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Ziel des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist in nach § 183 gerichtskostenfreien Verfahren vorrangig die Beiordnung eines Rechtsanwalts (LSG Brandenburg-Berlin, Beschluss v. 20.11.2013, L 19 AS 1651/13 B PKH). Ein Anspruch auf Beiordnung besteht, wenn

 

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Erforderlich nach § 121 Abs. 2 ZPO ist eine Beiordnung, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder schwer zu überschauen ist oder ein Beteiligter nicht selbst in der Lage ist, seine Rechte angemessen wahrzunehmen (BVerfG, Beschluss v. 9.7.2010, 2 BvR 2258/09). Dies beurteilt sich nach dem Umfang und der (tatsächlichen oder rechtlichen) Schwierigkeit der konkreten Sache sowie nach den subjektiven Fähigkeiten des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (BGH, Beschluss v. 23.6.2010, XII ZB 232/09; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 20.3.2012, 1 BvR 3069/11) aber auch nach der (existentiellen) Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen (BVerfG, Beschlüsse v. 9.7.2010, 2 BvR 2258/09, und v. 18.3.2003, 1 BvR 329/03; BGH, Beschluss v. 18.2.2009, XII ZB 137/08; BAG, Beschluss v. 18.5.2010, 3 AZB 9/10). Der im Verfahren zu beachtende Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten ist in die Erwägungen mit einzubeziehen. Es handelt sich dabei um eine Einzelfallprüfung. Ein ausschließliches Abstellen auf das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer Beiordnung ist nicht zulässig (BVerfG, Beschluss v. 24.3.2011, 1 BvR 2493/10). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (BVerfG, Beschlüsse v. 24.3.2011, 1 BvR 1737/10, und 1 BvR 2493/10; vgl. auch BSG, Urteil v. 20.2.2020, B 14 AS 3/19 R zur Notwendigkeit der Beiziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren). Sprachprobleme des Antragstellers begründen alleine keine Erforderlichkeit (BVerfG, Beschluss v. 18.3.2003, 1 BvR 329/03).

Wegen der Komplexität des Sozialrechts sind die Anforderungen an die Erforderlichkeit der Beiordnung im sozialgerichtlichen Verfahren nicht übermäßig hoch anzusetzen (BVerfG, Beschluss v. 6.5.2009, 1 BvR 439/08). In der Regel wird die Erforderlichkeit einer Beiordnung zu bejahen sein, da einem Beteiligten rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter der Behörde gegenüberstehen. Dies gilt auch dann, wenn schwerpunktmäßig tatsächliche Fragen, die durch eine Beweisaufnahme, z. B. durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, geklärt werden müssen, im Streit sind (BVerfG, Beschluss v. 17.2.1997, 1 BvR 1440/96, und v. 22.6.2007, 1 BvR 681/07). Sie ist insbesondere dann zu bejahen, wenn es im Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (BSG, Beschluss v. 17.2.1998, B 13 RJ 83/97 R). Die Erforderlichkeit kann nicht (pauschal) im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103) verneint werden; die Aufklärungs- und Beratungspflichten eines Rechtsanwalts gehen über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus (BVerfG, Beschluss v. 18.3.2003, 1 BvR 329/03; v. 6.5.2009, 1 BvR 439/08 zur Erforderlichkeit der Beiordnung in Schwerbehindertenverfahren, und v. 24.3.2011, 1 BvR 1737/10; BSG, Beschluss v. 17.2.1998, B 13 RJ 83/97 R).

Falls ein Beteiligter selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv zu fördern, ist eine Beiordnung nicht erforderlich (BVerfG, Beschluss v. 6.5.2009, 1 BvR 439/08; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 2.9.2010, 1 BvR 1974/08). Dies kann der Fall sein, wenn ein Beteiligter mehrere Verfahren mit parallelen, d. h. sachlich und rechtlich (nahezu) gleich gelagerten Fallgestaltungen betreibt und er die in einem Fall erhaltene Beratung durch einen Rechtsanwalt ohne wesentliche Änderungen auf die übrigen Fälle übertragen kann. In einer solchen Fallgestaltung wird ein Beteiligter in die Lage versetzt, die rechtliche Situation auch in den Parallelfällen hinreichend zu beurteilen (BVerfG, Beschluss v. 30.5.2011, 1 BvR 3151/10). Ebenso ist eine anwaltliche Vertretung für das Betreiben des Verfahrens nicht erforderlich, wenn das Betreiben des eigenen Verfahrens wegen eines "unechten" Musterverfahrens beim Revisionsgericht/Bundesverfassungsgericht i...

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