Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel. Kostenübernahme einer GPS-Uhr mit Alarmfunktion. keine Leistungspflicht der sozialen Pflegeversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine GPS-Uhr mit Alarmfunktion ist ein von der Gesetzlichen Krankenversicherung zu leistendes Hilfsmittel des mittelbaren Behinderungsausgleichs, um bei einem geistig behinderten Heranwachsenden mit Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit das Grundbedürfnis der Mobilität im Nahbereich zu ermöglichen.

 

Orientierungssatz

Eine GPS-Uhr mit Alarmfunktion stellt kein Pflegehilfsmittel nach § 40 Abs 1 S 1 SGB 11 dar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.09.2020; Aktenzeichen B 3 KR 15/19 R)

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 18. April 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2015 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für eine Guard2me Uhr zu übernehmen.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) tragen die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Instanzen als Gesamtschuldner. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Versorgung mit einer Guard2me Uhr.

Der N. geborene Kläger leidet infolge eines als Trisomie 21 bezeichneten Gendefektes (auch als Down Syndrom bekannt) an einer stark ausgeprägten geistigen Behinderung, die mit Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit einhergeht. Er ist mit Pflegegrad 5 eingestuft. Dem Kläger sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 % zuerkannt sowie die Merkzeichen H, B und G. Er lebt bei seiner Mutter. Der Kläger hat die Schule (Schule an der O.) beendet und besucht wochentäglich von 8.00 bis 13.00 Uhr die Tagesförderstätte P. in Q. Er wird morgens von einem Fahrdienst abgeholt und mittags von einem Betreuer wieder nach Hause gebracht. An einem Nachmittag in der Woche wird er nach dem Besuch der Förderstätte im Rahmen der Eingliederungshilfe bis gegen 16.00 Uhr in der R. GmbH, einer Einrichtung zur Entlastung von Familien mit behinderten Angehörigen, und an einem anderen Nachmittag drei Stunden von einem Mitarbeiter der Lebenshilfe betreut.

Im Februar beantragte der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr S., Klinikum T., bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine GPS Notfalluhr für den Kläger im Rahmen des § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Das beantragte Gerät mildere die Folgen der Gesundheitsschäden. Aufgrund seiner geistigen Behinderung infolge des Down Syndroms zeige der Kläger Weglauftendenzen. Er gefährde sich selbst und sei bereits zweimal orientierungslos aufgefunden worden. Die beantragte GPS-Notfalluhr sei in der Lage, Alarm zu schlagen, wenn sich der Kläger aus einem vorher begrenzten Areal entferne. Eine andere Art Notrufsystem werde von ihm nicht toleriert und eigenständig entfernt. Als Anlage wurde der Kostenvoranschlag für eine Guard2me Uhr zum Preis von 1.189,50 Euro beigefügt sowie die ärztliche Verordnung einer Guard2me Uhr vom 9. Februar 2015 vom Facharzt für Kinderheilkunde U. In seiner Stellungnahme vom 2. März 2015 kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu der Beurteilung, dass es sich bei dem beantragten GPS System um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele und sprach keine Empfehlung aus.

Mit Bescheid vom 10. März 2015 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die begehrte GPS-Uhr ab. Nach dem Gutachten des MDK handele es sich dabei um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Mit seinem Widerspruch wandte der Kläger ein, die Uhr diene mittels der GPS Funktion der jederzeitigen Auffindbarkeit von dementen oder verwirrten Personen und zitierte Passagen aus der Herstellerinformation. Er leide krankheitsbedingt unter Verwirrtheitszuständen mit Orientierungslosigkeit und Weglauftendenz. Gleichzeitig diene die Guard2me Uhr einer Pflegeerleichterung. Der Kläger müsse rund um die Uhr überwacht werden. Sobald man ihn aus den Augen lasse, stelle er Dinge mit Gefahrenpotential an, wie den Herd oder den Ofen anmachen, die Badewanne einlaufen lassen oder das Haus zu verlassen. Er könne Gefahren nicht einschätzen und sich auch nicht richtig artikulieren. In seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2015 stellte der MDK fest, dass es sich bei dem Guard2me System nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele, da es weder die Krankenbehandlung sichere, noch einer schon bestehenden Behinderung vorbeuge noch die Behinderung bei der Befriedung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ausgleiche. Zur Verhinderung des Gefahrenpotentials bei Weglauftendenz müssten zunächst andere Mechanismen ergriffen werden wie abgeschlossene Türen, ständige Begleitung bei Gängen außer Haus. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die beantragte GPS Uhr erfülle nicht die Voraussetzungen eines Hilfsmittels nach § 33 SGB V. Nur informationshalber sei anzumerken, dass gemäß den sozialmedizinischen Ausführungen im Gutachten de...

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