Rz. 44

Für die Vertretung in einem außergerichtlichen Verfahren, wie z. B. in einem Verwaltungsverfahren oder Widerspruchsverfahren, erhält der Rechtsanwalt nach Teil 2 Abschnitt 4 VV RVG als Tätigkeitsgebühr eine Geschäftsgebühr. Die Gebühr gilt das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und der Teilnahme an Besprechungen sowie das Mitwirken bei der Gestaltung eines Vertrages ab (Vorbem. 2.3. Abs. 3 VV RVG; BT-Drs. 15/1971 S. 207 – Tätigkeitsfeld). Für eine außergerichtliche Vertretung gegenüber einer Behörde können bis zu 3 Geschäftsgebühren anfallen (vgl. § 17 RVG; Rz. 25). Für das Betreiben eines Widerspruchsverfahrens ist kein gesonderter Gebührentatbestand vorgesehen. Die Geschäftsgebühr für das Betreiben eines Widerspruchsverfahrens (Nr. 2300, 2302 VV RVG) erfasst den Aufwand für Besprechung und Beratung, auch außerhalb der Kanzleiräume, das Lesen der Verwaltungsentscheidung, das Aktenstudium, die Anfertigung von Notizen ohne Erstellen von Ablichtungen, das Anfordern von Unterlagen beim Mandanten und deren Sichtung, die Rechtsprechungs- und Literaturrecherche, die Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur, das Eingehen auf von dem Leistungsträger herangezogene Beweismittel, den Schriftverkehr mit dem Auftraggeber und der Gegenseite sowie alle Tätigkeiten, die mangels entsprechender Gebührenvorschriften nicht durch eine besondere Gebühr vergütet werden (BSG, Urteil v. 1.7.2009, B 4 AS 21/09 R; BT-Drs. 15/1971 S. 207 – Tätigkeitsfeld).

 

Rz. 45

Die Bestimmungen über die Höhe der Geschäftsgebühr für das Betreiben eines Widerspruchsverfahrens (Nr. 2300, 2302 VV RVG) sehen eine Kappung der Gebührenhöhe vor. Eine Gebühr von mehr als 300,00 EUR nach Nr. 2302 VV RVG bzw. von mehr als 1,3 nach Nr. 2300 VV RVG kann nur gefordert werden, wenn die anwaltliche Tätigkeit umfangreich und/oder schwierig war. Insoweit handelt es sich bei dem Betrag von 300,00 EUR bzw. dem Gebührensatz von 1,3 (sog. Schwellengebühr) um eine Kappungsgrenze (BSG, Urteil v. 29.3.2007, B 9a SB 4/06 R). Der Ansatz einer höheren Gebühr über der Schwellengebühr ist nur gerechtfertigt, wenn die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Die Voraussetzungen "umfangreich" und "schwierig" müssen nicht kumulativ, sondern nur alternativ erfüllt sein (BGH, Urteil v. 21.6.2006, VI ZR 261/05; BSG, Urteil v. 1.7.2009, B 4 AS 21/09 R; BT-Drs. 17/11471 (neu) S. 274). Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass die Frage des überdurchschnittlichen Umfangs und der überdurchschnittlichen Schwierigkeit einer anwaltlichen Tätigkeit als Tatbestandsvoraussetzungen der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (BT-Drs. 17/11471 (neu) S. 274). Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 1.7.2009, B 4 AS 21/09 R, und v. 5.5.2010, B 11 AL 14/09 R). Im Fall der Mehrfachvertretung sieht Nr. 1008 Abs. 4 VV RVG vor, dass sich die in Nr. 2300, 2302 VV RVG vorgesehene Schwellengebühr als Kappungsgrenze bei mehreren Auftraggebern erhöht. Diese entspricht der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 21.12.2009, B 14 AS 83/08 R).

 

Rz. 46

Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchsten mit einem Gebührensatz von 0,75, auf eine Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit im weiteren Verwaltungsverfahren, das der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dient, angerechnet (Vorbem. 2.3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG). Der Anrechnungsbetrag ist auf einen Gebührensatz von 0,75 bzw. bei Betragsrahmengebühren auf 175,00 EUR bzw. auf 207,00 EUR (Vorbem. 2.3 Abs. 4 Satz 2 VV RVG n. F.) begrenzt, auch im Fall der Mehrfachvertretung i. S. v. Nr. 1008 VV RVG.

Bei der Festsetzung der Geschäftsgebühr für das Betreiben eines Widerspruchsverfahrens kann sich eine Behörde als Dritter i. S. v.  15a Abs. 2 RVG grundsätzlich nicht auf die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV RVG berufen, da die Kosten des Ausgangsverfahrens nicht erstattungsfähig und damit nicht Gegenstand eines Kostenerstattungsverfahrens sind (Rz. 35, § 193 Rz. 18). Eine Behörde hat einem Widerspruchsführer grundsätzlich die ungekürzte Geschäftsgebühr für das Betreiben eines Widerspruchsverfahrens bei Vorliegen einer Kostengrundentscheidung zu dessen Gunsten zu erstatten. Dies ist dem Gesetzgeber auch bewusst gewesen (BT-Drs. 17/11471 (neu) S. 273).

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