Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Verhebetrauma eines Bestatters. Anheben einer Leiche. ungewöhnliches Geschehen oder unübliche Verrichtung nicht erforderlich

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Verhebetrauma, das der Bestatter während der beruflichen Tätigkeit beim Anheben einer Leiche erlitten hat, erfüllt die gesetzliche Anforderung an Arbeitsunfälle, da die dabei stattgefundene (mechanische) Krafteinwirkung zu den äußeren Ursachen rechnet. Der sogleich festgestellte Muskelbauch am rechten distalen Oberarm, der rechtlich wesentlich auf dieser Einwirkung beruht, reicht für den erforderlichen Gesundheitserstschaden aus.

 

Orientierungssatz

Die Feststellung eines Arbeitsunfalls setzt weder ein ungewöhnliches Geschehen (vgl BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 31) noch eine unübliche Verrichtung im Rahmen der versicherten Tätigkeit (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R = NZS 2012, 390) und auch keine dauerhaften Unfallfolgen voraus.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. April 2018 aufgehoben, soweit festgestellt wird, dass der Kläger am 26. August 2016 eine hypertrophe Narbe in der rechten Ellenbeuge als Folge des Arbeitsunfalls hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch in zweiter Instanz zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob das Ereignis vom 26. August 2016 als Arbeitsunfall und als dessen Folge eine hypertrophe Narbe in der rechten Ellenbeuge sowie Sensibilitätsstörungen im rechten Daumen festzustellen sind.

Der 1977 geborene Kläger ist seit 2002 als Friedhofsmitarbeiter (Bestattungshelfer) der Friedhöfe R. versicherungspflichtig beschäftigt. Er ist für die Abholung von Verstorbenen, das Waschen und Anziehen sowie die Aufbewahrung der Leichen und das Einsargen zuständig. Darüber hinaus wird er bei der Veranstaltung von Trauerfeiern, bei Erdbestattungen sowie im Krematorium eingesetzt. Ferner ist er beim Öffnen und Schließen von Gräbern tätig. Im Rahmen seiner Tätigkeit muss er regelmäßig Leichen bewegen.

Am 26. August 2016 wurde er zusammen mit einem Kollegen in die Wohnung eines Mehrfamilienhauses in R. gerufen, um die dort verstorbene ältere Frau, die ca. 80 kg wog, abzuholen. Die Tote sollte vom Bett auf die am Boden stehende Trage gehoben werden. Hierzu begab sich der Kläger an das Kopfende neben das Bett, während sein Kollege die Füße nehmen sollte, sich deswegen ans Fußende des Bettes stellte, wobei sich beide etwas seitlich verrenken mussten. Beim Anheben der Leiche verspürte der Kläger ein “Knacken„ im rechten Oberarm und einen brennenden Schmerz direkt oberhalb des Ellenbogens, ein Wulst war sichtbar. Ein nochmaliges Anheben der Leiche war ihm nicht möglich. Schließlich mussten ihm die Angehörigen helfen.

Er begab sich noch am selben Tag in das Klinikum am S. R. zu Dr. K.. Dieser stellte einen deutlichen Kraftverlust im Bereich der Bizepsmuskulatur und einen Muskelbauch am rechten distalen Oberarm fest. Er diagnostizierte einen distalen Bizepssehnenabriss am rechten Arm (ICD-10-S46.2R) und führte aus, bei eindeutiger Klinik könne auf eine Kernspintomographieuntersuchung (MRT) verzichtet werden. Er legte einen Gilchristverband an, verordnete Schmerzmittel (acht Tabletten Ibuprofen 600) und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bis 26. September 2016.

In der Unfallanzeige vom 30. August 2016 führten die Technischen Betriebsdienste R., Friedhöfe, aus, dem Kläger sei bei der Bergung der Verstorbenen aus dem Bett die Sehne vom Bizepsmuskel abgerissen. Das von der Beklagten beigezogene Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei der A. N. war bland.

Am 4. September begab sich der Kläger in stationäre Behandlung in die Kreiskliniken R., aus der er am 7. September 2016 nach offener Exploration mit dem Ausschluss einer distalen Bizepssehnensruptur rechts entlassen wurde. Bei der am 21. September 2016 durchgeführten Kernspinuntersuchung des rechten Ellenbogens ließ sich die distale Bizepssehne kontinuierlich mit einem deutlich umgebenden Weichteilödem und einer Ausdünnung darstellen, vereinbar mit einer Teilläsion. Anlässlich der Kontrolluntersuchung vom 28. September 2016 wurde bei noch deutlicher ödematöser Weichteilschwellung in der Operationsumgebung eine Antibiotikatherapie eingeleitet. Es fanden sich an zwei Stellen oberflächliche Wundheilungsstörungen. Noch am 11. Oktober 2016 beschrieb Dr. O. eine rückläufige Rötung und Schwellung der Narbe mit noch ca. 5 mm. Die Beweglichkeit im rechten Ellenbogengelenk sei mit 0-10-110° für Extension/Flexion eingeschränkt.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Vorstellung des Klägers in der BG-Klinik T.. Prof. Dr. S. berichtete am 19. Oktober 2016, dass der Weichteilmantel am rechten Ellengelenk intakt sei. Die Beweglichkeit sei bis auf eine endgradige Streckhemmung auf der rechten Seite seitengleich und frei. Der Kläger berichte über Zugschmerzen bei maximaler Supination. Neurologisch b...

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