Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 307d Abs 1 S 3 SGB 6. Zulässigkeit der Differenzierung zwischen Eltern von vor dem und ab dem 1.1.1992 geborenen Kindern

 

Leitsatz (amtlich)

Die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten nach § 307d Abs 1 S 3 SGB VI in der seit 1.1.2019 geltenden Fassung (Mütterrente II) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es verstößt (weiterhin) nicht gegen die Verfassung, dass Versicherte mit Anspruch auf Rente am 30.6.2014 mit vor dem 1.1.1992 geborenen Kindern und Versicherte mit ab dem 1.1.1992 geborenen Kindern nicht vollständig gleichgestellt sind.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 09.06.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin ab 01.01.2019 ein Anspruch auf weitergehende Berücksichtigung ihrer Kindererziehung und damit auch auf eine höhere Altersrente für Frauen zusteht.

Die 1942 geborene Klägerin hat vier Töchter, die 1975 geborene Tochter K. , die 1977 geborene Tochter A., die 1978 geborene Tochter C. sowie die 1981 geborene Tochter S. .

Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf ihren Antrag mit Bescheid vom 03.07.2002 Altersrente für Frauen in Höhe eines monatlichen Zahlbetrags von 457,32 €. Der Berechnung legte sie Kindererziehungszeiten im Umfang von einem Jahr pro Kind zugrunde. Bereits hiergegen erhob die Klägerin zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage mit der Begründung, die Berücksichtigung der Kindererziehung mit insgesamt lediglich 3,9984 Entgeltpunkten verstoße gegen die Verfassung (S 4 RA 3363/02). Nach einem zeitweiligen Ruhen des Verfahrens wegen anhängiger Verfahren beim Bundessozialgericht (BSG) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm die Klägerin ihre wieder angerufene Klage (S 13 R 3974/07) am 08.10.2007 zurück.

Mit Bescheid vom 04.09.2014 berechnete die Beklagte die Rente für die Zeit ab dem 01.07.2014 neu, wobei sie für die Kindererziehung pro Kind einen Zuschlag in Höhe eines persönlichen Entgeltpunktes berücksichtigte (sog. Mütterrente). Der monatliche Zahlbetrag erhöhte sich auf 588,01 €. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit der Begründung, es sei verfassungswidrig, dass Mütter, deren Kinder ab 1992 geboren worden seien, mehr Entgeltpunkte erhielten. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 10.12.2014) erhobene Klage beim SG (S 4 R 5837/14) wurde mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2015 zurückgewiesen. Die anschließend von der Klägerin eingelegte Berufung wurde mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 21.09.2015 (L 10 R 1088/15) zurückgewiesen.

Mit Bescheid vom 24.04.2019 berechnete die Beklagte die Rente ab dem 01.01.2019 neu, wobei sie für die Kindererziehung eines jeden Kindes einen (weiteren) Zuschlag in Höhe eines halben persönlichen Entgeltpunktes berücksichtigte (sog. Mütterrente II). Der monatliche Zahlbetrag der Rente belief sich fortan auf 701,86 €.

Hiergegen legte die Klägerin am 28.05.2019 Widerspruch ein und beantragte einen Zuschlag von einem Entgeltpunkt pro Kind, anstatt eines halben. Zur Begründung führte sie aus, hierin liege eine Ungleichbehandlung zu den Müttern, die nach 1992 ihre Kinder geboren hätten und insgesamt drei Entgeltpunkte (statt zweieinhalb) erhielten, die nicht zu rechtfertigen sei. Insbesondere gehörten frühere Argumente für die Verfassungsmäßigkeit, wie etwa Geldmangel in der Rentenversicherung der Vergangenheit an. Beispielsweise koste die Frühverrentung viel mehr als die zusätzlichen 0,5 Entgeltpunkte für die Mütterrente.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für die Zuerkennung weiterer, über den bereits anerkannten halben Entgeltpunkt hinausgehende Entgeltpunkte gäbe es keine gesetzliche Grundlage. Die Beklagte sei bei ihrem Handeln an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG).

Hiergegen hat die Klägerin am 19.08.2019 Klage zum SG erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf ihre Widerspruchsbegründung verwiesen und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr eine höhere Rente unter Berücksichtigung von insgesamt jeweils drei Entgeltpunkten für die Kindererziehung ihrer vier Kinder zu gewähren, hilfsweise das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zur geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung einzuholen, höchst hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Art. 276 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Frage vorzulegen, ob die bisherige Regelung zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder gegen höherrangiges Recht verstoße.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.06.2020 hat das SG die Klage abgewiesen und zur B...

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