Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer besonderer Bedarf. Schulgeld für den Besuch einer Privatschule. Verweis auf den Besuch einer kostenfreien öffentlichen Schule -Glaubhaftmachung der Unmöglichkeit bzw Unzumutbarkeit eines Schulwechsels

 

Orientierungssatz

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend die Übernahme von Schulgeld für den Besuch einer Privatschule als Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB 2 ist glaubhaft zu machen, dass ein Wechsel zu einer kostenfreien öffentlichen Schule objektiv oder aus schwerwiegenden individuellen Gründen ausgeschlossen bzw unzumutbar ist.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 4. August 2021 wird zurückgewiesen.

Eine Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme des Schulgelds der von ihm besuchten Privatschule iHv 165,00 Euro monatlich.

Der am H. geborene Antragsteller lebt zusammen mit seiner am I. geborenen Mutter und seinem am J. geborenen Bruder K. in L.. Die Bedarfsgemeinschaft bezog seit August 2019 laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem Antragsgegner. Der Antragsteller und sein Bruder waren zeitweise in der Lage, ihre Bedarfe durch Kindergeld- und Unterhaltsvorschusszahlungen selbst zu decken (vgl zB vorläufige Leistungsbewilligung für Februar bis Juli 2020, Bescheid vom 27. April 2020, Bl 192 BA; Änderungsbescheid vom 19. Februar 2021; vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 14. September 2021; Änderungsbescheid vom 20. Oktober 2021; Änderungsbescheid vom 9. Dezember 2021). Die Mutter des Antragstellers betrieb eine Kampfsportschule in M. (N.) und bot dort Selbstverteidigungskurse und Gewaltpräventionsschulungen an. Sie erzielte mit dieser Tätigkeit anrechenbares Einkommen aufgrund selbstständiger Tätigkeit.

Die Einschulung des Antragstellers im Jahr 2018 erfolgte zunächst auf der O. in M.. Vor dem Hintergrund psychischer Probleme und regelmäßiger, oft körperlicher Auseinandersetzungen wechselte der Antragsteller nach den Sommerferien 2019 auf die P. M.. Das dort anfallende monatliche Schulgeld iHv 165,00 Euro wurde zunächst von der Mutter des Antragstellers gezahlt.

Mit Schreiben vom 17. März 2021 beantragte die Mutter des Antragstellers die Übernahme des monatlichen Schulgelds durch den Antragsgegner. Zur Begründung machte sie geltend, dass sie das Schulgeld nicht weiter aufbringen könne, da sie durch die Corona-Pandemie ihre selbstständige Tätigkeit habe aufgeben müssen.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag durch Bescheid vom 1. April 2021 ab. Mit dagegen am 16. April 2021 erhobenen Widerspruch machte der Antragsteller geltend, dass ihm ein Wechsel zu einer öffentlichen Schule aufgrund schwerwiegender persönlicher Gründe nicht möglich bzw unzumutbar sei und nahm zur Begründung auf die Bescheinigung seines behandelnden Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Q. vom 16. März 2021 Bezug. Danach sollte eine Gefährdung der psychischen und sozio-emotionalen Entwicklung des Antragstellers im Falle eines weiteren Schulwechsels drohen, da das erneute Herausreißen aus dem bisher aufgebauten schulischen Umfeld und der Verlust der neuen Bezugspersonen eine Re-Inszenierung früherer Verlusterfahrungen mit möglicher folgender depressiver Dekompensation bedeuten könnte (vgl Bl 5 GA).

Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Bescheid vom 11. Mai 2021 zurück. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich nicht aus § 28 SGB II, der keinen Anspruch auf die Übernahme von Schulgeld enthalte. Die Schulgeldfreiheit an öffentlichen Regelschulen decke den allgemeinen Schulausbildungsbedarf, so dass auch kein Bedarf für die Übernahme von Schulgeld mehr bestehe. Eine Ausnahme sei nur bei schwerwiegenden persönlichen Gründen möglich, die den Besuch einer öffentlichen Schule unmöglich oder unzumutbar machten. Solche seien vorliegend nicht erkennbar. So könne nicht nachvollzogen werden, warum der Antragsteller nach den Sommerferien 2019 nicht gleich auf eine öffentliche Schule gewechselt sei.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 17. Mai zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 17. Juni 2021 Klage beim Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben (S 24 AS 519/21) und zeitgleich die Gewährung einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes beantragt.

Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass ihm ein erneuter Schulwechsel aus psychischen Gründen nicht zumutbar sei. Das Schulgeld sei als unabweisbarer Mehrbedarf nach Maßgabe des § 21 Abs 6 SGB II durch den Antragsgegner zu übernehmen. Ergänzend hat die Mutter des Antragstellers vorgetragen, dass der Antragsteller vor dem Hintergrund starker Gewalterfahrungen und vor dem Hintergrund des Leistungsdrucks in der O. nicht mehr habe beschult werden können. Er sei sehr depressi...

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