Rz. 6

§ 112 Abs. 2 Satz 1 ist in Zusammenhang mit Satz 2 zu lesen. Es ist demnach zulässig, dass nach der Darstellung des Sachverhalts zunächst der Vorsitzende Ausführungen zum Sach- und Streitverhältnis macht und insbesondere darlegt, welche schriftsätzlichen Sachdarstellungen voraussichtlich entscheidungserheblich sind und welche nicht.

Der Vorsitzende bietet mit dieser Verfahrensweise den Beteiligten die Möglichkeit, sich in ihren folgenden Ausführungen auf das Wesentliche zu konzentrieren, und schafft die Voraussetzungen, die mündliche Verhandlung in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen. Sind die Beteiligten aufgrund anderen Verständnisses von der Rechtslage der Auffassung, gleichwohl nicht entscheidungserhebliche Ausführungen machen zu müssen, so steht ihnen dies indessen frei. Das Gericht muss zuhören, denn § 112 Abs. 2 Satz 1 ist Ausfluss des Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör i. S. d. Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG. Nicht nur zulässig, sondern wegen § 112 Abs. 2 Satz 2 sogar geboten ist es wiederum, dass der Vorsitzende die neben der Sache liegenden Ausführungen unterbricht, nochmals die – voraussichtlich – allein entscheidungserheblichen Gesichtspunkte vorstellt und bittet, den Vortrag entsprechend anzupassen. Das Gesetz macht insoweit auch keinen Unterschied zwischen anwaltlich vertretenen und nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten.

 

Rz. 7

Die Beteiligten müssen insgesamt hinreichend ausführlich vortragen können. Eine straffe Verhandlungsführung des Vorsitzenden ist jedoch zulässig und oftmals geradezu geboten zur Aufrechterhaltung der Konzentrationsfähigkeit aller Mitwirkenden. Weitet sich der Sachvortrag eines Beteiligten dahin aus, dass vorherige Ausführungen nur noch mit anderen Worten wiederholt werden, ist es zulässig, diesem Beteiligten nach Warnung das Wort zu entziehen. Insbesondere § 112 Abs. 2 Satz 2 steht nicht entgegen, denn dort ist allein die Verpflichtung des Vorsitzenden, auf eine vollständige Erklärung über erhebliche Tatsachen hinzuwirken, normiert.

Indes ist es der Dienstaufsicht verwehrt, innerhalb einer dienstlichen Beurteilung vermeintlich fehlende Straffheit der mündlichen Verhandlung zu bemängeln. Die Verhandlungsführung fällt in den Kernbereich richterlicher Tätigkeit. Für dienstaufsichtliche Beanstandungen besteht kein Raum, solange der Richter sich nicht prozessordnungswidrig verhält (BGH Dienstgericht des Bundes, Urteil v. 31.1.1984, RiZ [R] 3/83, DRiZ 1984 S. 239 ff.).

 

Rz. 8

Da das sozialgerichtliche Verfahren das Beweismittel der Parteivernehmung nicht kennt, stellt die Anhörung der Beteiligten keine Beweisaufnahme dar. Gleichwohl trifft die Beteiligten, wie durch § 202 SGG i. V. m. § 138 Abs. 1 ZPO klargestellt wird, eine Wahrheitspflicht. Der Vortrag eines unwahren Sachverhalts begründet die Strafbarkeit wegen (versuchten) Prozessbetrugs gemäß § 263 (§§ 22, 23) StGB.

 

Rz. 9

Die Beteiligten haben die Möglichkeit, mit ihrem Sachvortrag auch Beweisanträge zu stellen. Bedeutung hat der Beweisantrag aber grundsätzlich nur im Rahmen des § 160 Abs. 2 Nr. 3. Ansonsten gilt, dass das Gericht zur Erhebung des Beweises verpflichtet ist, wenn es eine Tatsache für beweiserheblich hält, unabhängig davon, ob ein Beweisantrag gestellt ist oder nicht (BSG, Beschluss v. 2.7.1998, B 2 U 120/98 B, juris).

Die Pflicht nach § 112 Abs. 2 Satz 2 beinhaltet, dass der Vorsitzende einen Beteiligten zu fragen hat, ob er neben dem zu Protokoll gestellten Sachantrag einen schriftsätzlich zuvor gestellten Beweisantrag aufrechterhält. Unterlässt er dies, so kann das Gericht nach Auffassung des BSG nur bei einem berufsmäßig vertretenen Kläger davon ausgehen, dass dieser Antrag nicht weiter verfolgt werden soll (BSG, Beschluss v. 18.9.2003, B 9 SB 11/03 B, SozR 4 1500 § 160 Nr. 1).

Unterlässt ein Beteiligter es, einen Beweisantrag zu stellen, so kann er nicht zur Begründung einer Revision erfolgreich geltend machen, der Vorsitzende habe es i. S. v. § 112 Abs. 2 Satz 2 versäumt, auf die Stellung des Antrages hinzuwirken (BSG, Beschluss v. 5.11.2009, B 14 AS 61/09 B, juris; BSG, Beschluss v. 5.5.2010, B 5 R 26/10 B, juris; BSG, Beschluss v. 9.2.2011, B 11 AL 71/10 B, juris).

 

Rz. 10

Die Erörterung des Vorsitzenden mit den Beteiligten bezieht sich nach dem Wortlaut des § 112 Abs. 2 Satz 2 auf das Sach- und Streitverhältnis.

Bei der Erörterung des Sachverhältnisses ist insbesondere zu klären, ob unterschiedliche Sachverhaltsdarstellungen zu entscheidungserheblichen Tatsachen vorliegen und ob es geeignete Beweismöglichkeiten gibt. Im Regelfall hat der Vorsitzende insoweit die entsprechenden Vorbereitungen getroffen und Zeugen und/oder Sachverständige ebenfalls zum Termin geladen. Eine weitere Konkretisierung der Pflicht zur Erörterung des Sachverhältnisses mit den Beteiligten findet sich im weiteren Text des § 112 Abs. 2 Satz 2, wonach der Vorsitzende dahin zu wirken hat, dass die Beteiligten sich über erhebliche Tatsachen vollständig erklären.

Nimmt ein Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung ...

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