Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeperson. Pflegefamilie. Pflegekind. Vollzeitpflegeperson. Vollzeitpflege. Zuständigkeit. örtliche Zuständigkeit. Zuständigkeitswechsel. Begriffsbestimmung. Legaldefinition. Haushalt. Haushalt der Pflegeperson. Aufnahme in den Haushalt. Haushaltsaufnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Pflegeperson im Sinne des § 86 Abs. 6 SGB VIII ist, wer ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht in seinen Haushalt aufnimmt (Legaldefinition des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII).

 

Normenkette

SGB VIII § 44 Abs. 1 S. 1, § 86 Abs. 6

 

Verfahrensgang

VG Osnabrück (Urteil vom 08.07.2010; Aktenzeichen 4 A 102/10)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 8. Juli 2010 geändert.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte für den Jugendhilfefall F… nach § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

 

Tatbestand

I

Rz. 1

 Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Beklagte für den Jugendhilfefall F… nach § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden ist.

Rz. 2

 Die 1998 geborene F… lebte bei ihrer allein personensorgeberechtigten Mutter, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Stadt D… hatte. Mitte Juli 2002 wurde der Mutter das Sorgerecht entzogen und das Jugendamt der Stadt D… als Vormund eingesetzt.

Rz. 3

 Am 20. September 2002 wurde F… in einer im Nachbarkreis des Beklagten gelegenen Einrichtung untergebracht. Am 1. Dezember 2002 wurde sie im Anschluss an den in dieser Einrichtung üblichen Aufenthalt im einrichtungseigenen Clearingzentrum von den Eheleuten H… in deren Haushalt aufgenommen. Die Eheleute H… wohnen im Gebiet des Beklagten. Herr H… ist bei der Einrichtung als pädagogische Fachkraft angestellt. Seine Frau ist Leiterin eines Kindergartens. Das Jugendamt der Stadt D… gewährte für die Unterbringung der F… auf der Grundlage des § 27 i.V.m. § 34 SGB VIII Hilfe zur Erziehung.

Rz. 4

 Nach dem Tod der Mutter Mitte August 2005 übernahm die Klägerin, in deren Gebiet der Vater der F… seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, den Hilfefall und zahlte ab dem 1. Mai 2006 die Unterbringungskosten.

Rz. 5

 Mitte Mai 2007 bat die Klägerin den Beklagten unter Hinweis auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute H… um Übernahme des Hilfefalles gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII. Die Eheleute H… seien Pflegepersonen im Sinne dieser Vorschrift. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster (vgl. Urteil vom 7. Juni 2005 – 12 A 2677/02 – JAmt 2006, 95) sei im Rahmen des § 86 Abs. 6 SGB VIII auf die Legaldefinition des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zurückzugreifen. Entscheidend für eine Pflegeperson in diesem Sinne sei, dass die gewährte Leistung auf eine dauerhafte Einbindung des Kindes oder Jugendlichen in eine andere (Pflege-)Familie und die damit typischerweise einhergehende Ausbildung besonderer persönlicher und familiärer Bindungen zwischen dem Kind oder Jugendlichen und den Pflegeeltern als den zentralen und längerfristig zur Verfügung stehenden Bezugspersonen abziele. Diese Voraussetzungen erfülle auch die konkret gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Unterbringung der F… im Haushalt der Eheleute H… Unerheblich sei, dass diese Unterbringung auf § 27 i.V.m. § 34 SGB VIII gestützt werde.

Rz. 6

 Der Beklagte lehnte die Übernahme des Hilfefalls ab. Pflegeperson im Sinne des § 86 Abs. 6 SGB VIII sei nur, wer der Sache nach Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege nach § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII leiste. Dies täten die Eheleute H… nicht. Für die hier in Rede stehende institutionalisierte Unterbringung nach § 34 SGB VIII sehe das Gesetz einen Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nicht vor.

