Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausträger. Gemeinsamer Bundesausschuss. Nichtigkeit der Mindestmengenvereinbarung bzw -regelung bzgl Mindestmenge für Kniegelenk-Totalendoprothesen. Begründung von Mindestmengenregelungen. gerichtliche Kontrolle. Richtigkeit der Arbeitsergebnisse des IQWiG. sozialgerichtliches Verfahren. Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Angelegenheit des Vertragsarztrechts. Statthaftigkeit der Normenfeststellungsklage. Klagebefugnis eines Krankenhausträgers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Mindestmengenvereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Fassung des Beschlusses vom 16.8.2005, zuletzt geändert durch Beschluss vom 11.11.2010, ist nichtig, soweit sie in Anl 1 Nr 6 für Kniegelenk-Totalendoprothesen eine Mindestmenge von 50 pro Krankenhaus (Betriebsstätte) festlegt.

2. Mindestmengenregelungen sind vom Gemeinsamen Bundesausschuss allgemein zugänglich zu begründen.

3. Die erforderliche Gewissheit dafür, dass die Qualität des Behandlungsergebnisses "in besonderem Maße" von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt, können nur belastbare wissenschaftliche Belege erbringen. Diese tatbestandliche Frage unterliegt der vollständigen gerichtlichen Kontrolle.

4. Die Arbeitsergebnisse des IQWiG haben vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu beachtende besondere Relevanz und unterliegen der Rechtsvermutung der Richtigkeit, die nur durch substantielle wissenschaftliche Beweise entkräftet werden kann.

5. Eine Mindestmengenregelung ist schon dann rechtswidrig und damit nichtig, wenn das IQWiG herausgearbeitet hat, dass in Bezug auf einen maßgeblichen Qualitätsindikator (hier: postoperative Beweglichkeit bei Kniegelenk-Totalendoprothesen) bis zu einer bestimmten Leistungsmenge die Risikokurve zwar fällt, ab einer bestimmten Leistungsmenge die Risikokurve aber wieder ansteigt ("U-förmiger Verlauf").

6. Effektiver Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 S 1 GG) ist im Bereich der prinzipalen Normenkontrolle nur gewährleistet, wenn der Entscheidung inter-omnes-Wirkung zukommt.

 

Orientierungssatz

1. Bei einem Rechtsstreit zwischen einem Krankenhausträger und dem Gemeinsamen Bundesausschuss bzgl der Mindestmengenvereinbarung bzw -regelung handelt es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts (vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 31/09 R = BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2) und ist die Klage als Normfeststellungsklage statthaft.

2. Ein Krankenhausträger ist klagebefugt, weil die Mindestmengenregelung ihn unmittelbar betrifft.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.09.2012; Aktenzeichen B 3 KR 10/12 R)

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Mindestmengenvereinbarung des Beklagten in der Fassung des Beschlusses vom 16. August 2005, zuletzt geändert durch Beschluss vom 11. November 2010, nichtig ist, soweit sie in Anlage 1 Nr. 6 für Kniegelenk-Totalendoprothesen eine Mindestmenge von 50 pro Krankenhaus (Betriebsstätte) festlegt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus in N, das als “Operatives Zentrum„ u.a. über eine Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie und Orthopädie verfügt. Sie wendet sich gegen die vom Beklagten für Kniegelenk-Totalendoprothesen (Knie-TEP) beschlossene Mindestmenge von 50.

Mit dem Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz, FPG) vom 23. April 2002 (BGBl. I S. 1412) ermöglichte der Gesetzgeber als ein Element der Qualitätssicherung die Einführung von Mindestmengen für die Erbringung bestimmter Leistungen in zugelassenen Krankenhäusern. § 137 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) bestimmte in der Fassung des FPG u.a.:

(Abs. 1) Die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung vereinbaren mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung der Bundesärztekammer sowie der Berufsorganisationen der Krankenpflegeberufe Maßnahmen der Qualitätssicherung für nach  § 108 zugelassene Krankenhäuser einheitlich für alle Patienten. Dabei sind die Erfordernisse einer sektor- und berufsgruppenübergreifenden Versorgung angemessen zu berücksichtigen; dazu ist der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Vereinbarungen nach Satz 1 regeln insbesondere(…)(Nr. 3.)einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und Ausnahmetatbestände(…)

Mit dem 1. Januar 2004 übertrug das Gesetz die Kompetenz für Maßnahmen der Qualitätssicherung im Rahmen von § 137 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss (im Folgenden: Beklagter; Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz, GMG) vom 14. November 2003, BGBl. I S. 2190).

Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken...

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