0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (VerbaKJUVBG) v. 28.10.2015 (BGBl. I S. 1802) mit Wirkung zum 1.11.2015 in das SGB VIII eingefügt. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/6289 S. 4) die Aufnahme einer Regelung zur verbindlichen Feststellung des Alters der mutmaßlich minderjährigen ausländischen Person durch das Jugendamt gefordert. Eine Regelung zur Altersfeststellung ist erforderlich, um spätere Auseinandersetzungen über Altersfragen zu vermeiden (BT-Drs. 18/6392 S. 20).

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Minderjährigkeit ist sowohl für die Inobhutnahme nach § 42 als auch für die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a die Grundvoraussetzung. Die in Obhut zu nehmende Person muss ein Kind oder ein Jugendlicher sein. Zur Feststellung dieser Grundvoraussetzung bedarf es eigentlich keiner gesonderten gesetzlichen Vorschrift. Wie die große Anzahl verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen (84 Dokumente in der juris-Datenbank, Stand 1.2.2016) zeigt, war jedoch bereits vor Inkrafttreten des VerbaKJUVBG die Altersfeststellung in einer Vielzahl von Verwaltungsverfahren eine streitig festzustellende Tatsache. Daher ist es sinnvoll und geboten, das Verfahren bei der Altersfeststellung gesetzlich zu regeln. Wird Volljährigkeit festgestellt, so wird diese Person aus der Obhut bzw. aus der vorläufigen Obhut des Jugendamtes entlassen. Die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a erledigt sich durch den Erlass einer endgültigen Ablehnungsentscheidung auf andere Weise i. S. d. § 39 Abs. 2 SGB X (OVG Bremen, Beschluss v. 18.11.2015, 2 B 221/15, 2 PA 223/15 mit Anm. Kirchhoff, in: juris-PK-SozR 9/2016 Anm. 1). Die Altersfeststellung dient der Klärung einer Vorfrage vor der Entscheidung über die Inobhutnahme. Sie stellt daher ihrerseits keinen Verwaltungsakt dar. Es handelt sich vielmehr um eine unselbstständige Verfahrenshandlung i. S. d. § 44a VwGO (BVerwG, Urteil v. 26.4.2018, 5 C 11/17, Rz. 29). Kann das Altersfeststellungsverfahren nicht mehr abgeschlossen werden, bevor der Betroffene unstreitig volljährig wird, ist die Ausländerbehörde im Grundsatz nicht gehindert, im Anschluss ein ausländerrechtliches Verteilungsverfahren nach § 15a AufenthG durchzuführen (OVG Bremen, Beschluss v. 7.6.2018, 1 B 92/18).

2 Rechtspraxis

2.1 Altersfeststellung (Abs. 1)

 

Rz. 3

Die Altersfeststellung soll gemäß Abs. 1 Satz 1 "im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person nach § 42a" erfolgen. Dies wirft die Frage auf, ob diese Feststellung vor oder während der vorläufigen Inobhutnahme erfolgen soll. Das Letztere ist der Fall. Ist nämlich unklar, ob die betreffende Person minderjährig oder volljährig ist, so wird sie zunächst einmal in vorläufige Obhut genommen und die Maßnahmen zur Altersfeststellung erfolgen anschließend. Dies folgt aus dem Wortlaut von Abs. 1 Satz 1, wonach die Minderjährigkeit der ausländischen Person "im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme" festzustellen ist. Wird sodann Volljährigkeit festgestellt, so wird die Inobhutnahme beendet (§ 42f Abs. 3 Satz 1). Allenfalls in dem weniger häufig vorkommenden Fall, dass eine ausländische Person, bei der die Behörde von Volljährigkeit ausgeht und die vorläufige Inobhutnahme ablehnt, um weitere Maßnahmen zur Altersfeststellung nachsucht, erfolgt die Altersfeststellung vor Beginn der Inobhutnahme.

 

Rz. 4

Die Vorschrift normiert mehrere hintereinander gestaffelte Methoden der Altersfeststellung. Am Anfang steht – ungeschrieben – die Selbstauskunft der einreisenden Person. Diese sollte unbedingt schriftlich dokumentiert werden, um sie sodann mit den weiteren Erkenntnissen abgleichen zu können. Vielfach wird man schon vom Aussehen des Betreffenden ausgehend einschätzen können, dass er minderjährig ist (Kirchhoff, in: Luthe/Nellissen, juris-PK SGB VIII, § 42f Rz. 12). Ergeben sich aufgrund der Physiognomie Zweifel, ob es sich um einen älteren Jugendlichen oder einen jungen Erwachsenen handelt, so muss das Alter des Betreffenden mit den weiteren in der Vorschrift genannten Methoden festgestellt werden. Allerdings stellen die in solchen Gesprächen gewonnenen Eindrücke von äußeren Merkmalen wie Falten oder die Art der Fragebeantwortung (Gestik, Mimik, Habitus o. ä.) keine anerkannten und gerichtlich nachprüfbaren Kriterien der Altersbestimmung dar (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 4.3.2013, OVG 6 S 3.13, OVG 6 M 5.13).

 

Rz. 4a

Zweifel bei der Feststellung des Alters bestehen im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.8.2017, OVG 6 S 27.17, OVG 6 M 61.17; Bay. VGH, Beschlüsse v. 13.12.2016, 12 CE 16.2333, und v. 16.8.2016, 12 CS 16.1550; OVG Bremen, Beschluss v. 21.9.2016, 1 B 164/16).

 

Rz. 5

Aus der Vorschrift des § 33a SGB I kann keine...

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