Rz. 7

 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Definition des Begriffs der Pflegeperson im Sinne des § 86 Abs. 6 SGB VIII hat es sich der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz (vgl. Urteil vom 24. Oktober 2008 – 7 A 10444/08 – JAmt 2009, 92) angeschlossen. Danach sei der in § 86 Abs. 6 SGB VIII verwandte Begriff der Pflegeperson mit dem in § 44 SGB VIII legal definierten Begriff der Pflegeperson identisch. Da der Anwendungsbereich des § 44 SGB VIII seit der Neufassung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe – KICK – vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729) von denen des § 43 SGB VIII und des § 45 bzw. § 48a SGB VIII abzugrenzen sei, sei Pflegeperson im Sinne des § 44 SGB VIII und damit auch des § 86 Abs. 6 SGB VIII nur, wer der Sache nach Vollzeitpflege im Sinne des § 33 SGB VIII leiste. Eine solche liege in Abgrenzung von familienähnlich ausgestalteten Hilfeformen nach § 34 SGB VIII vor, wenn das Kind oder der Jugendliche vom Jugendamt an die betreuende Person selbst vermittelt worden sei, die deshalb umfassend allein persönlich verantwortlich sei. Ergänzend könne darauf abgestellt werden, dass die Bewilligung der Hilfe ihre Rechtsgrundlage in § 33 SGB VIII finde, für die Betreuung Leistungen nach § 39 SGB VIII, insbesondere in Form von Pauschalbeträgen, unmittelbar an die betreuende Person erbracht würden und der betreuenden Person für das betreute Kind oder den betreuten Jugendlichen eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 SGB VIII erteilt worden sei. Ausgehend von diesen Kriterien sei hier keine Vollzeitpflege im Sinne des § 33 SGB VIII gegeben. Denn die Klägerin habe die Einrichtung und nicht unmittelbar die Eheleute H… mit der Betreuung der F… betraut. Sollten diese als Betreuungsfamilie ausfallen, müsste die Einrichtung eine anderweitige Betreuung der F… sicherstellen. Darüber hinaus werde die gewährte Hilfe auf § 27 i.V.m. § 34 SGB VIII als Rechtsgrundlage gestützt. Außerdem habe die Klägerin die Kosten für die Inanspruchnahme der Betreuungsfamilie direkt mit der Einrichtung entsprechend der geschlossenen Entgeltvereinbarung in Form von Tagessätzen – ebenso wie das Taschengeld – abgerechnet.

Rz. 8

 Mit ihrer Sprungrevision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt eine Verletzung des § 86 Abs. 6 SGB VIII i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG.

Rz. 9

 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

 

Entscheidungsgründe

II

Rz. 10

 Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage unter Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgewiesen. Es hat den Begriff der Pflegeperson im Sinne des § 86 Abs. 6 SGB VIII zu eng ausgelegt, soweit es angenommen hat, Pflegeperson im Sinne dieser Vorschrift sei nur, wer der Sache nach Vollzeitpflege im Sinne des § 33 SGB VIII leiste. Dieser Begriff wird vielmehr allein durch die Merkmale der Legaldefinition des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ausgefüllt (1.). Da die Eheleute H… die Kriterien dieser Vorschrift und die weiteren Voraussetzungen der Zuständigkeitsbestimmung des § 86 Abs. 6 SGB VIII erfüllen (2.) ist – entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts – festzustellen, dass der Beklagte für den Jugendhilfefall F… örtlich zuständig ist.

Rz. 11

 1. Nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII wird, abweichend von den Absätzen 1 bis 5 der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn das Kind oder der Jugendliche zwei Jahre bei der Pflegeperson lebt und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist. Der in § 86 Abs. 6 SGB VIII verwendete Begriff der Pflegeperson wird in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gesetzlich definiert. Danach ist Pflegeperson, wer ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht in seinen Haushalt aufnimmt. Diese gesetzliche Begriffsbestimmung ist so allgemein gehalten, dass sie – obgleich sie nicht im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches Achtes Buch steht – grundsätzlich für den gesamten Anwendungsbereich des Kinder- und Jugendhilferechts Geltung beansprucht. Sie ist als solche auch von dem engeren systematischen Zusammenhang des § 44 SGB VIII gelöst, sodass sie wegen ihrer Stellung in der Vorschrift über die Erlaubnis zur Vollzeitpflege nicht auf solche Personen beschränkt ist, die der Sache nach Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege im Sinne des § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII leisten (1.1). Eine derartige Einschränkung ergibt sich auch nicht aus der Verwendung des Begriffs im speziellen Regelungskontext der örtlichen Zuständigkeit (1.2).

Rz. 12

 1.1 Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII enthält eine leistungsunabhängige Begriffsbestimmung. Die Erläuterung des Begriffs der Pflegeperson ist nach Wortlaut und systematischer Stellung der Regelung über den Erlaubnisvorbehalt bei Vollzeitpflege vorangestellt. Die Qualifikation einer Person als Pflegeperson ist (notwendige) Voraussetzung für eine nach Maßgabe des § 44 Abs. 1 Satz 2 erforderliche und unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB VIII zu versagende Erlaubnis. Sie ist nicht erst die Folge einer im Einzelfall für die Vollzeitpflege auf der Grundlage des § 44 SGB VIII erteilten Erlaubnis.

