Leitsatz (amtlich)

1. Die Gebührenregelung, nach welcher Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts im sozialgerichtlichen Verfahren auch dann eine Gebühr zu entrichten haben, wenn sie im Verfahren obsiegen (§ 1841 SGG), ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

2. Die Ermächtigung, nach welcher die Bundesregierung die Höhe dieser Gebühr festzusetzen hat (§ 184 II SGG), entspricht den Anforderungen des Art. 801 GG.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 S. 2; SGG § 184 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart

 

Tatbestand

Zum Sachverhalt: Im Ausgangsverfahren hatte sich eine Arbeitnehmerin dagegen gewehrt, daß sie von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse – DAK – zur Beitragszahlung herangezogen worden war. Nachdem sich im Verfahren herausstellte, daß die Beitragserhebung aufgrund irrtümlicher Angaben der klagenden Arbeitnehmerin über die Höhe ihres Arbeitsentgelts erfolgt war, sah die bekl. Krankenkasse von der Erhebung von Beiträgen ab. Daraufhin nahm die Kl. die Klage zurück.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle erhob von der bekl. Krankenkasse eine Pauschgebühr von 25 DM, gegen welche diese Erinnerung mit der Begründung einlegte, für die Klage keine Veranlassung gegeben zu haben. Der Urkundsbeamte legte den Rechtsbehelf dem SG zur Entscheidung vor.

Das SG hat die Kostenstreitsache ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die Pauschgebührenregelung in §§ 184 bis 187 SGG zumindest teilweise gegen Art. 31 GG i.V. mit Art. 141 GG und dem Rechtsstaatsprinzip verstößt und ob insbesondere die Verordnungsermächtigung in § 184 II SGG die von Art. 80 I 2 GG vorgegebene Grenze überschreitet.

Das BVerfG teilte die Bedenken nicht.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Vorlage ist zulässig. Indessen ist die Vorlagefrage zu weit gefaßt und bedarf der Einschränkung. Unter Berücksichtigung der im Ausgangsverfahren streitigen Frage ist lediglich darüber zu entscheiden, ob die Pauschgebührenregelung des § 1841 SGG der Verfassung entspricht und ob die Verordnungsermächtigung in § 184 I SGG die von Art. 80 I 2 GG vorgegebene Grenze überschreitet. Die vom SG weiterhin zur Prüfung gestellten Bestimmungen der §§ 185 bis 187 SGG können hingegen nicht Gegenstand des konkreten Normenkontrollverfahrens sein, weil entweder verfassungsrechtliche Bedenken gegen sie nicht dargetan werden (§§ 185, 186 SGG) oder weil sie im Ausgangsverfahren nicht zur Anwendung gelangen können (§ 187 SGG).

C. Die zur Prüfung gestellte Regelung des § 184 SGG ist in ihren beiden Absätzen mit dem Grundgesetz vereinbar.

I. Die Vorschrift des § 184 I SGG, nach der Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts im sozialgerichtlichen Verfahren eine Gebühr zu entrichten haben, wird den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes und der Eigentumsgarantie gerecht.

1. Diese Norm ist am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zu prüfen. Bei der Regelung der Verhältnisse von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts ist der Gesetzgeber auch dann an den Gleichheitssatz gebunden, wenn diese sich nicht auf Grundrechte berufen können. Im Gleichheitssatz kommt ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, der bereits aus dem Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit folgt; insofern beansprucht der Gleichheitssatz objektiv auch Geltung für die Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus (vgl. BVerfGE 23, 12 [24] = NJW 1968, 739 m.w.Nachw.). Insbesondere ist das sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergebende Willkürverbot zu beachten, wenn eine öffentlichrechtliche Körperschaft an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt ist (vgl. BVerfGE 35, 263 [271f.] = NJW 1973, 1491). Dieses Gebot wird durch die zur Prüfung gestellte Kostenregelung nicht verletzt.

