Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeld. Unterlassen der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellung durch unzutreffende rechtliche Bewertung. Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit bei Ende des Arbeitsverhältnisses nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Taxifahrer. Gleich oder ähnlich geartete Tätigkeit. Pflichtversicherung. Nachgehende Leistung. Arbeitslosmeldung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Krankengeld darf nicht an der fehlenden ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit scheitern, wenn dies darauf beruhte, dass der Arzt zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass sich die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr an der bisherigen Tätigkeit des Versicherten orientiert.

 

Orientierungssatz

Zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit beim Ende des Arbeitsverhältnisses nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und der "Verweisung" des Versicherten auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten.

 

Normenkette

SGB V § 44 Abs. 1, § 46 S. 1 Nr. 2, § 49 Abs. 1 Nrn. 3a, 5, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 192 Abs. 1 Nr. 2, § 19 Abs.2; SGB X § 107 Abs. 1; SGB I § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.10.2010 und der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2008 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen H. K. Krankengeld für die Zeit vom 05.04.2008 bis zum 06.01.2009 unter Anrechnung des in diesem Zeitraum bezogenen Arbeitslosengeldes zu bezahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Streit steht ein Anspruch auf Krankengeld (Krg) vom 05.04.2008 bis zum 06.01.2009.

Der 1961 geborene (und 2011 verstorbene) Ehemann der Klägerin (im Folgenden: K) war Mitglied der Beklagten und zuletzt seit 2004 als Taxifahrer bei einem Taxiunternehmen versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.09.2007.

Bereits seit dem 13.08.2007 war K wegen einer depressiven Störung und Alkoholkrankheit arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte zahlte zunächst Krg vom 24.09.2007 bis zum 30.09.2007. Im Anschluss bezog K Arbeitslosengeld. Ab dem 22.10.2007 wurde Arbeitsunfähigkeit wegen einer schweren depressiven Episode festgestellt. Nach Ende der Leistungsfortzahlung gewährte die Beklagte wieder Krg. In einem sich anschließenden Klageverfahren beim Sozialgericht Reutlingen (SG) anerkannte die Beklagte Arbeitsunfähigkeit seit dem 30.09.2007 und bewilligte durchgehend Krg (S 1 KR 1700/08). Während der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit befand sich K vom 13.12.2007 bis 11.01.2008 in stationärer Behandlung. Am 11.01.2008 stellte der Hausarzt von K, Dr. M., fest, dass weiter Arbeitsunfähigkeit bestehe (Folgebescheinigung). Vom 21.01.2008 bis 04.03.2008 war K erneut im Krankenhaus. Im vorläufigen Entlassungsbericht der Klinik für Psychiatrie R. vom 04.03.2008 wird aus psychiatrischer Sicht Arbeitsfähigkeit angenommen. Im endgültigen Entlassungsbericht der Klinik R. vom 23.04.2008 werden die Diagnosen kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-selbstunsicheren und abhängigen Anteilen, depressive Störung, derzeit mittelgradige Episode, Alkoholabhängigkeit, Nikotinabhängigkeit, Va alkoholtoxisch bedingte Leberzirrhose, Osteoporose mit Wirbelkörpereinbrüchen und Zn Fersenbeinfraktur 2006 genannt. Im Verlaufsbericht ist dokumentiert, dass K über eine Schmerzhaftigkeit in mehreren Gelenken, insbesondere im rechten Schultergelenk klagte. Röntgenologisch sei eine Verkalkung im Bereich des rechten Schultergelenks festgestellt worden. Eine kernspintomographische Abklärung müsse vorgenommen werden. Gegen die Schmerzen habe K Diclofenac erhalten. K werde “in zufriedenstellender psychischer Verfassung„ entlassen.

Am 05.03.2008 stellte der Hausarzt des K, Dr. M., eine AU-Folgebescheinigung aus. Als Diagnose gab er Arthrose an. Arbeitsunfähigkeit bestehe voraussichtlich bis 21.03.2008. Am 06.03.2008 ging bei der Beklagten die Mitteilung von Dr. M. ein, wonach K bis auf Weiteres arbeitsunfähig sei. Am 25.03.2008 bescheinigte er Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 31.03.2008. Unter demselben Datum erstellte er einen Auszahlschein. Am 01.04.2008 bescheinigte er Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bis 04.04.2008. Weitere Auszahlscheine stellte der Orthopäde Dr. Sch. unter dem 30.04.2008, dem 20.05.2008, dem 05.06.2008, dem 01.07.2008, dem 17.07.2008, dem 18.08.2008, dem 16.09.2008, dem 14.10.2008, dem 17.11.2008, dem 10.12.2008 und dem 07.01.2009 aus (jeweils mit offenem Ende der Arbeitsunfähigkeit). Die Auszahlscheine gingen alle innerhalb von zwei bis sieben Kalendertagen nach der Ausstellung bei der Beklagten ein.

Bereits am 01.04.2008 meldete sich K arbeitslos. Er bezog vom 05.04.2008 bis 06.01.2009 Arbeitslosengeld. Im Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 13.05.2008 wird ausgeführt, K könne vollschichtig leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne besondere Stressfakt...

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