Rz. 15

Der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ist nicht nur auf die Fälle beschränkt, in denen das krankheitsbedingt geminderte Restleistungsvermögen auf einen täglichen Arbeitseinsatz von unter 3 Stunden reduziert ist. Voll erwerbsgemindert ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch der Versicherte, der noch 3, aber keine 6 Stunden täglich mehr erwerbstätig sein kann (und der damit nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 Satz 2 nur teilweise erwerbsgemindert ist), wenn er einen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden (Teilzeit-)Arbeitsplatz nicht innehat und damit arbeitslos ist (Arbeitsmarktrente; vgl. hierzu auch Rz. 2). Obwohl der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch das Ziel verfolgte, zukünftig das Risiko der Vermittlung eines Arbeitsplatzes eindeutig(er) der Arbeitslosenversicherung und das der krankheitsbedingten Erwerbsminderung klarer der gesetzlichen Rentenversicherung zuzuordnen, behält auch § 43 die von der Rechtsprechung des BSG zum (früheren) Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelte sog. konkrete Betrachtungsweise bei (BSG Urteil vom 19.10.2011, B 13 R 78/09 R). Diese Rechtsprechung war und ist weiterhin von der Grundvorstellung des BSG getragen, dass der deutsche Arbeitsmarkt im Wesentlichen durch Vollzeitarbeitsplätze geprägt sei und Teilzeitarbeitsplätze nur in geringer Zahl vorhanden seien. Demnach sei bei einem vollschichtig leistungsfähigen Versicherten vom Grundsatz her davon auszugehen, dass er – trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen – noch eine reale Chance der Vermittelbarkeit eines leidensgerechten Arbeitsplatzes besitze, auch wenn er arbeitslos sei. Diese Rechtsprechung ist nunmehr – bezogen auf die Zeitgrenze von 6 Stunden – in § 43 Abs. 3 verankert, wonach ein 6-stündiges Leistungsvermögen vom Grundsatz her den Tatbestand der Erwerbsminderung ausschließt (vgl. hierzu Rz. 17 ff.). Bei arbeitslosen Versicherten, die jedoch unter vollschichtig leistungsfähig seien (bei arbeitslosen Teilzeitkräften), müsse – so die Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsunfähigkeit nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Gesetzeslage – jedoch im Hinblick auf die geringe Zahl von Teilzeitarbeitsplätzen im Einzelfall konkret geprüft werden, ob der Versicherte einen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz innehabe oder ihm ein solcher vermittelt werden könne. War dies nicht der Fall, so war von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarkts und der Begründetheit des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auszugehen. Diese Rechtsprechung findet nunmehr auf die Versicherten Anwendung, die nur noch 3- bis unter 6-stündig täglich leistungsfähig sind und über einen entsprechenden Arbeitsplatz nicht verfügen, auch wenn gleichzeitig mit dem zum 1.1.2001 in Kraft getretenen § 43 das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse in Kraft trat (BGBl. 2000 S. 1966) und sich dessen ausdrückliches Ziel, die Zahl der Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisse zu erhöhen, auf dem Arbeitsmarkt zwischenzeitlich niedergeschlagen haben dürfte (BSG, SozR 4-2600 § 43 Nr. 5 Rz. 18; BSG, Beschlüsse v. 10.7.2002, B 13 RJ 101/02 B, und v. 27.2.2003, B 13 RJ 215/02 B; vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R, Urteil v. 9.5.2012, B 5 R 68/11, und Urteil v. 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Maßgeblich ist für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43, ob der jeweilige Versicherte mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen noch Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist. Hiervon kann bei einem arbeitslosen Versicherten, der nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich arbeiten kann, also bei einer arbeitslosen Teilzeitkraft, nicht ausgegangen werden.

 

Rz. 15a

Die Auslegung des Gesetzes, wonach bei einem Restleistungsvermögen von 3 bis unter 6 Stunden bei gleichzeitiger Arbeitslosigkeit Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht, kann allerdings dem Gesetzeswortlaut nicht (unmittelbar) entnommen werden (vgl. auch Majerski-Pahlen, NZS 2002 S. 457). Sie ergibt sich jedoch zunächst aus einem aus § 43 Abs. 3 abzuleitenden Umkehrschluss: Wenn § 43 Abs. 3 bestimmt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, und dass es dabei auf die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht ankommt, so ergibt sich hieraus im Umkehrschluss, dass die Arbeitsmarktlage demgegenüber sehr wohl von Bedeutung ist, wenn ein unter 6-stündiges Leistungsvermögen gegeben ist. Da bei unter 3-stündiger Leistungsfähigkeit eine Verschlossenheit des Arbeitsmarkts generell unterstellt wird (vgl. Rz. 14), kann die Vermittelbarkeit und damit die Arbeitsmarktlage nur bei den Versicherten von Bedeutung sein, die noch 3, jedoch keine 6 Stunden täglich mehr arbeiten können. Darüber hinaus ergibt sich der Fortbestand einer arbeitsm...

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