2.4.3.1 Bisher keine Listen-Berufskrankheit

 

Rz. 64

Die Krankheit darf nicht in der Berufskrankheitenliste (Anlage 1 zur BKV) aufgeführt sein (1. Alternative). Die Krankheit ist zwar in der Berufskrankheitenliste aufgeführt, die weiteren dort aufgeführten Voraussetzungen, insbesondere die dort genannten Einwirkungen, liegen nicht vor (Alternative 2).

 
Praxis-Beispiel
  • Hautkrebs, der bei einem Dachdecker aber nicht durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe (Nr. 5102), sondern durch UV-Licht verursacht wurde.
  • Grauer Star, der bei einem Schweißer aber nicht durch Wärmestrahlung (Nr. 2401), sondern durch UV-Licht hervorgerufen wurde.

2.4.3.2 Voraussetzungen nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt

 

Rz. 65

Die in Abs. 1 Satz 2 genannten Grundvoraussetzungen für die Aufnahme in die Berufskrankheitenliste müssen auch für die Anerkennung nach Abs. 2 erfüllt sein. Daher sind die unter Rz. 45 bis 54 erläuterten Voraussetzungen an dieser Stelle zu prüfen: Der Versicherte muss einer besonderen Personengruppe angehört haben, die besonderen Einwirkungen, das heißt, Einwirkungen mit einem erheblich höheren Einwirkungsgrad ausgesetzt war als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (vgl. Rz. 45 bis 52). Diese Einwirkungen müssen generell geeignet sein, eine Erkrankung bei Angehörigen der Gruppe auszulösen (Rz. 53 f.). Anders als bei der Prüfung der Voraussetzungen nach Abs. 1 ist also im Einzelfall die Zugehörigkeit des Versicherten zu der besonderen Personengruppe zu prüfen und festzustellen. Dazu ist jedoch ebenso wie im Falle des Abs. 1 zu prüfen, ob der Versicherte vergleichbaren Expositionen und ähnlichen betrieblichen Verhältnissen ausgesetzt war.

 

Rz. 66

Verschiedentlich diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Problematik der "Ein-Mann-Gruppe". Kommt eine Anerkennung nach Abs. 2 in Betracht, wenn nur ein einziger Versicherter der besonderen schädigenden Einwirkung ausgesetzt war? Kann in einem solchen – sicherlich seltenen – Fall von einer berufsgruppenspezifischen erhöhten Gefährdung gesprochen werden? Dem Wortlaut des Abs. 2 nach ist das zu verneinen. Das BSG (Urteil v. 29.10.1981, 8/8a RU 82/80) hat gleichwohl die Voraussetzung bejaht. Danach ist der Begriff der Personengruppe ausdehnend dahingehend auszulegen und auf eine einzelne Person anzuwenden, wenn aufgrund besonderer Arbeitsvorgänge oder sonstiger besonderer Umstände zwar nur eine Person den besonderen schädigenden Einwirkungen ausgesetzt war, theoretisch aber auch andere Personen in denkbar gleicher Lage hätten betroffen sein können.

2.4.3.3 Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft

 

Rz. 67

Die in Abs. 1 Satz 2 bereits als Voraussetzung genannten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (zur Interpretation dieses Begriffs vgl. Rz. 48 f.) über die vorgenannten Voraussetzungen müssen "neu" sein.

 

Rz. 68

  • Neu sind zunächst einmal diejenigen Erkenntnisse, die zum Zeitpunkt der letzten Änderung der BKV noch nicht vorhanden waren.
  • Neu sind aber auch solche Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, die zwar schon vor der letzten Änderung der BKV vorhanden waren, dem Verordnungsgeber der BKV aber noch nicht bekannt waren (BSG, Urteil v. 4.8.1981, 5a/5 RKnU 1/80).
  • Neu sind auch solche Erkenntnisse, die sich erst nach dem Zeitpunkt der letzten Änderung der BKV zur sog. Berufskrankheitenreife verdichtet haben. Das ist folgendermaßen zu verstehen: Die Ergebnisse einzelner arbeitsmedizinischer oder epidemiologischer Studien über den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Einwirkung und einer bestimmten Erkrankung reichen noch nicht aus, um die Voraussetzungen nach Abs. 1 Satz 2 für die Aufnahme in die Berufskrankheitenliste zu erfüllen. Dazu müssen weitere Studien und Forschungsprojekte durchgeführt werden, die sich zumeist über eine Reihe von Jahren hinziehen (so z. B. bei der beruflich bedingten Synkanzerogenese, der durch kniestrapazierende Tätigkeiten verursachten Gonarthrose oder dem durch natürliches oder künstliches UV-Licht verursachten Hautkrebs).
  • Neu sind auch solche Erkenntnisse, die nach einer Ablehnung der Aufnahme in die Berufskrankheitenliste dazu führen, dass das Verfahren wieder aufgenommen und aufgrund dieser hinzugetretenen Erkenntnisse nunmehr die Berufskrankheitenreife eintritt.
 

Rz. 69

Die neuen Erkenntnisse müssen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen. Der Bescheid des Unfallversicherungsträgers bestimmt den Entscheidungszeitpunkt. Wird der Bescheid mit dem Widerspruch angefochten, ist der Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids maßgeblich. Schließt sich ein Sozialrechtsstreit an, so ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz, also im Berufungsverfahren vor dem LSG maßgeblich. Alle bis dahin eingetretenen Erkenntnisse sind einzubeziehen (vgl. aber Rz. 71).

2.4.3.4 Ursachenzusammenhang im Einzelfall

 

Rz. 70

Ebenso wie bei der Anerkennung nach Abs. 1 muss auch bei der Anerkennung wie eine Berufskrankheit die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität im Einzelfall geprüft werden. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der gefährdenden Einwirkung bei der versicherten Beschäftigung und zwischen dieser Einwirkung und der Erkrankung müssen mit Wahrscheinlichkeit feststellbar se...

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