2.1.1 Beteiligungsrecht als subjektives Recht

 

Rz. 3

Aus Abs. 1 folgt kein Anspruch auf eine Verwaltungsentscheidung bestimmten Inhalts, sondern auf Beteiligung an ihr. Die Vorschrift normiert die Pflicht ("sind zu beteiligen") des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, Kinder und Jugendliche zu beteiligen. Daraus resultiert nicht nur ein Rechtsreflex, sondern ein als subjektives Recht ausgestaltetes besonderes Verfahrensrecht des betroffenen Kindes oder Jugendlichen. Der Gesetzgeber hat bewusst diese Spezialnorm geschaffen. Das Beteiligungsrecht unterscheidet sich nämlich seiner Art und seiner Tragweite nach von den Vorschriften über die Beteiligung und die Hinzuziehung (§ 12 SGB X) im Verwaltungsverfahren. Es ist nicht darauf beschränkt, bestimmte Verfahrensrechte auszulösen, wie etwa das Recht auf Akteneinsicht. Diese Rechte bestehen vielmehr unabhängig davon, wenn und soweit die jeweiligen Voraussetzungen gegeben sind. Der Anwendungsbereich des Beteiligungsrechtes aus Abs. 1 geht erst recht über den des Anhörungsrechtes aus § 24 SGB X hinaus. Soweit sich Beteiligungs- und Anhörungsrecht überschneiden, wird die Frage nach dem Vor- und Nachrang aufgeworfen. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte des Kindes oder Jugendlichen eingreift, geht das Anhörungsrecht aus § 24 Abs. 1 SGB X vor. Denn die Vorschrift enthält in Bezug auf diese spezielle Konstellation die konkretere Regelung.

2.1.2 Kinder und Jugendliche betreffende Entscheidungen

 

Rz. 4

Der Begriff der Entscheidung ist weit gefasst. Er erfasst sowohl den Verwaltungsakt, der gewöhnlich den Abschluss eines Verwaltungsverfahrens darstellt, als auch schlichtes Verwaltungshandeln, soweit es als Entscheidung qualifiziert werden kann. Der Begriff der Entscheidung ist weit gefasst. Er umfasst auch tatsächliches Handeln und Dienstleistungen, wie etwa ein Beratungsgespräch. Die Entscheidung muss das Kind oder den Jugendlichen betreffen. Damit ist ein Betroffensein im Einzelfall gemeint. Beteiligt ist das Kind oder der Jugendliche auch dann, wenn eine behördliche Maßnahme zwar nicht von ihm selbst, sondern vom Personensorgeberechtigten oder vom Erziehungsberechtigten beantragt wurde und wenn ein Verwaltungsakt letzteren Personen gegenüber ergeht, aber das Kind oder der Jugendliche in seinen schützenswerten Interessen hiervon betroffen ist.

2.1.3 Beteiligung entsprechend ihrem Entwicklungsstand

 

Rz. 5

Das Gesetz legt keine Altersgrenze fest, von der an die Beteiligung erfolgen muss. Vielmehr ist die individuelle Einsichtsfähigkeit und der Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen maßgeblich. Die Einsichtsfähigkeit ist im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweils maßgeblichen Lebens- und Handlungsbereichs zu beurteilen. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss dies im Einzelfall prüfen. Grundlage der Überlegungen zur weiteren Klärung der maßgeblichen Kriterien ist eine Entscheidung des BVerfG (Urteil v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79, BVerfGE 59 S. 360 = NJW 1982 S. 1375 ff.).

 

Rz. 5a

Die Regelungen in § 159 FamFG, die ab 1.9.2009 die Vorschriften des § 50b FGG a. F. abgelöst haben, enthalten ähnlich flexible Regelungen. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift besteht die Anhörungspflicht zwar grundsätzlich erst dann, wenn das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat. Abs. 2 sieht jedoch darüber hinaus eine Anhörungspflicht vor Vollendung des 14. Lebensjahres vor, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist (vgl. dazu: Ivanits, ZKJ 2012 S. 98). Abs. 4 sieht darüber hinaus eine Informationspflicht vor. Das Gericht darf nur aus schwerwiegenden Gründen von der Anhörung absehen (Abs. 2). Die Beschwerdebefugnis im gerichtlichen Verfahren ist allerdings an die Vollendung des 14. Lebensjahres geknüpft (§ 60 FamFG).

 

Rz. 5b

Verschiedene gerichtliche Entscheidungen legen eine Altersgrenze fest. So wird angenommen, dass der Wille des Kindes vom 10. Lebensjahr an zu beachten ist (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 27.10.1978, 4 UF 30/78, FamRZ 1979 S. 856). Wenn es darum geht, dass der persönliche Eindruck Aufschluss über die Empfindungen eines Kindes gibt, kann bereits ein 3-jähriges Kind anzuhören sein (BayObLG, Beschluss v. 9.12.1983, BReg 1 Z 46, 47/83, BReg 1 Z 46/83, BReg 1 Z 47/83).

 

Rz. 5c

Mit der "persönlichen" Anhörung nach §§ 159, 160 FamFG ist eine mündliche Anhörung gemeint, damit sich das Gericht einen "persönlichen" Eindruck verschaffen kann (OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 23.12.2009, 8 UF 219/09). Wenn es für die Entscheidung auf den persönlichen Eindruck von dem Kind und dessen Willen ankommt, ist die Anhörung in der Beschwerdeinstanz vom gesamten Senat durchzuführen (BGH, Beschluss v. 28.4.2010, XII ZB 81/09).

 

Rz. 6

Die Beteiligung des Kindes oder des Jugendlichen ist im Verwaltungsverfahren nach dem SGB VIII zwingend vorgeschrieben. Das Übergehen des Beteiligungsrechts führt zur Rechtswidrigkeit der darauf beruhenden Verwaltungsentscheidung. Allerdings kann im Einzelfall eine aufgrund des Beteiligungsrechts unterbliebene Hinzuziehung i. S. d. § 12 Abs. 2 SGB X gemäß § 41 Abs. 2 Nr...

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