Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Fehlerhafte Belehrung über einen Gerichtsbescheid als Verfahrensfehler. Voraussetzung der Zurückverweisung der Sache im Berufungsverfahren bei einem Verfahrensfehler

 

Orientierungssatz

Wurde einer Klagepartei vor einer Entscheidung des Sozialgerichts durch Gerichtsbescheid lediglich ein Formular über das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG übersandt, so fehlt es an einer ordnungsgemäßen Belehrung über das weitere Verfahren mit der Folge, dass ein wesentlicher Verfahrensmangel anzunehmen ist. Ist in dem Verfahren eine Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten notwendig (hier: Feststellung eines Grades der Behinderung), so führt der Verfahrensfehler im Regelfall zur Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht an das erstinstanzliche Gericht.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 80.

Auf den Antrag des 1957 geborenen Klägers vom 18. Juni 2012 stellte der Beklagte bei ihm nach versorgungsärztlicher Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere verschiedener Reha-Entlassungsberichte, mit Bescheid vom 14. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2013 einen GdB von 30 fest. Dieser Entscheidung legte er zuletzt folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, operierte Bandscheibe (20),

b) Herzleistungsminderung, abgelaufener Herzinfarkt, Durchblutungsstörungen des Herzens, Koronardilatation, Bluthochdruck (20),

c) seelische Störung (10).

Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung eines GdB von mindestens 80 begehrt. Ohne Ermittlungen aufzunehmen, hat das Sozialgericht dem Kläger eine Gerichtsbescheidanfrage gesandt. Auf einem von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts erstellten Formular hat der Kläger daraufhin erklärt, er sei mit “einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz„ (SGG) einverstanden.

Am 2. April 2014 hat der Kläger Prozesskostenhilfe beantragt, deren Gewährung das Sozialgericht mit Beschluss vom 10. April 2014 mit der Begründung abgelehnt hat, es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht im Klageverfahren. Hiergegen hat der Kläger am 5. Mai 2014 Beschwerde eingelegt.

Bevor das Landessozialgericht über die Beschwerde entschieden hat, hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2014 unter Auswertung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Unterlagen als unbegründet abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, Rn. 3 zu § 159 SGG).

Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn es hat entgegen § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden, ohne den Kläger zuvor ordnungsgemäß anzuhören. Die Anhörung des Klägers war fehlerhaft, da ihr ein Formular über das Einverständnis mit “einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz„ - also durch Urteil - beigefügt war. Damit war nicht eindeutig zu erkennen, worauf die Anfrage des Gerichts abzielte.

Der bestehende Verfahrensmangel ist auch als wesentlich anzusehen: Auf der Grundlage der fehlerhaften Anhörung hat das So...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge