4.4.2.1 Allgemeines

 

Rz. 19

Die Verfahrensrevision setzt einen Verfahrensmangel, demnach einen Verstoß des LSG gegen das gerichtliche Verfahren regelnde bundesrechtliche Vorschriften, voraus. Die Verfahrensrevision betrifft das Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil, nicht hingegen dessen inhaltliche Richtigkeit. Dabei kommen nur Mängel in Betracht, die das gerichtliche Verfahren betreffen. Mängel des Verwaltungsverfahrens sind insoweit unerheblich, sofern sich der Mangel nicht auf das gerichtliche Verfahren unmittelbar auswirkt. Auch soweit Mängel des Verfahrens vor dem SG geltend gemacht werden, müssen diese sich auf das Verfahren vor dem LSG ausgewirkt haben.

Beispiele:

  • Verfahrensmangel "fehlende Urteilsgründe": § 551 Nr. 7 ZPO (i. V. m. § 202 S. 1 SGG) ist nicht erst dann verletzt, wenn überhaupt keine Gründe vorliegen, sondern auch dann, wenn einzelne geltend gemachte Ansprüche oder Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht behandelt worden sind (vgl. BGH, Urteil v. 21.12.1962, I ZB 27/62; BSG, NJW 1966 S. 566), sofern diese Mittel geeignet waren, den mit der Revision erstrebten Erfolg herbeizuführen (vgl. BSG, SozR 3-1200 § 14 SGB I Nr. 19).
  • Verwertet das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten, ohne über die substantiiert begründete Ablehnung des Sachverständigen zu entscheiden, so liegt darin ein Verfahrensmangel, der bei Entscheidungserheblichkeit der betroffenen Tatsachenfeststellung zur Zurückverweisung führt (vgl. BSG, Urteil v. 15.3.1995, 5 RJ 54/94; BSG, Beschluss v. 2.5.2001, B 2 U 29/00 R).
  • Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, sich zur Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung zu äußern. Ein erheblicher Grund für die Terminsverlegung eröffnet nicht nur die Möglichkeit, sondern begründet die Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (vgl. BSG, Urteil v. 10.8.1995, 11 RAr 51/95; BSG, NJW 1992 S. 1190; BVerwG, NJW 1995 S. 1441).
  • Unterlässt das Gericht jegliche Ermittlungen über das anzuwendende ausländische Recht, liegt ein Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an das Ausgangsgericht berechtigt (vgl. BGH, NJW 1995 S. 1032; vgl. auch OLG Saarbrücken, NJW 2002 S. 1209).
  • Sachurteil anstelle eines Prozessurteils (vgl. BSG, Beschluss v. 30.11.2006, B 9a VJ 7/05 B).
  • Die Entscheidung beruht auf einem Sachverständigengutachten, das nicht von dem bestellten Sachverständigen erstattet worden ist (vgl. BSG, Beschluss v. 18.9.2003, B 9 VU 2/03 B).
  • Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann ein anwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 HS 2 gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (vgl. BSG, Beschluss v. 29.3.2007, B 9a VJ 5/06 B).
  • Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht i. S. v. § 160 Abs. 2 Nr. 3 HS 2 übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er bis zur Entscheidung des LSG nicht weiterverfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn diese nach Erhalt einer Anhörungsmitteilung i. S. v. § 153 Abs. 4 Satz 2 einen zuvor gestellten Beweisantrag nicht mehr wiederholt haben. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist in einem solchen Fall grundsätzlich davon auszugehen, dass sich der Beweisantrag erledigt hat (vgl. BSG, Beschluss v. 18.12.2000, B 2 U 336/00 B).
  • Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Etwas anderes gilt nur, wenn der vom Berufungsgericht eingenommene Standpunkt dem Verfahren eine überraschende Wende gibt (vgl. BSG, Beschluss v. 13.5.2011, B 12 R 25/10 B).
  • Wegen einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren kann die Zulassung der Revision nur verlangt werden, wenn das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruhen kann (vgl. BSG, Beschluss v. 4.9.2007, B 2 U 308/06 B; a. A. BSG, Beschluss v. 13.12.2005, B 4 RA 220/04 B). Legt der Beschwerdeführer nicht dar, dass die überlange Verfahrensdauer den Inhalt der LSG-Entscheidung beeinflusst hat, kann dies die Zulassung der Revision wegen Verstoßes gegen Art. 6 EMRK nicht rechtfertigen. Ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK kann im Übrigen durch die Aufhebung des angefochtenen Urteils in einem Revisionsverfahren oder nach § 160a Abs. 5 nicht geheilt werden; das Verfahren würde sich im Gegenteil bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung weiter verlängern (vgl. BSG, Beschluss v. 28.12.2005, B 2 U 52/05 B).

Hinsichtlich der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist von der Rechtsauffassung des LSG auszugehen. Wird etwa das Übergehen eines Beweisantr...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge