Rz. 216

Der Beschluss eines LSG über einen Befangenheitsantrag unterliegt nicht der revisionsgerichtlichen Kontrolle. Die Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist eine nach § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbare Entscheidung und nach § 202 SGG i. V. m. § 557 Abs. 2 ZPO der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Einer Überprüfung des Befangenheitsgesuchs durch das BSG steht grundsätzlich die Sperrwirkung des § 202 SGG i. V. m. § 557 Abs. 2 ZPO entgegen. Zwar gilt nach § 160 Abs. 1 SGG, dass mit der Revision nur Urteile des LSG oder in Fällen des § 161 SGG des SG anfechtbar sind. Nicht revisibel sind hingegen z. B. Beschlüsse des LSG, die nach § 177 SGG unanfechtbar sind, wie etwa eine Entscheidung über einen Befangenheitsantrag. Insoweit greift auch im sozialgerichtlichen Verfahren § 557 Abs. 2 ZPO ein (vgl. BSG, Beschluss v. 5.8.2003, B 3 P 8/03 B; Urteil v. 29.1.1959, 3 RK 7/55; vgl. auch BAG, Beschluss v. 20.1.2009, 1 ABR 78/07; für die VwGO vgl. BVerwG, Beschluss v. 15.8.2017, 4 BN 22.17). Deshalb ist eine inzidente Überprüfung der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über ein Ablehnungsgesuch im Rahmen einer Revision oder Rechtsbeschwerde gegen die unter Mitwirkung der erfolglos abgelehnten Richter getroffene Hauptentscheidung ausgeschlossen (BVerwG, Beschluss v. 15.8.2017, 4 BN 22.17; BAG, Beschluss v. 23.9.2008, 6 AZN 84/08; BGH, Beschluss v. 30.11.2006, III ZR 93/06). Die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags kann indes ausnahmsweise dann einen Verfahrensfehler i. S. d. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG begründen, wenn die Behandlung eines Ablehnungsantrags so fehlerhaft ist, dass durch die weitere Mitwirkung des Richters das Verfahrensgrundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. Rz. 217). Das ist dann der Fall, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs bestimmend waren (BSG, Beschluss v. 25.10.2012, B 9 V 17/12 B; Beschluss v. 5.8.2003, B 3 P 8/03 B; offengelassen von BAG, Beschluss v. 23.9.2008, 6 AZN 84/08; vgl. auch BVerfG, Entscheidung v. 31.7.2008, 1 BvR 416/08).

 

Rz. 217

Eine rechtswidrige Zurückweisung eines Befangenheitsantrags kann grundsätzlich nicht als Mangel eines danach unter Mitwirkung des erfolglos abgelehnten Richters durch Urteil abgeschlossenen Verfahrens i. S. v. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG geltend gemacht werden, weil es sich hierbei um eine dem Urteil vorausgehende Entscheidung des Berufungsgerichts handelt, die ihrerseits unanfechtbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss v. 15.8.2017, 4 BN 22.17; BSG, Beschluss v. 5.8.2003, B 3 P 8/03 B; Beschluss v. 9.1.2008, B 12 KR 24/07 B). Die Rüge fehlerhafter Besetzung des Berufungsgerichts bei Erlass des angefochtenen Urteils kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde allerdings darauf gestützt werden, die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs beruhe auf willkürlichen Erwägungen oder habe Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (BSG, Beschluss v. 2.11.2007, B 1 KR 72/07 B). Wenn ein zuvor erfolglos abgelehnter Richter an der angegriffenen Entscheidung mitgewirkt hat und die Entscheidung der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen, manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind, liegt ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters i. S. d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor (BSG, Urteil v. 10.9.1998, B 7 AL 36/98 R). Die Entscheidung über die Richterablehnung darf unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar, muss also offensichtlich unhaltbar sein (BVerwG, Beschluss v. 15.5.2008, 2 B 77/07), sei es den Inhalt, sei es das Verfahren betreffend (vgl. BSG, a. a. O.). Demzufolge rechtfertigt es die Rüge einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts auch, wenn die Ablehnungsentscheidung auf einem der Willkür vergleichbaren schweren Verfahrensmangel beruht (vgl. BVerwG, a. a. O.), wie z. B. auf einer schwerwiegenden Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BFH, Beschluss v. 19.2.2009, VIII B 52/08; Beschluss v. 29.8.2008, VIII B 62/08).

 

Rz. 218

Auch wenn es an einer Entscheidung des Berufungsgerichts über ein Ablehnungsgesuch fehlt, prüft das BSG die Ablehnungsgründe und entscheidet, sofern hinreichende Tatsachenfeststellungen möglich sind (vgl. BSG, Beschluss v. 29.3.2007, B 9a SB 18/06 B).

 

Rz. 219

Die Mitwirkung eines wegen Befangenheit ausgeschlossenen Richters führt dazu, dass das Gericht bei seiner Entscheidung unrichtig besetzt ist. Es liegt ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG i. V. m. § 547 Nr. 3 ZPO sowie ein Wiederaufnahmegrund nach § 179 SGG i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor. Allerdings gilt für das Berufungsverfahren etwas anderes, denn nach OLG Frankfurt (Urteil v. 17.12.2002, 14 U 60/00) sind die Voraussetzungen für eine notwendige Zurückverweisung nach § 538 ZPO nicht gegeben, wenn ein von der Entscheidung nach § 41 ZPO ausgeschlossener Richter oder ein Richter, der wegen Besorgnis der Befange...

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