0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist mit dem SGB X v. 18.8.1980 (BGBl. I S. 1469) mit Wirkung zum 1.1.1981 in Kraft getreten. Aufgrund der Regelung im Vierten Euro-Einführungsgesetz v. 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983) ist sie unverändert mit der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) bekanntgemacht worden.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift regelt die Rangfolge der anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften (Stufenverhältnis). Zuerst sind die spezifischen Regelungen bezüglich des (beabsichtigten) Vertragsgegenstands, dann die Spezialnormen in §§ 53 bis 60, danach die übrigen Vorschriften des SGB X und letztlich ergänzend die Normen des BGB anzuwenden. Die Anwendbarkeit der übrigen SGB X- und BGB-Vorschriften musste bestimmt werden, da §§ 53 ff. nur Teilbereiche des Vertragsrechts normieren; insbesondere fehlen Regelungen über das Zustandekommen des öffentlich-rechtlichen Vertrages.

 

Rz. 2a

Vor der Anwendung der infrage kommenden Vorschriften des BGB ist stets zu prüfen, ob der zugrundeliegende Rechtsgedanke auch unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Unterschiede zwischen einem Privatrechtsverhältnis und einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis Anwendung finden kann. Es muss eine vergleichbare Interessenlage bestehen, die eine Heranziehung rechtfertigt (BGH, Urteil v. 18.2.2021, III ZR 175/19 Rz. 41).

2 Rechtspraxis

2.1 Anwendung der Vorschriften des SGB X (Satz 1)

 

Rz. 3

Aufgrund der Regelung in Satz 1 sind die übrigen SGB X-Vorschriften unmittelbar anwendbar.

Es sind z. B. anwendbar die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (§ 2), über die Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen (§ 11), über Beteiligte, Bevollmächtigte und Beistände (§§ 12, 13), über Vertreter von Amts wegen und ausgeschlossene Personen (§§ 15, 16), über das Amtshilfeverfahren (§§ 3ff.) sowie den Schutz der Sozialdaten (§§ 67ff.). Hingegen sind die Vorschriften über den Verwaltungsakt (§§ 31 bis 52) nicht anwendbar, soweit nicht die §§ 53 bis 60 (z. B. § 58 Abs. 2) dies ausdrücklich bestimmen (Bayer. LSG, Urteil v. 30.3.2009, L 18 U 221/08; z. B. in § 58 Abs. 2). § 24 ist ebenfalls nicht anwendbar, da die Vertragsparteien sich gleichberechtigt gegenüberstehen und ein Vertragsschluss ohne beiderseitige Kenntnis des Vertragsinhalts ausgeschlossen ist. Soweit außer den Vertragsparteien andere Beteiligte betroffen sind, ist § 24 ebenfalls nicht anwendbar, denn insoweit ist § 57 Abs. 1 lex specialis. Die Vorschriften über den Verwaltungsakt sind allein auf den Charakter dieser Handlungsform als einseitige hoheitliche Maßnahme zugeschnitten und deshalb auf den öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht anwendbar. Eine Ausnahme gilt nur für § 42 aufgrund der ausdrücklichen Verweisung in § 58 Abs. 2 Nr. 1.

2.2 Entsprechende Anwendung der Vorschriften des BGB (Satz 2)

 

Rz. 4

Eine ausdrückliche Verweisung auf BGB-Vorschriften enthält bereits § 58 zu den Gründen, die zur Nichtigkeit eines Vertrages führen können. Dies sind vor allem die Vorschriften der §§ 104ff. BGB (Geschäftsfähigkeit), § 116 (Geheimer Vorbehalt), § 117 (Scheingeschäft), § 118 BGB (Mangel der Ernstlichkeit der Willenserklärung), §§ 119, 120, 123 Abs. 1 BGB (Anfechtung wegen Irrtums, falscher Übermittlung, Täuschung oder Drohung), § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot), § 138 BGB (Sittenwidrigkeit), § 139 BGB (Teilnichtigkeit). Diese Vorschriften finden auch über § 61 SGB X Anwendung.

Anders als die SGB X-Vorschriften finden die Vorschriften des BGB nur entsprechende Anwendung. Es ist also im Einzelfall bei jeder BGB-Vorschrift zu prüfen, ob eine vergleichbare Interessenlage beim öffentlich-rechtlichen Vertrag bejaht werden kann.

Die Verzinsungsvorschriften des BGB sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (SozR 1300 § 61 Nr. 1; BSGE 77 S. 219) nicht anwendbar, da die Verzinsung in den einzelnen Büchern des SGB abschließend geregelt ist und deshalb für eine entsprechende Anwendung der BGB-Vorschriften mangels Regelungslücke kein Raum ist (BSG, SGb 2000 S. 680).

 

Rz. 5

Entsprechend anwendbar sind auch die Grundsätze zu einer Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) sowie wegen einer positiven Forderungsverletzung. Im Rahmen der Schuldrechtsreform 2002 sind diese zuvor nicht ausdrücklich normierten Rechtsinstitute in § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 BGB ausdrücklich kodifiziert worden. Die Vorschriften über das Leistungsstörungsrecht gelten ebenfalls entsprechend.

2.3 Beispiele

 

Rz. 6

Darüber hinaus finden folgende Vorschriften des BGB entsprechende Anwendung:

§ 140 BGB (Umdeutung), BVerwG, NVwZ 1990 S. 677

§§ 154, 155 BGB (Einigungsmangel),

§ 157, § 133 BGB (Auslegung von Verträgen), BSG, SGb 2008 S. 106,

§ 242 BGB (Treu und Glauben), BVerwG, NJW 1974 S. 2247, 2248; BFH, NJW 1977 S. 728,

§ 273 BGB (Zurückbehaltungsrecht),

§ 276 BGB (Haftung für eigenes Verschulden),

§ 278 BGB (Verschulden von Erfüllungsgehilfen), Erfüllungsgehilfen der Behörde können neben eigenen Bediensteten auch Privatpersonen oder andere Behörden sein (z. B. die Post, die Renten auszahlt),

§ 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, §§ 275, 280, 281, 286, 323, 326 BGB (Ansprüche bei Unmöglichkeit und sonstigen vertraglichen Leistungsstörungen), BVe...

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