Einführung zum Ersten Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)

– Allgemeiner Teil –

Das deutsche Sozial- und Sozialversicherungsrecht entwickelte sich in den letzten beiden Jahrhunderten aus den verschiedensten rechts- und sozialpolitischen Grundlagen heraus. Dementsprechend gab es eine Vielzahl von Gesetzen, die teilweise auf dem Versicherungsprinzip (Sozialversicherung, Arbeitsförderung) beruhten, teilweise auf den Fürsorgegedanken zurückgingen (Sozialhilfe, Kriegsopferversorgung).

Entsprechend dieser unterschiedlichen Ausgangslage waren Art, Voraussetzungen und Umfang der Sozialleistungen jeweils eigenständig geregelt, was einerseits zu Überschneidungen und Kumulation von Leistungen, andererseits jedoch auch zu Lücken im sozialen Schutzsystem führte. Darüber hinaus erschwerte dies die Rechtsanwendung und insbesondere auch die Überschaubarkeit und Verständlichkeit für den Bürger. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, das Sozialrecht zu harmonisieren.

Mit dem SGB I wurde damit begonnen, den gesamten Bereich der Sozialleistungen in einem Gesetzbuch zusammenzufassen, um das Rechtsverständnis des Bürgers und damit sein Vertrauen in den sozialen Rechtsstaat zu fördern, die Rechtsanwendung durch Verwaltung und Rechtsprechung zu erleichtern und die Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Da allerdings mit dem SGB I noch keine umfassende Kodifikation der besonderen Teile des (künftigen) Sozialgesetzbuchs verbunden war und das Sozialgesetzbuch die unterschiedlichsten Sozialrechtsmaterien enthalten sollte, war es unausweichlich, dass einerseits in Art. II § 1 des SGB I von 1975 (BGBl. I S. 3015), jetzt § 68, eine Vielzahl von Gesetzen zu besonderen Büchern des SGB erklärt worden waren und andererseits durch Vorbehaltsklauseln (§ 2 Abs. 1 Satz 2, § 37) die Bedeutung des SGB I als Allgemeiner Teil relativiert werden musste und nach wie vor keine vollständige Harmonisierung erreicht ist.

Das SGB I trat durch das Gesetz v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015) mit Wirkung zum 1.1.1976 in Kraft. Seitdem ist es aktuell durch 103 Gesetze geändert worden.

Als weitere Bücher des Sozialgesetzbuchs sind in Kraft getreten

 
SGB II   Grundsicherung für Arbeitssuchende seit 1.1.2005
SGB III   Arbeitsförderung seit 1.1.1998
SGB IV   Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung seit 1.7.1977
SGB V   Gesetzliche Krankenversicherung seit 1.1.1989
SGB VI   Gesetzliche Rentenversicherung seit 1.1.1991 (im Beitrittsgebiet Ost), seit 1.1.1992 insgesamt
SGB VII   Gesetzliche Unfallversicherung seit 1.1.1997
SGB VIII   Kinder- und Jugendhilfe seit 1.1.1991
SGB IX   Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen seit 1.7.2001
SGB X   Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz seit 1.1.1981
SGB XI   Soziale Pflegeversicherung seit 1.1.1995
SGB XII   Sozialhilfe seit 1.1.2005
SGB XIV   Soziales Entschädigungsrecht seit 1.1.2014  

Das ursprüngliche Vorhaben einer umfassenden Kodifikation des Sozialrechts in einem Buch kann als gescheitert angesehen werden. Trotz der Übernahme sozialrechtlicher Materien in und als Sozialgesetzbücher ist die Zahl der als besondere Bücher des SGB geltenden Gesetze (§ 68) angestiegen. Dies ist weitgehend darauf zurückzuführen, dass einzelne Gesetze nur zum Teil sozialrechtliche, daneben aber auch arbeits- oder verwaltungsrechtliche Regelungen (z. B. BEEG, Strafrechtliches Rehabilitationsrecht) enthalten, sodass sie nicht vollständig dem Sozialrecht zugeordnet werden können. Aber auch andere sozialrechtliche Gesetze (z. B. BAföG, WoGG) sind auch im Zusammenhang mit deren Neufassung, entgegen der ursprünglichen Absicht, nicht in das SGB übernommen worden.

Mit der Einschränkung durch Vorbehaltsklauseln enthält das SGB I als Allgemeiner Teil des Sozialgesetzbuchs, ähnlich dem SGB IV für die Sozialversicherung und dem SGB X für das Verwaltungsverfahrensrecht, vor die Klammer gezogene allgemeine und grundsätzlich für alle Gegenstände des Sozialgesetzbuchs geltende Grundsätze und Definitionen sozialrechtlicher Begriffe.

Der Erste Abschnitt (§§ 1 bis 10 – Aufgaben des Sozialgesetzbuchs und soziale Rechte) und der Zweite Abschnitt (§§ 11 bis 29 – Einweisungsvorschriften) haben im wesentlichen programmatischen und informatorischen Charakter.

Der Dritte Abschnitt (§§ 30 bis 71 – Gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs) enthält demgegenüber unmittelbar geltendes und für alle Sozialleistungsbereiche anwendbares Recht und bildet den eigentlichen Kern des SGB I.

Die Kommentierung orientiert sich an den Bedürfnissen der Praxis und enthält nur insoweit rechtstheoretische Erläuterungen, soweit dies wegen streitiger Rechtsfragen zur Begründung einer Rechtsauffassung erforderlich ist. Für die weitere Vertiefung von Rechtsfragen kann auf die angegebene Literatur zurückgegriffen werden.

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