Das vorlegende Gericht geht davon aus, daß die Grundregelung, nach der die Kosten des sozialgerichtlichen Verfahrens allein die am Verfahren beteiligten öffentlichrechtlichen Körperschaften oder Anstalten treffen, gegen die Systematik des deutschen Gerichtskostenrechts verstößt, nach welchem regelmäßig nur derjenige Gerichtsgebühren zu entrichten hat, der im Rechtsstreit unterlegen ist. Das mag im allgemeinen zutreffen. Aber selbst wenn man mit dem vorlegenden Gericht von einem System ausgehen wollte, nach dem nur der im Rechtsstreit Unterlegene Gerichtskosten zu zahlen hat, würde eine Verletzung dieses Systems jedenfalls allein nicht dazu führen können, die zur Prüfung gestellte Norm zu beanstanden. Grundsätzlich unterliegt es der Entscheidung des Gesetzgebers, nach welchem System er eine Materie ordnen will. Das BVerfG kann eine Regelung nur nach den Maßstäben der Verfassung, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der Systemwidrigkeit für verfassungswidrig erklären (vgl. BVerfGE 59, 36 [49] = NJW 1982, 1273; BVerfGE 61, 138 [149] = NJW 1983, 621).

Die vom vorlegenden Gericht angenommene Systemwidrigkeit ist auch kein Indiz dafür, daß die zur Prüfung gestellte Regelung gegen den Gleichheitssatz verstößt (vgl. BVerfGE 34, 103 [115] = NJW 1973, 500 m.w.Nachw.; BVerfGE 59, 36 [49] = NJW 1982, 1273). Jede Kostenregelung muß grundsätzlich im Zusammenhang mit der Materie gesehen werden, der sie zugeordnet ist. § 184 I SGG ist mit dem Sozialrecht und mit dem Sozialversicherungsrecht eng verbunden. Der Gesetzgeber hat einerseits die Sozialgerichtsverfahren nicht völlig kostenfrei zu Lasten des Steuerzahlers ausgestalten, andererseits dem Bürger die Durchsetzung seiner materiellen sozialen Rechte nicht durch die Besorgnis erschweren wollen, mit erheblichen Kosten belastet zu werden. Dem entspricht es, wenn das BSG in seiner Stellungnahme ausführt, daß der Grund für die Begünstigung der Versicherten hinsichtlich der Gerichtskosten in der staatlichen Daseinsvorsorge liege. Der Staat, der den Versicherten in der Regel dem Versicherungszwang unterwirft, bietet ihm zum Ausgleich durch Kostenfreiheit die Möglichkeit der umfassenden Wahrnehmung seiner Rechte. Diese Erwägungen schließen es auch aus, die Regelung als willkürlich zu betrachten. Vielmehr gibt es einsichtige und vernünftige Gründe dafür, daß der Gesetzgeber für das Sozialgerichtsverfahren ein „soziales Gerichtskostenrecht” geschaffen hat. Der schon aus der Frühzeit des Sozialversicherungsrechts stammende Grundgedanke, der dem Versicherten die Durchsetzung seiner materiellen Rechte erleichtern soll, besitzt weiter Gültigkeit, obschon zwischenzeitlich Sozialversicherte oft nicht mehr wirtschaftlich so schlecht gestellt sind, wie sie es ehedem waren.

Ins Gewicht fällt ferner, daß die Regelung die zur Kostentragung verpflichteten Sozialleistungsträger weder ausnahmslos noch besonders schwer trifft. So besteht nach § 190 S. 1 SGG die Möglichkeit, eine Gebühr niederzuschlagen, die durch unrichtige Behandlung der Streitsache entstanden ist.

Auch können nach § 192 SGG dem Verfahrensbeteiligten, der durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung dem Gericht oder einem Beteiligten Kosten verursacht hat, diese Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden. Von wesentlicher Bedeutung für die nach § 184 SGG belasteten öffentlichrechtlichen Körperschaften ist aber vor allem, daß sie – wie noch zu erörtern sein wird – nur verhältnismäßig geringe Pauschgebühren zu zahlen haben und damit auch dann, wenn sie unterliegen, nicht zu höheren Kosten herangezogen werden, die sich etwa bei einer Berechnung nach Streitwerten ergeben könnten.

