Rz. 37

Bei der Verfahrensgebühr handelt es sich um eine Tätigkeitsgebühr. Durch diese Gebühr wird jede prozessuale Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einer Instanz abgegolten, für die das RVG keine sonstige Gebühr vorsieht. Sie entsteht für das Betreiben des Geschäfts, einschließlich der Information (Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG – Tätigkeitsfeld). Sie gilt u. a. für die Prüfung der Schlüssigkeit der Klage oder des Rechtsmittels durch den Rechtsanwalt anhand der Rechtsprechung und der Literatur, die im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren notwendigen Besprechungen des Rechtsanwalts mit dem Auftraggeber, Dritten, dem Gericht und Sachverständigen, den (umfangreichen) Schriftwechsel mit dem Auftraggeber, Dritten, Behörden und dem Gericht, der sich auf den Prozessstoff bezieht, die Mitwirkung bei der Auswahl und der Beschaffung von Beweismitteln, der Sammlung und des Vortrags des aus der Sicht des Rechtsanwalts rechtlich relevanten Stoffs, das Anbieten von Beweismitteln (BT-Drs. 15/1971 S. 210), die Abgabe von Prozesserklärungen einschließlich verfahrensbeendender Erklärungen (Klagerücknahme, Annahme eines Anerkenntnisses, Erledigungserklärung; vgl. LSG Bayern, Beschluss v. 1.7.2011, L 15 SF 82/10 B E) sowie das Vorbereiten auf einen gerichtlichen Termin. Auf den Umfang der Tätigkeit kommt es nicht an; für den Anfall der Verfahrensgebühr genügt, dass der Rechtsanwalt irgendeine Tätigkeit zur Ausführung des Auftrags vorgenommen hat. Die Tätigkeit braucht nicht nach außen in Erscheinung zu treten. Der Anfall der Gebühr setzt eine Auftragserteilung des Rechtsanwalts zur Durchführung des Verfahrens voraus (BGH, Beschluss v. 1.2.2007, V ZB 110/06). Für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nach § 86b sieht das VV RVG keine gesonderte Verfahrensgebühr vor. Es finden im erstinstanzlichen Antragsverfahren die Gebührentatbestände des erstinstanzlichen Klageverfahrens und im Beschwerdeverfahren die Gebührentatbestände des Berufungsverfahrens Anwendung (Vorbem. 3.2 Abs. 2 VV RVG).

 

Rz. 38

Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ordnet an, das eine Geschäftsgebühr nach Teil 2, die wegen desselben Gegenstandes entsteht, auf die Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren in bestimmter Höhe anzurechnen ist. Die sog. Anrechnungslösung findet ab dem 1.8.2013 sowohl in Verfahren nach § 183 wie auch nach § 197a Anwendung. Die Gebühr Nr. 3103 VV RVG a. F., die einen geminderten Gebührenrahmen der erstinstanzlichen Verfahrensgebühr bei Vorbefassung des Rechtsanwalts im vorausgegangenen Widerspruchsverfahren in Verfahren nach § 183 vorsah, ist ersatzlos weggefallen. Eine Behörde kann sich auf die Minderung der erstinstanzlichen Verfahrensgebühr wegen Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG. berufen, wenn sie dem Gegner die außergerichtlichen Kosten für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren zu erstatten hat.

Im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG (Rz. 89 f.) ist die Minderung der Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3. Abs. 4 VV RVG zu berücksichtigen, wenn seitens des Beklagten eine Zahlung auf die Geschäftsgebühr für das Betreiben eines Widerspruchsverfahrens erfolgt ist (§§ 55 Abs. 5 Satz 2 bis 4 RVG). Die Staatskasse als Gebührenschuldner tritt an die Stelle des Auftraggebers.

 

Rz. 39

Bei der Auslegung des Begriffs "derselbe Gegenstand" i. S. d. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist nicht allein darauf abzustellen, ob dem Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren und dem anschließenden Gerichtsverfahren der gleiche (Lebens-)Sachverhalt zugrunde liegt, sondern es ist auch das Rechtsschutzbegehren, d. h. die Zielrichtung der in den jeweiligen Verfahren gestellten Anträge, mit zu berücksichtigen. Unterschiedliche Gegenstände liegen vor, wenn ein Vergleich des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens ergibt, dass es in diesen Verfahren nicht im Wesentlichen um denselben Streitgegenstand geht (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss. v. 5.12.2007, 1 O 215/07; VGH Bayern, Beschluss v. 25.8.2005, 22 C 05.1871).

Bei einer Untätigkeitsklage nach § 88 erfolgt keine Anrechnung der in einem Widerspruchsverfahren angefallenen Geschäftsgebühr auf die erstinstanzliche Verfahrensgebühr, weil die Verfahren nicht den gleichen Streitgegenstand haben und die Anträge auf unterschiedliche Ziele – im Verwaltungsverfahren auf die Abwehr oder den Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts/bei der Untätigkeitsklage auf die Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs durch Verwaltungsakt, gleich welchen Inhalts – gerichtet sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 5.5.2008, L 19 B 24/08 AS).

Die Geschäftsgebühr für ein (parallel) betriebenes Verwaltungs- oder Widerspruchverfahren, für das eine Geschäftsgebühr für den Rechtsanwalt angefallen ist, wird auf die erstinstanzliche Verfahrensgebühr in einem Verfahren nach § 86b nicht angerechnet. Wegen der besonderen Zielrichtung der Verfahren nach § 86b Abs. 1 und der damit verbundenen andersartigen Tätigkeit des Rechtsanwalts handelt es sich bei dem Gegenstand des Verwaltungs-/Widerspruchsverfahr...

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