Rz. 5

Das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG) verlangt im Verfahrensrecht dafür Vorsorge zu treffen, dass im Einzelfall ein nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietender Richter von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann (BVerfG, Beschluss v. 2.6.2005, 2 BvR 625/01; Beschluss v. 4.7.2001, 1 BvR 730/01; Beschluss v. 8.6.1993, 1 BvR 878/90; Beschluss v. 10.7.1990, 1 BvR 984/87, 1 BvR 985/87; Beschluss v. 28.10.1975, 2 BvR 258/75; Entscheidung v. 26.1.1971, 2 BvR 443/69; Beschluss v. 19.7.1967, 2 BvR 489/66; Beschluss v. 8.2.1967, 2 BvR 235/64). Für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen gelten im SGG nur die in § 60 Abs. 2 und 3 genannten Besonderheiten. Die Vorschrift verweist im Übrigen (vgl. Rz. 2) – wie auch § 54 Abs. 1 VwGO und § 51 Abs. 1 Satz 1 FGG – auf die Regelungen in der ZPO. Die Vorschrift betrifft Berufsrichter, ehrenamtliche Richter und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle. Die Vorschriften über die Ablehnung gelten gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 406 Abs. 1 ZPO auch für Sachverständige und gemäß § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 191 GVG für Dolmetscher. Die Ausschließungsgründe sind in § 41 ZPO abschließend genannt.

 

Rz. 6

Das Institut der Richterablehnung und das Institut des Ausgeschlossenseins eines Richters dienen demselben Ziel: Die Richterbank ist freizuhalten von Richtern, die dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt und den daran Beteiligten nicht mit der erforderlichen Distanz des unbeteiligten und deshalb am Ausgangsverfahren uninteressierten "Dritten" gegenüberstehen (BVerfG, Beschluss v. 8.2.1967, 2 BvR 235/64). Gleichwohl unterscheiden sie sich deutlich voneinander. Der Unterschied liegt zunächst darin, dass der Ausschluss eines Richters von der Mitwirkung bei einer Entscheidung kraft Gesetzes eintritt. Im Streitfall stellt das Gericht nur deklaratorisch fest, dass der Richter ausgeschlossen ist. Im Falle der Befangenheit ist die Entscheidung des Gerichts konstitutiv. Auch die einerseits zum Ausschluss, andererseits zur Besorgnis der Befangenheit führenden Tatbestände sind deutlich verschieden. Dem Fall des Ausgeschlossenseins liegen eindeutig nachprüfbare, objektivierbare Tatsachen und Vorgänge zugrunde. Ob eine Besorgnis der Befangenheit zu bejahen ist, hängt hingegen von vielfältigen Wertungen und damit von subjektiven Elementen ab. Demzufolge kann der Ausschluss von Amts wegen festgestellt werden und muss dann auch von Amts wegen berücksichtigt werden, während die Entscheidung über die Befangenheit eines Richters eines Anstoßes bedarf (der Geltendmachung) durch diejenigen, die sich durch die eine Besorgnis begründenden Vorgänge unmittelbar betroffen fühlen, also eines Antrags (vgl. BVerfG, Beschluss v. 5.10.1977, 2 BvL 10/75).

 

Rz. 7

Aus dem Recht auf den gesetzlichen Richter folgt nicht, dass die Gerichte allgemein von sich aus die Verfahrensbeteiligten vor einer Entscheidung darüber unterrichten müssen, welche Richter mitwirken werden, denn der Gesetzgeber muss nur die Möglichkeit der Richterablehnung schaffen. Soweit es auf die Kenntnis von der Zusammensetzung des erkennenden Spruchkörpers ankommt, genügt es, wenn sich die Verfahrensbeteiligten diese Kenntnis in zumutbarer Weise verschaffen können. Insoweit reicht es aus, wenn die Beteiligten in die nach § 21e Abs. 9 HS 1 GVG auszulegenden Geschäftsverteilungspläne einsehen können (BVerfG, Beschluss v. 23.9.1997, 1 BvR 116/94). Soweit diese Geschäftsverteilungsregelungen nicht veröffentlicht sind (hierzu § 21e Abs. 9 HS 2 GVG: "Einer Veröffentlichung bedarf es nicht."), können sich die Parteien beim Gericht danach erkundigen. Eine solche Erkundigungspflicht liegt ebenso wie etwa die Erkundigung nach den Rechtsmittelvoraussetzungen im Rahmen des Zumutbaren (BVerfG, Beschluss v. 23.9.1997, 1 BvR 116/94; BVerwG, Beschluss v. 25.4.2014, 8 B 87/13; BSG, Beschluss v. 22.12.2008, B 12 KR 51/07 B; zur Dokumentationspflicht von Geschäftsverteilungsplänen vgl. im Übrigen BVerfG, Beschluss v. 18.3.2009, 2 BvR 229/09). Soweit die Auffassung vertreten wird, ein Anspruch auf Auskunftserteilung über die konkrete Besetzung des Spruchkörpers bestehe dann, wenn eine Einsichtnahme nicht möglich oder nicht zumutbar sei (BayObLG, Beschluss v. 30.9.1977, BReg 3 Z 98/77), kann dem nicht gefolgt werden. Das BayObLG meint, eine solche Verpflichtung ergebe sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Letzteres ist zwar richtig, trägt indessen nicht die Schlussfolgerung. Im Übrigen scheint ein solcher Fall schwerlich vorstellbar.

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