Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Prozessvertretung als Grund für eine Nichtigkeitsklage. Darlegungs- und Beweislast für den Nichtigkeitsgrund im Nichtigkeitsklageverfahren. Ausschluss der freien Willensbildung als Grund für eine Geschäftsunfähigkeit. Nachweis der Geschäftsunfähigkeit durch konkreten Tatsachenvortrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein zur Nichtigkeit des angefochtenen Urteils führender Grund ist gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO dann gegeben, wenn die klagende Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Partei im Vorprozess nach §§ 51 Abs. 1 ZPO, 104 BGB prozessunfähig war.

2. Die Darlegungs- und Beweislast für den Nichtigkeitsgrund der unwirksam erteilten Prozessvollmacht an den Prozessbevollmächtigten liegt bei demjenigen, der die Nichtigkeitsklage als Kläger führt.

3. Die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB setzt den Ausschluss der freien Willensbildung voraus. Dieser Fall ist gegeben, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist dabei darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann.

4. An den Nachweis der Geschäftsunfähigkeit sind konkrete Anforderungen zu stellen. Nicht jede psychische Erkrankung, wie z.B. eine Angststörung bedingt eine Geschäftsunfähigkeit. Ebensowenig ist die Bestellung eines Betreuers gem. § 1896 Abs. 1 BGB ein Indiz für eine bestehende Geschäftsunfähigkeit. Denn auch eine unter Betreuung gestellte Person besitzt nach wie vor die volle und uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit.

 

Normenkette

BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 1; ZPO § 51 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Flensburg (Aktenzeichen 3 Ca 719/09)

 

Tenor

  1. Die Nichtigkeitsklage der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27.01.2011, Az. 1 Sa 84 b/11, wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Streitgegenständlich ist eine Nichtigkeitsklage, mit der die Klägerin die Aufhebung eines Urteils des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 17.01.2012, 1 Sa 84 b/11, begehrt, mit welchem unter Abänderung des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils ihre Kündigungsschutzklage abgewiesen wurde.

Die 1964 geborene Klägerin wurde von der Stadt B. ab dem 12.06.2006 befristet bis zum 31.12.2010 als Personalvermittlerin in Vollzeit eingestellt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging infolge einer Verwaltungsfusion zum 01.05.2008 auf die Beklagte über. Die Klägerin war eingruppiert in Entgeltgruppe 9 TVöD und bezog zuletzt ein Monatsgehalt von 2.613,93 € brutto.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien war belastet durch einen Konflikt, der zum einen die Unzufriedenheit des beklagten Amtes mit der Arbeitsleistung der Klägerin und zum anderen die von der Klägerin empfundene Arbeitsüberlastung zum Gegenstand hatte. Dieser Konflikt war Gegenstand zahlreicher Personalgespräche. Die Beklagte erteilte der Klägerin am 07.11.2008 zwei Abmahnungen und setzte ihr zur Aufarbeitung von Rückständen eine Frist bis zum 21.11.2008. Eine hernach ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 08.12.2008 sowie eine fristlose Kündigung vom 30.01.2009 nahm die Beklagte jeweils im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Kündigungsschutzverfahren einvernehmlich zurück. Am 22.04.2009 hörte die Beklagte den Personalrat unter Beifügung des Entwurfs des Kündigungsschreibens zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung zum 30.06.2009 an. Nachdem der Personalrat keine Stellungnahme abgegeben hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.05.2009 fristgerecht zum 30.06.2009 (Bl. 5 - 9 d. A.). Hierin warf die Beklagte der Klägerin vor, dass sie Zahlungsverpflichtungen (im Wesentlichen Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber) in einer Gesamtsumme von 42.851,38 € zulasten des Budgets 2009 eingegangen sei, zu denen sich keinerlei Hinweise, keine Aktenvermerke, keine Bescheide o. ä. in den Akten befänden. Der von der Klägerin hiergegen erhobenen Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht Flensburg mit Urteil vom 27.01.2011 statt, Az. 3 Ca 719/09. Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein. In dem Berufungsverfahren ließ sich die Klägerin zunächst durch den D. vertreten und sodann durch Rechtsanwalt R., der am 06.06.2011 auf die Berufung erwiderte. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein wies unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Kündigungsschutzklage nach Beweiserhebung mit Urteil vom 17.01.2012 ab, Az. 1 Sa 84 b/11. Zur Begründung führte es aus, dass die Klägerin die vorgegebenen Verfahren bei der Bewilligung von Lohnkostenzuschüssen und Qualifizierungszuschüssen...

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