Rz. 6

Neben der Förderung der Entwicklung normiert Abs. 1 ein Recht auf Erziehung. Dieses Recht besteht jedoch primär nicht gegenüber dem Staat. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht (dazu im Einzelnen Rz. 8). Demgemäß betont Abs. 2 den Vorrang des elterlichen Erziehungsrechts. Die Kinder- und Jugendhilfe hat daneben keinen eigenständigen Erziehungsauftrag (vgl. Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 1 Rz. 5). Sie leistet den Eltern und Erziehungsberechtigten Hilfe bei der Erziehung. Der Begriff der Erziehung ist äußerst vielschichtig. Er widersetzt sich einer allgemeingültigen Definition; vielmehr muss er aus der jeweiligen Funktionsbestimmung und Erscheinungsform heraus verstanden werden. Absatz 1 stellt den Erziehungsprozess in den Vordergrund. Dieser verbindet die pädagogische Theorie mit der erzieherischen Praxis. Er ist ein bedeutender Teil des Sozialisierungsprozesses mit dem Ziel der Einbindung der jungen Menschen in ein bestehendes Sozialgefüge und entwickelt sich aus dem Zusammenspiel von normativen und emanzipatorischen Strategien. Diese sollen einerseits die Weitergabe sozialer, ethischer und religiöser Wertvorstellungen gewährleisten (intentionale Erziehung) und andererseits den Menschen zur Selbsterziehung aufgrund eigener Einsicht und Erfahrung motivieren. Sie soll ihn ferner zu individueller Behauptung und Selbstverwirklichung in der menschlichen Gesellschaft (funktionale Erziehung) befähigen (Brockhaus, 19. Aufl. Mannheim 1988, Bd. 6, Stichwort: Erziehung). Das erstere Element wird im Gesetzeswortlaut gekennzeichnet durch den Begriff der Förderung der Entwicklung, während die eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit als Erziehungsziel i. S. d. funktionalen Erziehungsbegriffs formuliert wird. Dieses Erziehungsziel wird auch in der Rechtsprechung des BVerfG genannt (BVerfGE 24 S. 144). Die Zielvorgabe ist sowohl für die öffentlichen als auch für die freien Träger der Jugendhilfe maßgeblich.

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