1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 155 Abs. l Satz l und § 155 Abs. 2 bis 4 i. d. F. des Art. 8 Nr. 7 sind nach Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege v. 11.1.1993 (BGB1. I S. 50) zum 1.3.1993 in Kraft getreten. In Abs. l ist § 120 eingefügt worden. Ferner wurde die Vorschrift um die Abs. 2 bis 4 ergänzt. Abs. l hatte folgende Fassung: "Der Vorsitzende kann seine Aufgaben nach den §§ 104, 106 bis 108 und 120 einem Berufsrichter des Senats übertragen. Er kann einen Berufsrichter zum Berichterstatter ernennen." Durch das 6. SGGÄndG v. 17.8.2001 (BGB1.1 S. 2144) wurde § 155 mit Wirkung zum 2.1.2002 geändert. Nach alter Rechtslage war umstritten, ob der Vorsitzende weiterhin befugt war, den Berichterstatter anhand vorweg für ein Jahr festgelegter abstrakter Kriterien zu bestimmen. Durch das sog. Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte v. 22.12.1999 (BGB1.1 S. 2598) wurde § 21g Abs. l GVG dahin geändert, dass bei einem mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörper die Geschäfte durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Richter auf die Mitglieder verteilt werden. Dies hatte zur Folge, dass § 21g GVG als jüngeres Gesetz (Inkrafttreten am 30.12.1999) die ältere Regelung des § 155 Abs. l i. d. F. v. 1.3.1993 mangels Spezialitätsverhältnisses verdrängte (Zeihe, SGG, 11/2010, § 155 Rn. 1b). Der Gesetzgeber hat das 6. SGGÄndG genutzt, die handwerklichen Mängel des sog. Gesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte v. 22.12.1999 zu korrigieren. Weitere Unzulänglichkeiten in der Abfassung des § 155 hat der Gesetzgeber aus Anlass des 6. SGGÄndG nicht beseitigt und damit fortgeschrieben. Die Abs. 2 bis 4 hätten redaktionell geändert werden müssen. Wenn nämlich der Gesetzgeber nunmehr auch für § 155 davon ausgeht, dass die senatsinterne Geschäftsverteilung durch Beschluss des gesamten Spruchkörpers erfolgt (vgl. auch Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/5943 S. 27), so hätte dies auch in den Abs. 2 bis 4 deutlich gemacht werden müssen. Abs. 2 weist dem Vorsitzenden mittels gesetzlicher Kompetenzzuweisung die Zuständigkeit für bestimmte Entscheidungen im vorbereitenden Verfahren zu. Diese Regelung kollidiert mit § 21g GVG. Der Vorsitzende ist nicht kraft Gesetzes zur Entscheidung befugt, sondern nur, wenn der Spruchkörper ihm die Geschäfte nach den Kriterien des § 21g Abs. 2 GVG zugewiesen hat. Die Abs. 2 bis 3 sind – korrigierend – dahin zu lesen, dass der mit den vorbereitenden Aufgaben betraute Berufsrichter entscheidet (Zeihe, SGG, § 155 Rn. 9a). Das 1. Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004 (BGB1.1 S. 2198) hat § 155 Abs. 2 in Nr. 2 und 3 dahin geändert, dass jeweils die Worte "auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe" eingefügt worden sind.

2 Rechtspraxis

2.1 Regelung des Abs. l

2.1.1 Kritik

 

Rz. 2

Nach § 155 Abs. l ist der Vorsitzende befugt, seine Aufgaben nach §§ 104, 106 bis 108 und 120 einem Berufsrichter des Senats zu übertragen. Diese Regelung steht in Widerspruch zu § 21g GVG. Hiernach werden sämtliche Geschäfte durch Beschluss des Senats für das gesamte Geschäftsjahr verteilt. Für die dem Vorsitzenden durch § 155 Abs. l eingeräumte Befugnis verbleibt insoweit kein Raum. Die Übertragung der hierin genannten Aufgaben ist akzessorisch zur Geschäftsverteilung. Andererseits hat der Gesetzgeber durch Streichung des bisherigen Satzes 2 des § 155 Abs. l dem Vorsitzenden wegen § 21g GVG gerade die Befugnis genommen, einen Berichterstatter zu bestimmen (Stellungnahme des Bundesrates BT-Drs. 132/01 S. 56). Konsequenterweise hätte der Gesetzgeber den gesamten Abs. l aufheben müssen. Das ist nicht geschehen und kann nicht mehr als redaktionelles Versehen akzeptiert werden. Hieraus könnte hergeleitet werden, dass der Gesetzgeber dem Vorsitzenden die Zuständigkeiten nach § 155 Abs. l vorbehalten und einem Spruchkörperbeschluss entziehen wollte. Dies macht allerdings keinen Sinn und würde auch der Tendenz des Gesetzgebers, die hervorgehobene Stellung des Vorsitzenden zu nivellieren, entgegenstehen. Deswegen ist eher anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit der Streichung des § 155 Abs. l Satz 2 nochmals deutlich machen wollte, dass der Berichterstatter nunmehr auf jeden Fall nur noch durch den Spruchkörper bestimmt wird, es im Übrigen aber dabei verbleibt, dass § 21g GVG die Regelung des § 155 Abs. l n. F. verdrängt. Dies wäre in sich stimmig, indessen fast spekulativ und belegt insoweit die eher oberflächliche Arbeit des Gesetzgebers (hierzu auch Rohwer-Kahlmann, SGG, 1/2005, § 155 Rn. 7 ff.; Zeihe, SGG, § 155 Rn. 1b; Knecht, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 155 Rn. 3; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 155 Rn. 2).

2.1.2 Berichterstatter/weiterer Berufsrichter/Einzelrichter

 

Rz. 3

Das Gesetz unterscheidet zwischen der Übertragung der Aufgaben nach §§ 104, 106 bis 108 und 120 auf einen (weiteren) Berufsrichter zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und der Bestimmung zum Berichterstatter (zum Begriff Zeihe, SGb 1996 S. 606, 608; vgl. auch Kopp, NJW 1991 S. 1264) zur Vorbereitung der Entscheidung des Gerichts durch Votum, Sachvortrag und Entscheidungsentwurf. Die...

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