Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. wettbewerbswidriges Handeln bei Mitgliederwerbung. Zahlung von Aufwandsentschädigungen und Provisionen an Arbeitgeber. Aufsichtsklage

 

Orientierungssatz

1. Es ist einer Aufsichtsbehörde verwehrt, ihre Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen der beaufsichtigten Körperschaft zu setzen, sofern Rechtsfragen zum Anlass einer Beanstandung genommen werden, die (bislang) weder das Gesetz noch die Rechtsprechung in eindeutiger Weise beantwortet hat. Ein rechtmäßiges aufsichtsrechtliches Einschreiten erfordert daher, dass die Beklagte zu Recht davon ausgehen dürfte, dass die klagende Krankenkasse mit ihrem Handeln Rechtsverstöße begangen hat. Der Grundsatz maßvoller Ausübung der Rechtsaufsicht gebietet es in diesem Zusammenhang, dem Beaufsichtigten einen gewissen Bewertungsspielraum zu belassen.

2. Die Pflicht, sachlich aufzuklären vor dem Hintergrund der Wettbewerbsgrundsätze, wird jedenfalls dann verletzt, wenn der Arbeitgeber bzw. dessen Mitarbeiter eigennützig handeln, weil ihn bei erfolgreicher Mitgliederwerbung für eine bestimmte Krankenkasse seitens dieser eine Provision erwartet.

3. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger ist jedenfalls auch dann verletzt, wenn sich eine Maßnahme im Verhältnis der Krankenkassen untereinander direkt als rechtswidrig nach dem UWG (juris: UWG 2004) darstellt und deshalb jedenfalls über § 4 Abs 3 S 2 erster Halbsatz SGB 5 direkt Unterlassung verlangt werden könnte.

4. Es ist unlauter im Sinne von § 4a UWG 2004, die Entscheidungsfreiheit eines sonstigen Marktteilnehmers - hier also des potentiell anzuwerbenden Arbeitnehmers, der sich frei für eine Krankenkasse entscheiden können soll - durch Ausübung von Druck oder durch einen sonstigen unangemessenen oder unsachlichen Einfluss zu beeinflussen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht der Sache nach die Frage, ob die Klägerin Arbeitgebern Aufwandsentschädigungen für Mitgliederwerbung zahlen darf, ferner die erlaubte Maximalhöhe der Provisionen allgemein und die Möglichkeit der Staffelung je nach Zahl der Angeworbenen pro Jahr.

Die Beklagte erteilte mit Schreiben vom 24. April 2017 eine aufsichtsrechtliche Beratung nach § 89 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Dem war ein Prüfverfahren der Beklagten bei der BKK Essanelle vorangegangen. Diese fusionierte zum 1. Januar 2015 mit der Deutschen BKK. Nachdem die Deutsche BKK ihrerseits mit der Barmer GEK in der heutigen Klägerin aufging, wandte sich der Beklagte an die Klägerin und bat um Mitteilung, ob der Wunsch nach einer formellen aufsichtsrechtlichen Beratung aufrechterhalten werde.

Im Beratungsschreiben heißt es zum Sachverhalt, die Klägerin vertrete die Auffassung, dass die Werbung von Neumitgliedern durch Arbeitgeber oder dessen Mitarbeiter zulässig sei und nicht gegen geltendes Recht verstoße. Die Kasse praktiziere dieses Verfahren und wolle es fortführen. Sie sei weiter der Auffassung, dass die Höhe der Aufwandsentschädigung durch die Kasse frei bestimmbar sei und die festgesetzten Obergrenzen für Aufwandsentschädigungen in den „Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätzen der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19. März 1998 in der Fassung vom 11. November 2015 (Wettbewerbsgrundsätze) unbeachtlich seien. Auch seien die im Rahmen der Mitgliederwerbung gewährten Aufwandsentschädigungen an die Anzahl der geworbenen Mitglieder mit Recht koppel- und staffelbar.

Der Beklagte teilte mit, dass Aufwandsentschädigungen für die Mitgliederwerbung an Arbeitgeber oder vom Arbeitgeber beauftragtes Personal, sowie Auslobungen von Aufwandsentschädigungen an sogenannte Laienwerber, deren Höhe den Betrag von mehr als 0,7 Prozent der monatlichen Bezugsgröße, gerundet auf den nächsten durch 5 teilbaren Betrag - zur Zeit 25 Euro - überstiegen, sowie die gewährten Aufsattelungen durch Prämien und sonstige Vergütungen auf die höchstmöglichen Aufwandsentschädigungen für erfolgreiche Mitgliederwerbung, insbesondere durch Staffelung der Prämien nach Anzahl der geworbenen Mitglieder, jeweils rechtswidrig seien. Sie forderte die Klägerin zur Behebung der Rechtsverletzung auf, binnen drei Wochen schriftlich zu bestätigen,

1.

keine Aufwandsentschädigungen für die Werbung von Mitgliedern für die Barmer Ersatzkasse an Arbeitgeber oder vom Arbeitgeber beauftragtes Personal zu gewähren,

2.

keine Aufwandsentschädigungen an Laienwerber über den Betrag von mehr als 0,7 Prozent der monatlichen Bezugsgröße, gerundet auf den nächsten durch 5 teilbaren Betrag (zur Zeit 25 Euro) zu zahlen,

3.

Die gewährten Aufwandsentschädigungen nicht durch Aufsattelungen durch Prämien und sonstige Vergünstigungen für erfolgreiche Mitgliederwerbung, insbesondere durch Staffelung der Prämien nach Anzahl der geworbenen Mitglieder, zu erhöhen oder zu steigern.

Sie teilte ferner mit, zu beabsichtigen, einen entsprechenden V...

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