Rz. 13

 1.2 Zwar dürfte es sich bei der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII in der Praxis um den Regelfall des § 86 Abs. 6 SGB VIII handeln, der auch dem Gesetzgeber als Leitbild gedient hat (vgl. z.B. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen – Bundeskinderschutzgesetz – vom 15. April 2011, BTDrucks 17/6256 S. 28). Dafür spricht auch die an § 86 Abs. 6 SGB VIII anknüpfende Kostenerstattungsregelung des § 89a SGB VIII, die mit “Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege” überschrieben ist. Jedoch ist der Begriff der Pflegeperson im Anwendungsbereich des § 86 Abs. 6 SGB VIII deshalb nicht zwangsläufig auf solche Personen begrenzt. Die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII ist in § 86 Abs. 6 SGB VIII nicht erwähnt. Auch Systematik sowie Gesetzeszweck enthalten keinen Anhaltspunkt, dass der Begriff der Pflegeperson in § 86 Abs. 6 SGB VIII an die Gewährung dieser speziellen Leistung gebunden ist. Vielmehr entspricht es, auch angesichts der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 Abs. 6 SGB VIII, dem gesetzgeberischen Anliegen, für den Begriff der Pflegeperson allein auf die Merkmale der Legaldefinition des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII abzustellen.

Rz. 14

 Nach dem Regelungskonzept des § 86 SGB VIII ist der Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII als Folge der Begründung eines neuen familiär oder familienähnlich strukturierten Pflegeverhältnisses veranlasst. Die Vorschrift des § 86 SGB VIII orientiert sich am Wohl des Kindes oder Jugendlichen (vgl. § 1 Abs. 1 und 3 SGB VIII) als Ausgangspunkt und Ziel jeder Jugendhilfemaßnahme und soll eine effektive Aufgabenwahrnehmung sicherstellen (Urteil vom 30. September 2009 – BVerwG 5 C 18.08 – BVerwGE 135, 58 = Buchholz 436.511 § 86 KJHG/SGB VIII Nr. 9 jeweils Rn. 23). Zu diesem Zweck knüpft sie die örtliche Zuständigkeit losgelöst von der konkreten Leistung an eine räumliche Nähe zu dem Ort, an dem das Kind oder der Jugendliche (primär) seinen Lebensmittelpunkt hat. Sie ist mithin eine rein aufenthaltsbezogene Bestimmung. Dabei berücksichtigt sie, dass ein Kind oder Jugendlicher aus rechtlicher und pädagogischer Sicht im Zusammenhang mit den Personen zu sehen ist, die für es oder ihn die Erziehungsverantwortung innehaben (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, Vor § 86 Rn. 7). Dementsprechend bindet § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich an den gewöhnlichen Aufenthalt(sort) der Eltern bzw. des maßgeblichen Elternteils (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), weil diese bzw. dieser im Regelfall auch die Nähe zur Lebenswelt des Kindes oder Jugendlichen vermitteln bzw. vermittelt. § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII durchbricht diese Regel in den Fällen, in denen ein Kind oder Jugendlicher auf Dauer in eine andere Familie eingebunden ist (vgl. BTDrucks 11/5948 S. 104). Lebt ein Kind oder Jugendlicher längere Zeit mit anderen Personen in einer familienähnlich strukturierten Gemeinschaft zusammen, verschiebt sich gewöhnlich dessen Lebensmittelpunkt. Das Kind oder der Jugendliche bildet typischerweise (auch) zu den dort als zentrale und langfristig zur Verfügung stehenden Bezugspersonen persönliche und familiäre Bindungen aus. In Anerkennung dieser allgemeinen psychosozialen Realität will § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit – abweichend von § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII – an den gewöhnlichen Aufenthalt dieser Bezugspersonen binden. Dadurch wird die im Interesse des Kindes oder Jugendlichen liegende enge und kontinuierliche Zusammenarbeit des Jugendamtes mit der Person oder den Personen ermöglicht und begünstigt, die faktisch die Funktion der Eltern wahrnimmt oder wahrnehmen.

