Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Halbwaisenrentenanspruch nach § 67 Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a SGB 7. keine Voraussetzung: (fiktiver) zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gegen den verstorbenen Versicherten. Schulausbildung im Anschluss an abgeschlossene Berufsausbildung. sozialgerichtliches Verfahren. Nichtaufhebung eines Gerichtsbescheides gem § 105 SGG wegen Verfahrensfehler. unzulässige Besetzung der Richterbank. komplizierte Rechtsfrage. Heilung durch Sachentscheidung des LSG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Waisenrentenanspruch nach § 67 Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a SGB 7 setzt keinen (fiktiven) zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch gegen den verstorbenen Versicherten voraus und ist damit auch für die Zeit einer Schulausbildung zu bewilligen, wenn zuvor eine Berufsausbildung absolviert wurde.

2. Die Frage, ob ein Waisenrentenanspruch nach § 67 Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a SGB 7 einen (fiktiven) zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch voraussetzt, ist - zumindest bislang - keine Sache ohne besondere rechtliche Schwierigkeit im Sinne des § 105 Abs 1 S 1 SGG, sodass hierüber nicht durch Gerichtsbescheid entschieden werden darf. Ein solcher Verfahrensfehler führt aber nicht zur Aufhebung des Gerichtsbescheides, sondern wird durch die Sachentscheidung des Landessozialgerichts geheilt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.05.2019; Aktenzeichen B 2 U 27/17 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 18. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Halbwaisenrente für die Dauer einer Schulausbildung im Anschluss an eine Berufsausbildung.

Am 22. Dezember 1998 verstarb der Vater der 1994 geborenen Klägerin bei einem Arbeitsunfall. Daraufhin bewilligte die zuständige Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung - die Rechtsvorgängerin der Beklagten - der Klägerin ab dem 22. Dezember 1998 Halbwaisenrente nach § 67 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Am 1. August 2010 begann die Klägerin eine Berufsausbildung als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte. Mit Bescheid vom 3. Juli 2012 bewilligte ihr die Beklagte Halbwaisenrente in Höhe von 430,42 Euro monatlich auch über das 18. Lebensjahr hinaus für die Dauer der Berufsausbildung bis zum Ablauf des Endes der Ausbildung, spätestens zum 31. Juli 2013.

Die Beklagte entzog mit Bescheid vom 24. April 2013 die Waisenrente mit Ablauf des Monats Juni 2013 mit der Begründung, die Klägerin werde voraussichtlich im Juli 2013 ihre Schul-/Studien- oder Berufsausbildung beenden, so dass die Voraussetzungen für die Waisenrente entfielen.

Das Berufsausbildungsverhältnis der Klägerin endete zum 19. Juni 2013. Ab 19. August 2013 besuchte sie die Klasse 12 FOV 1 Schulform Fachoberschule Form B Vollzeit der Beruflichen Schulen des X.-Kreises.

Mit Schreiben vom 11. November 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Weiterbewilligung der Waisenrente ab Juli 2013. Mit Schreiben vom 6. Januar 2014 begründete sie dies damit, dass sie nach Abschluss der Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten am 19. Juni 2013 nicht weiter übernommen worden sei. Sie strebe nun ihr Fachabitur im Bereich Wirtschaft und Verwaltung an. Nach der Fachoberschule stünden ihr viele Türen offen, so dass ihre Entscheidung noch nicht gefallen sei, ob sie eventuell ein Studium beginnen werde.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Waisenrente ab dem 1. Juli 2013 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Waisenrente erfülle den Zweck, nach dem Tod eines Elternteils den Unterhalt für die unversorgt hinterbliebenen Kinder sicherzustellen. Dieser Unterhaltsanspruch bestehe generell bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Waisenrente werde auch über das 18. Lebensjahr hinaus gezahlt, wenn sich die Waise in einer Schul- oder Berufsausbildung befinde. Zu berücksichtigen sei hierbei, dass Kinder nach den zivilrechtlichen Vorschriften nur Anspruch auf eine Ausbildung hätten. Für eine Zweitausbildung seien die Eltern nur dann unterhaltspflichtig, wenn diese von vornherein angestrebt worden sei, sich während der Erstausbildung eine besondere Begabung des Kindes herausgestellt habe und diese eine weitere Ausbildung erfordere oder der erreichte Berufs- oder Schulabschluss ohne Weiterbildung keine ausreichende Lebensgrundlage bilde. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Mit ihrem Berufsabschluss sei sie in der Lage, ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Zudem wisse sie noch nicht, ob sie nach dem Abitur ein Studium aufnehmen wolle. Es sei somit davon auszugehen, dass die Klägerin das Erreichen des Abiturs vor der Aufnahme ihrer Berufsausbildung nicht angestrebt habe. Unter dem 4. März 2014 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Mit Schriftsatz vom 31. März 2014 begründete sie ihn dahingehend, dass si...

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