Rz. 23

Die Vorschriften der ZPO über die Rüge von Verfahrensmängeln der Berufungsinstanz im Revisionsverfahren und die Heilung von Verfahrensmängeln (§§ 556, 295 ZPO) sind nach § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden (vgl. BSG, Beschluss v. 18.9.2003, B 9 VU 2/03 B; BSG, SozR 1500 § 160a Nr. 61 m. w. N.). Nach § 556 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren der Berufungsinstanz betreffenden Vorschriften in der Revisionsinstanz – und im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde – nicht mehr gerügt werden, wenn das Rügerecht nach § 295 ZPO verloren gegangen ist. Nach dieser Vorschrift kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obwohl sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste (vgl. u. a. BSG, Beschluss v. 18.4.2000, B 2 U 201/99 B; BSG, Beschluss v. 24.2.1998, B 9 SB 40/97 B; BSG, Beschluss v. 3.3.1999, B 9 VJ 1/98 B; BSG, Beschluss v. 22.8.1995, 9 BVs 16/95; BSG, Beschluss v. 30.12.1987, 5a BKn 10/86; BSG, SozR Nr. 3, 4 und 8 zu § 295 ZPO; BSG, Beschluss v. 22.1.1990, 5 BJ 87/89).

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einem Beteiligten bereits vor Abschluss der Instanz bekannt ist, muss dieser mithin noch im selben Rechtszug rügen, um einen Ausschluss dieser Rüge gemäß § 202 SGG i. V. m. §§ 556, 295 Abs. 1 ZPO im nächsten Rechtszug zu vermeiden (vgl. BSG, Beschluss v. 12.4.2000, B 9 V 57/99 B). Hierzu wird in der Rechtsprechung des BSG die Darlegung verlangt, wann und wo der Beschwerdeführer den von ihm angenommenen Mangel des vorinstanzlichen Verfahrens gerügt hat oder weshalb Vorschriften i. S. d. § 295 Abs. 2 ZPO verletzt worden seien, auf deren Befolgung nicht wirksam verzichtet werden kann (vgl. BSG, Beschluss v. 26.3.1997, 2 BU 11/97).

Auf das Rügerecht kann auch stillschweigend oder durch konkludentes Handeln verzichtet werden. Es soll bei verzichtbaren Verfahrens- und Formvorschriften ähnlich wie das Erfordernis, dass das Übergehen eines Beweisantrags nur dann ein Verfahrensmangel i. S. d. § 160 Abs. 2 Nr. 3 ist, wenn dieser in der mündlichen Verhandlung gestellt wurde, nach seinem Sinn und Zweck dem LSG gegenüber eine Warnfunktion erfüllen, indem dieses klar darauf hingewiesen wird, dass der Beteiligte die Verletzung bestimmter Verfahrensvorschriften rügt, und dem LSG Gelegenheit gegeben wird, die entsprechenden Mängel ggf. zu beheben. Diese Warnfunktion der Rüge mit der Folge der Heilung, wenn keine Rüge erhoben wird, wird nicht erfüllt, wenn eine in einem früheren Verfahrensstadium schriftsätzlich erhobene Rüge in der nächsten mündlichen Verhandlung nicht mehr erkennbar weiterverfolgt wird. Von diesen Grundsätzen ist bei nicht rechtskundigen Beteiligten eine Ausnahme zu machen, weil das Gericht auf eine angemessene und sachdienliche Antragstellung hinzuwirken hat (§ 112 Abs. 2 Satz 2) und nicht rechtskundige Beteiligte durch eine Regelung wie § 295 ZPO überrascht sein können (vgl. BSG, Beschluss v. 18.9.2003, B 9 VU 2/03 B).

 

Rz. 24

Zu den Verfahrensverstößen, bei denen ein Verlust des Rügerechts gemäß § 295 Abs. 1 ZPO eintreten kann, gehört namentlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. BVerwG, Urteil v. 31.8.1964, VIII C 350.63). In der Rechtsprechung des BGH ist geklärt, dass Verfahrensfehler bei der Verwertung von schriftlichen Gutachten, die unter Verletzung der einschlägigen Pflichten des Sachverständigen zustande gekommen sind, i. S. d. § 295 Abs. 1 ZPO geheilt werden können (vgl. BGH, BB 1990 S. 2434, 2435 m. w. N.; BGH, VersR 1981 S. 1175, 1176). Danach steht es grundsätzlich im Belieben der Beteiligten, ob sie es zulassen wollen, dass das Gericht Beweisstoff verwertet, den es verfahrensfehlerhaft beschafft hat (vgl. eingehend: BSG, Beschluss v. 30.6.1998, B 8 KN 17/97 B). In den Fällen, in denen ein Beteiligter auf die Rüge einer nicht geklärten Mitwirkung von Hilfspersonen wirksam i. S. d. § 295 Abs. 2 ZPO verzichten kann, gilt die Rechtsfolge des Rügeverlusts unbeschadet des Umstands, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und auch die der Zivilgerichtsbarkeit – Letztere im durch den Beibringungsgrundsatz gezogenen Rahmen – zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet sind (vgl. BGH, NJW 1992 S. 1459 m. w. N. unter Bezugnahme auf §§ 286, 411 Abs. 3 ZPO bei unterlassener Anhörung des Sachverständigen). Fehlt es bei Gutachtenmängeln (z. B. gerichtlich bestellter Sachverständiger nur Mitautor eines Gutachtens; hierzu grundlegend BSG, Beschluss v. 15.7.2004, B 9 V 24/03 B) an einer Rüge, so ist auch die Verwertung eines fehlerhaften Gutachtens mit der Verfahrensrüge nicht mehr erfolgreich anzugreifen.

 
Praxis-Beispiel

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