Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. unrichtige Rechtsmittelbelehrung. elektronischer Rechtsverkehr. Rente wegen Erwerbsminderung. versicherungsrechtliche Voraussetzungen. allgemeine Wartezeit. Versicherungsrechtliche Voraussetzungen. Leistungsfall. Wegefähigkeit. Betriebsunübliche Arbeitspausen. Berufungsfrist. Rechtsmittelbelehrung. Wegweiserfunktion. Schriftform. Elektronische Form. Jahresfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Verordnungsgeber von der Ermächtigung in § 65a SGG Gebrauch gemacht und den elektronischen Rechtsverkehr eingeführt, ist die sozialgerichtlichen Urteilen beigefügte Rechtsmittelbehrung ohne einen Hinweis auf die Möglichkeit, die Berufung mittels elektronischen Dokuments einzulegen, unvollständig und unrichtig mit der Folge, dass die Beteiligten dann innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG Berufung einlegen können.

2. Die notwendige “Wegweiserfunktion„ einer Rechtsmittelbelehrung ist nicht gegeben, wenn über die Möglichkeit, Dokumente elektronisch einzureichen, nicht ausdrücklich belehrt wird.

3. Die “Wegweiserfunktion„ der Rechtsmittelbelehrung setzt voraus, dass hinsichtlich der Berufungseinlegung in elektronischer Form auf die Möglichkeit hierzu sowie auf das Erfordernis der qualifizierten elektronischen Signatur hingewiesen wird. Alle weiteren Hinweise zu den übrigen Erfordernissen des elektronischen Rechtsverkehrs können durch bloßen Verweis auf die Internetseite zum elektronischen Gerichtspostfach erteilt werden.

 

Normenkette

SGB VI §§ 43, 53, 241; SGG §§ 65a, 66 Abs. 1, 2 S. 1, § 151 Abs. 1, 2 S. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.03.2013; Aktenzeichen B 13 R 19/12 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1966 geborene Kläger ist ausgebildeter Diplom-Ingenieur (Fachhochschule) für Elektrotechnik. Nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums am 11. Juni 1990 arbeitete der Kläger zunächst bis zum Jahr 1992 in seinem erlernten Beruf, bildete sich dann in den Jahren 1994 und 1995 als Fachberater für EDV-Anwendung (Netzwerkadministration) fort, war im Anschluss daran als Mietwagenfahrer (1995 bis 1997) und EDV-Betreuer (1998 bis 1999) sowie schließlich als Datenverarbeitungsfachmann (1999 bis 2004) beschäftigt. Seit dem Jahr 2004 übt der Kläger eine selbständige Tätigkeit als EDV-Betreuer und Netzwerkadministrator - nach eigenen Angaben in einem zeitlichen Umfang von ca. 25 bis 30 Stunden wöchentlich - aus und war zugleich - ab dem 30. Juli 2004 - als Taxifahrer beschäftigt.

Dem insoweit unstreitigen Versicherungsverlauf des Klägers vom 18. Februar 2011 ist zu entnehmen, dass die Zeiten vom 1. September 1990 bis 12. Dezember 2004 ununterbrochen mit Pflichtbeitragszeiten belegt sind und für ihn ab dem 30. Juli 2004 bis zum 30. November 2008 eine geringfügige versicherungspflichtige Beschäftigung gemeldet wurde.

Dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) von 60 und das Merkzeichen “G„ zuerkannt (Schwerbehindertenausweis des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales NU. - Versorgungsamt - vom 28. Januar 2003).

Am 14. September 2006 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung, den er damit begründete, nicht mehr in der Lage zu sein, Wegstrecken von über 250 Meter zurückzulegen, sitzende oder stehende Tätigkeiten zu verrichten sowie Geräte und Werkzeuge zu tragen. Dies sei auch schon vor der Rentenantragstellung so gewesen. Zur Stütze seines Rentenbegehrens reichte der Kläger eine Vielzahl medizinischer und ärztlicher Unterlagen zur Akte, darunter auch ärztliche Befundberichte von Dr. med. QQ. - Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie - vom 21. September 2006, von dem HNO-Arzt Dr. med. WW. (ohne Datum) und von der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. med. EE. vom 6. Oktober 2006.

Auf Veranlassung der Sozialmedizinerin Dr. med. RR. von der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten in NV. wurde der Kläger daraufhin von Dr. med. TT. - Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sozialmedizin, Osteologie - am 11. Januar 2007 ambulant untersucht. In seinem Gutachten vom selben Tag diagnostizierte Dr. med. TT. bei dem Kläger eine Perthes-Erkrankung beider Hüften mit TEP links, Minderbeweglichkeit der linken Hüfte und Beinverkürzung um 2 cm, Kniebeschwerden rechts ohne funktionelle Defizite, Genickbeschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne radikulären Hinweis sowie - fachfremd - depressive Episoden (Angaben von Dr. med. EE.). Damit könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte bis mittelschwere Arbeiten in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr mit Einschränkungen (überwiegend im Sitzen, ohne ü...

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