Rz. 6

Der Begriff der "Behörde" stellt einen zentralen "terminus technicus" des Verwaltungsrechts dar und ist für das Sozialrecht in § 1 Abs. 2 zum ersten Mal definiert. Er wird in zahlreichen Vorschriften des SGB X verwendet und gehört somit zu seinen begrifflichen Grundelementen; weder Verwaltungsakt noch Verwaltungsverfahren lassen sich ohne Verwendung des Behördenbegriffs bestimmen. § 1 Abs. 2 liegt ein weiter funktionaler Behördenbegriff zugrunde. Behörden in diesem Sinne sind ohne Rücksicht auf ihre konkrete Bezeichnung alle vom Wechsel der in ihnen tätigen Personen unabhängige und mit hinreichender organisatorischer Selbstständigkeit ausgestattete Einrichtungen, denen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und entsprechende Zuständigkeiten zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen sind, also aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts mit der Befugnis zu öffentlich-rechtlichem Handeln mit Außenwirkung ausgestattet sind (BSG, Urteil v. 25.11.2010, B 3 KR 1/10 R, BSGE 107 S. 123 = SozR 4-2500 § 132a Nr. 5; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 15.1.2014, 8 A 467/11). Maßgeblich ist mithin nicht die Bezeichnung als Behörde, Dienststelle, Amt oder Ähnliches.

Behörden i. S. d. SGB X sind bzw. Behördeneigenschaft haben einmal die "Stellen", die im Gesetz ausdrücklich als "Behörden" bezeichnet werden, z. B. die Versicherungsämter und das Bundesversicherungsamt (§ 91 Abs. 1 Satz 1 SGB IV), die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit, die Regionaldirektionen für Arbeit auf der mittleren Ebene und die Agenturen für Arbeit auf der örtlichen Ebene (§§ 367, 368 SGB III), sowie die vertretungsberechtigten Organe der Sozialversicherungsträger (§ 31 Abs. 3 Satz i. V. m. §§ 35, 36; 35a SGB IV). Ferner sind diejenigen Ämter, Stellen und Leistungsträger "Behörden", die in den §§ 18ff. SGB I aufgeführt sind und denen dort ein bestimmter sachlicher Aufgabenbereich zugeordnet ist. Zur Behördeneigenschaft der Arbeitsgemeinschaften des SGB II vgl. BSG, Urteil v. 7.11.2006, B 7b AS 14/06 R, BSGE 97 S. 242. Durch die Einschränkung "im Sinne dieses Gesetzbuches" ist klargestellt, dass der darin genannte Behördenbegriff keine Allgemeingültigkeit beansprucht und nur für das SGB gilt. Verpflichtet zur Anwendung des SGB sind sowohl Bundes- als auch Landesbehörden sowie Kommunalbehörden, soweit sie eine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ausführen.

 

Rz. 6a

Nach herrschender Ansicht sind Sozialversicherungsträger keine Behörde, da die Eigenschaft als Behörde gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB IV den vertretungsberechtigten Organen zuerkannt ist (vgl. BSG Urteil v. 6.5.2009, B 6 KA 7/08 R, SozR 4-1300 § 63 Nr. 9; Schneider-Danwitz, in: Juris-PK SGB IV, § 31 Rz. 122; a. A. Mutschler, in: KassKomm. SGB X, § 1 Rz. 9). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist grundsätzlich der Rechtsträger und nicht die Behörde beteiligtenfähig (vgl. dazu im einzelnen Frehse, in: Jansen, SGG, § 70 Rz. 14 ff.).

 

Rz. 7

Da allgemein eine organisatorische Selbständigkeit gefordert wird, können auch Sektionen, Bezirksverwaltungen und Landesgeschäftsstellen i. S. d. § 31 SGB IV Behörden sein, jedenfalls dann, wenn ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit durch Satzungsrecht geregelt ist. Die Einrichtungen und Organisationen der freien Wohlfahrtsverbände und der freien Jugendhilfe erfüllen bei ihrer Tätigkeit auch in der Zusammenarbeit mit den Trägern der Sozialhilfe und der Jugendhilfe ihre eigenen Aufgaben als private Organisationen. Selbst soweit § 76 SGB VIII es erlaubt, mit Zustimmung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe dem Träger der freien Jugendhilfe die Durchführung von Aufgaben zu übertragen, wird dieser nicht zum sog. beliehenen Unternehmer und somit nicht zu Behörde i. S. d. SGB. Gleiches gilt für die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, denen von den Trägern der Sozialhilfe die Durchführung von Aufgaben übertragen werden kann (vgl. § 5 Abs. 5 SGB XII). "Beliehene Unternehmer" sind nur dann als Träger öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit und damit als Behörden anzusehen, wenn ihnen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zur Erledigung in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes übertragen sind. So kommen im Sozialrecht auch privatrechtliche Vereinigungen wie die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), ein eingetragener Verein des bürgerlichen Rechts, als Behörden in Betracht (vgl. § 139a SGB VII).

Wenn Unternehmen eigene Aufgaben erfüllen, handeln sie nicht als Beliehene.

 

Rz. 7a

Ausschüsse und Schiedsstellen können ebenfalls Behörden i. S. v. § 1 Abs. 2 sein. Der Berufungsausschuss nach § 97 SGB V (BSG, Urteil v. 6.5.2009, B 6 KA 7/08 R, SozR 4-1300 § 63 Nr. 9), der Zulassungsausschuss nach § 96 SGB V sowie die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss nach § 106 Abs. 4 SGB V (BSG, Urteil v. 9.9.1998, B 6 KA 80/97 R, SozR 3-1300 § 63 Nr. 12) sind Behörden; ebenso nach der bisherigen Rechtsprechung die Gesamtheit der in § 109 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Kra...

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