtigen, ob die betreffende Person sich schon vor dieser Aufnahme im Leistungssystem des SGB 12 befand, ob sich also die Frage der Vermeidung eines Wechsels zwischen den existenzsichernden Leistungssystemen überhaupt stellt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 05.08.2021; Aktenzeichen B 4 AS 58/20 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.08.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Dauer einer stationären Drogenentwöhnungstherapie.

Der am 00.00.1990 geborene Kläger wohnte in H, S-Straße 00, bevor er mit Urteil vom 29.10.2014 des Amtsgerichts B (00 Ds- Js xxx/14 - xxx/14) zu einer Gesamtfreiheitstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen (Bewährungsbeschluss vom 29.10.2014) widerrief das Amtsgericht B mit Beschluss vom 11.03.2015 die Strafaussetzung zur Bewährung. Ebenso widerrief das Amtsgerichts H mit Beschluss vom 01.05.2015 die mit Beschluss vom 22.05.20153 (00 VRJs /xxx12) bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung und ordnete die Vollstreckung der Restjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts B vom 05.11.2012 (00 Ls xxx/12) an. Die Strafen wurden vom 28.09.2015 bis 27.09.2016 in der Justizvollzugsanstalt R, B-Straße 00, R vollstreckt.

Am 30.03.2016 stellte der Kläger bei der Staatsanwaltschaft B eine Anfrage auf Zurückstellung der Freiheitsstrafe nach § 35 BtMG, die er am 02.08.2016 beantragte. Er habe zum 27.09.2016 einen Aufnahmetermin nebst Kostenzusage des Beigeladenen vom 29.07.2016 im Haus B in O. Mit Beschluss vom 16.08.2016 des Amtsgerichts B wurde der Zurückstellung der Strafvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts B vom 21.05.2016, 00 DS xxx/14 zwecks Durchführung einer Therapie gemäß § 35 BtMG zugestimmt. Die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seiner Aufenthalte in der Therapieeinrichtung B werde auf die Strafe(n) angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt seien (§ 36 Abs. 1 BtMG).

Mit Entlassungsanordnung vom 01.09.2016 der Staatsanwaltschaft B wurde der Kläger am 27.09.2016 unter Anwendung von § 35 BtMG einkommens- und vermögenslos - mit Ausnahme eines Überbrückungsgelds von 606,43 EUR - in die Therapieeinrichtung Fachklinik B, O entlassen. Falls es nicht zu einer Aufnahme in die Therapieeinrichtung komme, solle der Kläger wieder in Justizvollzugsanstalt aufgenommen und die Vollstreckung fortgesetzt werden. Die Zurückstellung erfolge zunächst für ein Jahr. Die Fachklinik B teilte der Staatsanwaltschaft B mit Schreiben vom 27.09.2016 mit, der Kläger sei am 27.09.2016 in die Einrichtung aufgenommen worden und die Behandlung daure voraussichtlich 24 Wochen; im Regelfall schließe sich eine 3-monatige Adaptionsphase an.

Mit Schreiben vom 01.09.2016 teilte die Staatsanwaltschaft B dem Kläger mit, dass mit Zustimmung des zuständigen Gerichts die Strafvollstreckung für die Zeit vom 27.09.2016 bis 26.09.2017 zurückgestellt sei, um ihm Gelegenheit zu geben, sich wegen seines Betäubungsmittelabhängigkeit einer Therapie zu unterziehen. Die Behandlung sei ab dem genannten Zeitpunkt in der Fachklinik B durchzuführen. Nach seiner Entlassung habe sich der Kläger unverzüglich in diese Einrichtung zu begeben. Er sei verpflichtet, unverzüglich den Nachweis über die Aufnahme der Behandlung zu erbringen und der Staatsanwaltschaft zum Ende des Monats den Nachweis darüber zuzusenden, dass die Therapie fortgeführt werde. Sollte die Therapie abgebrochen werden,...

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