Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Bisher ist nicht abschließend geklärt, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 für einen Unionsbürger europarechtskonform ist. Der Gleichbehandlungssatz gebietet es, Unionsbürger und Inländer nach den gleichen Kriterien Zugang zu Leistungen der Grundsicherung zu gewähren. Kann der Unionsbürger in gleicher Weise eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt vorweisen, so stellt eine Weigerung der Bewilligung von Leistungen des SGB 2 eine diskriminierende Ungleichbehandlung dar und ist damit europarechtswidrig.

2. Hat der Betroffene noch keine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt aufgenommen, so ist maßgebliches Kriterium für die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung, ob dieser während eines angemessenen Zeitraumes tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedsstaat gesucht hat.

3. Entscheidend ist, ob der Antragsteller hinreichende Bewerbungsbemühungen angestellt hat. Zusätzliche Kriterien für die Ernsthaftigkeit der Suche können deutsche Sprachkenntnisse, Fachkenntnisse oder berufliche Erfahrungen sein. Dies ist im Einzelnen im Hauptsacheverfahren zu klären.

4. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt regelmäßig wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB 2 zu Gunsten des Antragstellers aus.

5. Nach der Entscheidung des BSG vom 30. 1. 2013 kann neben der Arbeitsuche eine Familienzusammenführung einen Aufenthaltszweck i. S. des FreizügG/EU darstellen. Beide stehen gleichberechtigt nebeneinander.

6. Die Dauer der Bewilligung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes richtet sich nach § 41 Abs. 1 S. 4 SGB 2 und ist regelmäßig auf sechs Monate zu beschränken.

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 20.12.2013 wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren.

3. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe in vollem Umfang bewilligt. Zur Wahrnehmung der Rechte wird Rechtsanwältin N aus F beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen und hier über den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II.

Das Sozialgericht Duisburg hat dem Antrag der Antragsteller vom 16.12.2013 mit Beschluss vom 20.12.2013 stattgegeben und den Antragstellern vorläufig Leistungen in Form des Regelbedarfs nach dem SGB II für die Zeit vom 16.12.2013 bis 16.06.2014 zugesprochen. Das SG hat keinen Raum für die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gesehen und auf die Gewerbeanmeldung zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit als Gebäudereinigerin der Antragstellerin zu 1) hingewiesen. Der Ausschlussgrund "Aufenthaltsrecht allein zum Zwecke der Arbeitssuche" greife nicht, die Antragstellerin zu 1) sei bereits am 15.01.2011 nach Deutschland eingereist, als Zeitraum zur Arbeitssuche sei in der Regel von einem Zeitraum von sechs bis neun Monaten auszugehen. Lehne man daher die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ab, halte sich die Antragstellerin zu 1) ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland auf, dann sei der Leistungsausschluss erst recht nicht anzuwenden. Das SG wies diesbezüglich auf den Beschluss des LSG NRW vom 10.10.2013 (Aktenzeichen: L 19 AS 129/13) hin. Da der Ausschlussgrund keine Anwendung fände, käme es auf die Frage der Europarechtskonformität nicht an.

Gegen den Beschluss des SG vom 20.12.2013, zugestellt am 23.12.2013, hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 17.01.2014, eingegangen beim Landessozialgericht am selben Tag, Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin zu 1) unterfalle dem Ausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II; auf die Anmeldung eines Gewerbes komme es nicht an. Der Entscheidung des LSG NRW vom 10.10.2013 (L 19 AS 129/13) sei nicht zu folgen. Dies führe zu unvertretbaren Ergebnissen. Der Ausschluss sei im Übrigen europarechtskonform. Auch unterfielen die Leistungen nach dem SGB II nicht den Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 EGV 883/2004.

Die Antragstellerin zu 1) hat das Reinigungsgewerbe wieder abgemeldet. Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 20.02.2014 den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung abgelehnt.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 20.12.2013 (Az.: S 38 AS 4696/13 ER) aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragsteller und Beschwerdegegner beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Die die Antragsteller betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners (000) lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

II.

Die B...

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