Rz. 15

 Für den erforderlichen familiären oder familienähnlichen Charakter ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass das Kind oder der Jugendliche gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII über Tag und Nacht in den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen wird. Denn eine derartige Aufnahme ist ihrer Art nach typischerweise auf die Begründung familiärer oder familienähnlicher Beziehungen angelegt. Haushalt im Sinne dieser Vorschrift ist der private Haushalt der Pflegeperson. Die Pflegeperson muss also den Haushalt eigenverantwortlich führen. Eine Haushaltsaufnahme über Tag und Nacht ist gegeben, wenn das Kind oder der Jugendliche dort sein Zuhause hat. Das Kind oder der Jugendliche muss sich grundsätzlich durchgängig und nicht nur zeitweise im Haushalt der Pflegeperson aufhalten. Eine zeitweilige auswärtige Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen von vorübergehender Dauer (z.B. zur Schul- oder Berufsausbildung) ist dabei unschädlich, sofern es oder er im Rahmen der Möglichkeiten regelmäßig in den Haushalt der Pflegeperson zurückkehrt.

Rz. 16

 Die darüber hinaus geforderte Beständigkeit der Beziehung wird hingegen allein aus einem zweijährigen Aufenthalt bei der Pflegeperson und der positiven Prognose zum weiteren Verbleib bei dieser Person hergeleitet. Dem liegt die Erfahrung zugrunde, dass sich persönliche und emotionale Bindungen mit der Dauer des Zusammenlebens verfestigen. Für die Bestimmung der Zuständigkeit nicht erforderlich ist hingegen die Feststellung, dass eine derartige Verfestigung im konkreten Pflegeverhältnis tatsächlich eingetreten ist und sich eine der Eltern-Kind-Beziehung vergleichbare Bindung entwickelt hat. Denn die Bewertung der tatsächlichen Qualität von Bindungen in einem konkreten Pflegeverhältnis hängt im Wesentlichen von inneren Tatsachen ab und kann mit beträchtlichen Unsicherheiten belastet sein. Dies steht dem Bedürfnis nach Zuständigkeits- und Rechtssicherheit entgegen. Der Träger der örtlichen Jugendhilfe, der gegenwärtig zur Gewährung der Jugendhilfeleistung berechtigt und verpflichtet ist und dem damit die Verantwortung für die Gewährung einer einzelnen Jugendhilfemaßnahme zukommt, muss sich ohne intensivere Nachforschungen und Entscheidungen klar und eindeutig bestimmen lassen (vgl. BTDrucks 11/5948 S. 104).

Rz. 17

 Für eine von den Voraussetzungen der Vollzeitpflege im Sinne des § 33 SGB VIII unabhängige Begriffsbestimmung spricht zudem, dass die Zweijahresfrist des § 86 Abs. 6 SGB VIII üblicherweise auch bei solchen Zeiten angerechnet wird, in denen das Kind oder der Jugendliche bei einer Pflegeperson lebt, ohne dass eine Leistung der Jugendhilfe im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VIII erbracht wird (vgl. z.B. Wiesner a.a.O. § 86 Rn. 35 f.; Reisch, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, Stand Januar 2010, KJHG Art. 1 Erl. § 86 Rn. 74; Krug, in: Krug/Riehle, SGB VIII, Stand Dezember 2008, § 86 S. 19; W. Schellhorn, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII/KJHG, 3. Aufl. 2007, § 86 Rn. 49; Kunkel, in: Kunkel, LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 86 Rn. 49; Grube, in: Hauck, SGB VIII, Stand November 2004, K § 86 Rn. 29; VG Darmstadt, Urteil vom 25. September 2001 – 6 E 1879/00 (4) – ZfJ 2002, 360; VG Freiburg, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 8 K 1273/00 – JAmt 2001, 600).

Rz. 18

 2. In Anwendung der vorstehenden Begriffsbestimmung sind die Eheleute H… Pflegepersonen im Sinne des § 86 Abs. 6 SGB VIII. Sie haben die F… – was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – über Tag und Nacht in ihren Haushalt aufgenommen. Auch die weiteren Voraussetzungen dieser Zuständigkeitsregelung sind – was unter den Beteiligten ebenfalls nicht im Streit steht – erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) lebt die Hilfeempfängerin seit dem 1. Dezember 2002 und damit mehr als zwei Jahre bei den im Bereich des Beklagten wohnenden Eheleuten H… und wird auch voraussichtlich bei diesen bis zu ihrer Verselbständigung verbleiben.

Rz. 19

 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Hund, Stengelhofen, Dr. Störmer, Dr. Häußler, Dr. Fleuß

 

Fundstellen

BVerwGE 2012, 305

FamRZ 2012, 126

DÖV 2012, 163

FEVS 2012, 477

NDV-RD 2011, 143

DVBl. 2012, 122

Jugendhilfe 2012, 50

ZKJ 2012, 35

FSt 2012, 419

JAmt 2011, 605

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