Rz. 2

Ein Beteiligter kann eine Beweisaufnahme und eine für ihn ungünstige Entscheidung nicht schon dadurch verhindern, dass er in der mündlichen Verhandlung nicht zugegen und auch nicht vertreten ist. Um in derselben mündlichen Verhandlung Beweis erheben und ggf. auch zuungunsten eines nicht erschienenen und nicht vertretenen Beteiligten entscheiden zu können, muss das Gericht aber zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die Beteiligten davon unterrichten, dass eine Beweiserhebung beabsichtigt ist. § 111 Abs. 2 schreibt deshalb vor, dass die Ladung von Zeugen und Sachverständigen den Beteiligten bei der Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung bekannt zu geben ist. Diese Mitteilung kann ggf. nachgeholt werden, wobei die Frist des § 110 gewahrt werden sollte, damit der Beteiligte sich auf die Beweisaufnahme einstellen kann. Schon die Beiziehung von Akten und die Kenntnisnahme von den darin enthaltenen Urkunden und Gutachten ist eine Beweiserhebung i. S. d. § 127, von der die Beteiligten zu benachrichtigen sind (vgl. BSG, Urteil v. 26.9.1974, B 5 RJ 371/72; Urteil v. 14.2.2013, B 14 AS 62/12 R).

 

Rz. 3

Die vorgeschriebene Benachrichtigung von einer Beweisaufnahme ist dem Gericht nicht möglich, wenn der Gegner der abwesenden Partei zur Überraschung des Gerichts erst in der mündlichen Verhandlung einen präsenten Zeugen stellt oder neue Urkunden vorlegt. Auch in diesem Falle greift § 127 ein (vgl. BSG, SozR Nr. 1 zu § 127), denn die Vorschrift stellt keine Sanktion für eine Verletzung der §§ 111 Abs. 2, 116 Satz 1 durch das Gericht dar, sondern soll den abwesenden Beteiligten zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs davor schützen, dass in ein und derselben Sitzung eine Beweisaufnahme stattfindet, von der er nicht unterrichtet war, und ein für ihn negatives Urteil gefällt wird. Daraus folgt aber nicht, dass das Gericht die Erhebung des in der Verhandlung angebotenen Beweises ablehnen müsste, denn § 127 schließt weder generell aus, dass in Abwesenheit des Beteiligten Beweis erhoben wird, noch dass ein für ihn günstiges Urteil gefällt wird. Je nach Lage des Falles kann es daher sinnvoll sein, den Beweis zu erheben, etwa weil mit einem positiven Ausgang für den von der Beweisaufnahme nicht benachrichtigten Abwesenden oder einem Verlust des Beweismittels oder damit gerechnet wird, dass die zu beweisende Tatsache durch die Beweiserhebung ohnehin unstreitig werden wird. Wenn das Gericht in diesem Falle Beweis erhebt, wird das Recht des nicht unterrichteten abwesenden Beteiligten auf Benachrichtigung von Beweisaufnahmeterminen und sein Recht, der Beweisaufnahme beizuwohnen und dem Zeugen oder Sachverständigen Fragen zu stellen, verletzt. Sofern die fehlende Benachrichtigung nicht geheilt wird (§ 202 SGG i. V. m. § 295 ZPO, vgl. BSG, Beschluss v. 22.4.1998, B 9 V 23/97 R), womit bei für den abwesenden Beteiligten ungünstigem Ausgang der Beweisaufnahme gerechnet werden muss, wäre also z. B. die Zeugenvernehmung unter Umständen zu wiederholen. Das wird es regelmäßig angezeigt erscheinen lassen, in einem solchen Falle zu vertagen und einen Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme anzuberaumen.

 

Rz. 4

Erhebt das Gericht in Abwesenheit des nicht benachrichtigten Beteiligten Beweis und erlässt es im selben Termin ein für ihn ungünstiges Urteil, ist § 127 verletzt. Dabei ist es unerheblich, wenn die Beweisaufnahme von dem nicht erschienenen und nicht vertretenen Beteiligten selbst angeregt worden ist (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 127). Für die Verletzung des § 127 ist es nach seinem Wortlaut unerheblich, ob das Ergebnis der Beweisaufnahme in dem Urteil verwertet wird. § 127 ist also auch dann verletzt, wenn im Termin z. B. eine Urkunde überreicht worden ist, auf die sich das in derselben mündlichen Verhandlung ergangene, für den Abwesenden negative Urteil nicht stützt. Weshalb schon der Hinweis in der Ladung, dass "auch im Falle Ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann" im Falle der Entscheidung des BSG v. 23.8.2011 (B 14 AS 47/11 B) eine Verletzung des § 127 durch Verwertung einer in Abwesenheit des Klägers (?) erstmals in der mündlichen Verhandlung vom Gegner vorgelegten Urkunde ausschließt, wird vom BSG nicht weiter begründet und erschließt sich nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht, auch dürfte das nicht mit BSG (SozR Nr. 1 zu § 127 SGG) vereinbar sein. Der Verstoß gegen § 127 ist ein wesentlicher Verfahrensmangel (vgl. BSG, SozR Nr. 1 zu § 127). Weil die im Verstoß gegen § 127 liegende Verletzung des rechtlichen Gehörs im SGG nicht als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet ist, kommt es für die Beachtlichkeit des Verfahrensmangels weiter darauf an, ob das angegriffene Urteil auf diesem Mangel beruht. Das hängt davon ab, ob sich ausschließen lässt, dass das Gericht bei Beachtung des § 127 anders entschieden hätte (vgl. Wagner, in: Henning, SGG, § 127 Rz. 25). Wenn die Beweisaufnahme nicht verwertet wurde (und ein Verstoß gegen §§ 62, 128 Abs. 2 nicht vorliegt), wird das der Fall sein (v...

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