Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Physiotherapeut. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung. sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum sozialversicherungsrechtlichen Status eines Physiotherapeuten (hier: abhängig beschäftigt).

2. Durch die Verbindung mehrerer Klageverfahren gemäß § 113 Abs 1 SGG erstreckt sich die Kostenprivilegierung eines Klägers (§ 183 SGG) auch auf nicht kostenprivilegierte Kläger, sodass die Kostenentscheidung für diesen Rechtszug einheitlich auf §193 SGG beruht.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 12.01.2022; Aktenzeichen B 12 R 26/21 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. November 2019 aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der sozialversicherungsrechtliche Status des Klägers zu 2 in seiner für die Klägerin zu 1 vom 16. Mai 2017 bis 30. Juni 2019 ausgeübten Tätigkeit als Physiotherapeut streitig.

Die Klägerin zu 1 ist eine Praxis für Physiotherapie in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die u.a. Krankengymnastik, manuelle Therapie, Massagen, Elektrotherapie, Heißluft- und Schlingentischbehandlungen und auch Hausbesuche anbietet. Gesellschafter der Klägerin sind St. G. (G.) und K.-I. Sch. (Sch.). Diese sind ausgebildete Physiotherapeuten und waren im streitigen Zeitraum jeweils in Vollzeit in ihrer Praxis tätig. Die Klägerin zu 1 ist zur Erbringung von Leistungen der Physiotherapie nach § 124 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassen, und zwar mit einer Praxiskapazität von fünf Physiotherapeuten.

Die Praxis der Klägerin zu 1 besteht aus sechs Behandlungsräumen mit entsprechender Ausstattung, wie Behandlungsliegen, Lagerungsmaterial und Trainingsgeräten, wobei einzelne Räume über eine darüberhinausgehende Ausstattung für spezielle Behandlungsarten, wie bspw. Rotlicht- oder Schlingentischbehandlungen verfügen. Die Klägerin zu 1 beschäftigt keine Mitarbeiter, auch keine Rezeptionskräfte. Im streitigen Zeitraum waren neben dem Kläger zu 2 vier bzw. fünf weitere Physiotherapeuten für die Klägerin zu 1 tätig (vgl. Terminplan vom 17. Januar 2019; Bl. 64 Senatsakte).

Die Terminvergabe an Patienten, die an die Klägerin zu 1 herantraten, erfolgte organisatorisch der Gestalt, dass Name, Telefonnummer und gewünschte Behandlung des Patienten in einer Liste erfasst und nachfolgend auf die tätigen Physiotherapeuten jeweils abhängig von ihrer fachlichen Qualifikation verteilt wurden. Die Physiotherapeuten traten dann telefonisch an die jeweiligen Patienten heran und vereinbarten mit diesen einen konkreten Behandlungstermin. Soweit Patienten die Behandlung durch einen ganz bestimmten Physiotherapeuten wünschten, wurde die Behandlung von diesem übernommen. Ggf. setzten sich die Patienten zur Vereinbarung eines Termins auch unmittelbar mit dem gewünschten Physiotherapeuten in Verbindung.

Die Belegung der Behandlungsräume durch die jeweiligen Physiotherapeuten erfolgte abhängig von der Behandlungsart. Begrenzender Faktor für die Belegung war im Übrigen die maximale Belegungskapazität der Praxis von fünf Therapeuten gleichzeitig. Zur Koordinierung wurde kein Raumbelegungsplan geführt, sondern ein Terminplan, der tageweise auswies, zu welcher Zeit jeder einzelne Therapeut für welche Behandlungsart am jeweiligen Tag einen Termin vereinbart hatte.

Der 1984 geborene S. M. (M., im folgenden Kläger zu 2) ist ausgebildeter Physiotherapeut. Er betreibt seit 1. Mai 2017 in H. eine Privatpraxis für biokybernetische Physiotherapie.

Am 8. Mai 2017 schloss er mit der Klägerin zu 1 einen „Vertrag über freie Mitarbeit“ mit folgendem Inhalt:

㤠1

Herr/Frau [M.] nimmt am 16.05.2017 eine Tätigkeit als freie/r Mitarbeiter/in in der Gemeinschaftspraxis für Krankengymnastik [G.] und [Sch.] auf.

§ 2

Der/die freie Mitarbeiter/in bestimmt seine/ihre Arbeitszeit in der Praxis bzw. im Rahmen von Hausbesuchen für die Praxis selbst. Eine Eingliederung in den Praxisbetrieb findet nicht statt. Mit den Praxisinhabern erfolgt lediglich eine Abstimmung im Rahmen der Terminvereinbarung im Hinblick auf die Belegungsmöglichkeiten der Therapieräume.

Die Erteilung des Urlaubs sowie anderweitige Fehlzeiten erfolgt durch den/die freie/n Mitarbeiter/in. Über Fehlzeiten (krankheitsbedingt oder sonstige Fehlzeiten) sollen Patienten und Praxisinhaber benachrichtigt werden.

Der/die freie Mitarbeiter/in ist nicht weisungsgebunden, sondern handelt in jeglicher Art und Weise selbst verantwortlich. Insbesondere ist er/sie berechtigt, eigenes Personal zu beschäftigen bzw. für andere Auftraggeber tätig zu werden.

§ 3

Der/die freie Mitarbeiter/in führt für die Praxisinhaber physiotherapeutische Behandlungen an den Patienten der Praxis durch. Der/die freie Mitarbeiter ist nicht zur Behandlungsübernahme verpflichtet; er/sie kann ohne Angabe von Gründen eine Behandlungsübernahme im Einzelnen ablehne...

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