2. Die Auffassung des vorlegenden Gerichts, die zur Prüfung gestellte Regelung verstoße gegen das Eigentumsgrundrecht der Ast. des Ausgangsverfahrens, ist offensichtlich unzutreffend. Sie nötigt schon deswegen nicht dazu, die Frage zu erörtern, ob in diesem Bereich überhaupt eine Grundrechtsfähigkeit von Körperschaften des Öffentlichen Rechts in Betracht gezogen werden könnte.

Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 141 GG könnte nur dann vorliegen, wenn die durch § 184 SGG auferlegte Geldleistungspflicht den Sozialleistungsträger übermäßig belasten und sein Vermögen grundlegend beeinträchtigen würde (vgl. BVerfGE 68, 287 [310f.] = NZA 1985, 326 L; BVerfGE 70, 219 [230]). Davon kann angesichts der Geringfügigkeit der Pauschgebührensätze keine Rede sein. Es kommt dabei auch nicht darauf an, wie hoch in einem Bundesland oder im Bundesgebiet die Gesamtbelastung aller Öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten durch § 184 I SGG ist. Maßgebend ist vielmehr, wie sich die Kostenbelastung jeweils im Falle einer Entscheidung nach § 184 SGG auswirkt. Selbst wenn aber auf die Gesamtausgaben abgestellt würde, ließe sich keine grundlegende Beeinträchtigung des Vermögens der betroffenen Sozialleistungsträger feststellen, die einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie auch nur als möglich erscheinen ließe.

II. Die vom vorlegenden Gericht zur Prüfung gestellte Norm des § 184 II SGG, durch welche die Bundesregierung ermächtigt wird, die nach § 1841 SGG zu erhebende Gebühr durch Rechtsverordnung festzusetzen, entspricht noch den Anforderungen des Art. 80 I 2 GG.

Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Art. 80 I 2 GG verlangt nicht, daß sich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung ausdrücklich aus der Ermächtigungsnorm ergeben. Eine solche hält auch dann der verfassungsrechtlichen Prüfung am Maßstab der zu Art. 80 I GG entwickelten Rechtsgrundsätze stand, wenn sich die dort geforderte Bestimmtheit durch Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsregeln ermitteln läßt. Zur Klärung können daher, wie auch sonst bei der Auslegung einer Vorschrift, der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Bestimmungen und das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, berücksichtigt werden. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm kann insoweit herangezogen werden (vgl. BVerfGE 55, 207 [226f.] = NJW 1981, 971; BVerfGE 58, 257 [277] = NJW 1982, 921).

Aus der Entstehungsgeschichte des § 184 II SGG läßt sich entnehmen, daß der Gesetzgeber den Grundgedanken der früheren Regelung des § 80 RVO aufrechterhalten wollte (BT-Dr I/4357, S. 32f.). Daraus und ebenso aus der Kostentragungspflicht im Falle des Obsiegens ist eine Begrenzung der Ermächtigung in dem Sinne herzuleiten, daß die Träger der Sozialversicherung nur mit verhältnismäßig geringen Gerichtskosten belastet werden sollten. Auch ergibt die Gesetzesbegründung, daß eine Pauschgebühr angesetzt werden sollte und daß diese je „Sache und Rechtszug” zu entrichten sei (BT-Dr, aaO). Im Zusammenhang mit den Vorschriften der §§ 185ff. SGG wird hinreichend deutlich, daß dem Verordnunggeber eine Staffelung des Gebührenrahmens aufgegeben worden ist. Überdies ist es offensichtlich der Sinn der Ermächtigung, daß der Verordnunggeber die Möglichkeit haben sollte, den Gebührensatz jeweils an die sich ändernden wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Berücksichtigt man schließlich, daß die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 I 2 GG von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsbereichs sowie der Intensität der Maßnahme abhängig sind (vgl. BVerfGE 58, 257 [277f.] = NJW 1982, 921), so ist die zur Prüfung gestellte Ermächtigungsnorm nicht zu beanstanden. Ihre Eingriffsintensität ist gering und der Rahmen, an den die Ausgestaltung der Pauschgebührenregelung gebunden wird, ohnedies eng.

 

Fundstellen

Haufe-Index 780440

BB 1987, 2376

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