Leitsatz (redaktionell)

1. Zum Unfallversicherungsschutz bei Besorgung des Frühstücks auf dem Weg zur Arbeitsstätte.

2. Schiebt der Versicherte in den unmittelbaren Wege zur Arbeit eine kurzfristige Verrichtung ein, so ist der Unfallversicherungsschutz nur dann gegeben, wenn die kurzfristige Verrichtung so unwesentlich ist, daß der versicherte Weg als nicht unterbrochen anzusehen ist oder aber die Verrichtung in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht.

3. Kauft ein Versicherter auf dem unmittelbaren Weg zur Arbeit Nahrungsmittel, die er während der Arbeitszeit verzehren will, und betritt er zu diesem Zweck ein Geschäft, so wird hierdurch der unfallversicherte Arbeitsweg grundsätzlich unterbrochen.

4. Das Einkaufen von Nahrungsmitteln steht - soweit keine besonderen Umstände im Einzelfall hinzukommen - mit der versicherten Tätigkeit grundsätzlich nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang; daher ist ein bei dieser Besorgung erlittener Unfall im allgemeinen nicht als Arbeitsunfall anzusehen.

 

Normenkette

RVO § 550 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Februar 1966 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I

Die klagende Krankenkasse beansprucht von der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (BAfU) Ersatz für Aufwendungen, die sie aus Anlaß von Unfällen der bei ihr gegen Krankheit versicherten Beigeladenen W vom 23. Oktober 1959 und 27. November 1959 gemacht hat. Sie ist der Auffassung, daß der Unfall vom 23. Oktober 1959 ein Unfall auf dem Wege zur Arbeit sei, für den die BAfU Entschädigung nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren habe, und der Unfall vom 27. November 1959 eine mittelbare Folge des ersten Unfalls.

Die Beigeladene, die im französischen Militärhospital in F beschäftigt war, wollte am 23. Oktober 1959 auf dem Wege zur Arbeitsstelle ein Milchgeschäft aufsuchen, um dort Brötchen und Butter für ein Frühstück während der Arbeitszeit zu besorgen. Nachdem sie die zum Milchgeschäft führenden zwei Stufen bereits betreten hatte, stolperte sie über den vor der Ladentür liegenden Fußabstreicher und stürzte durch die offenstehende Tür in den Laden. Dabei zog sie sich einen Mittelfußbruch rechts zu, der das Anlegen eines Gipsverbandes nötig machte. Am 27. November wollte sie den behandelnden Arzt aufsuchen. Beim Einsteigen in die Straßenbahn rutschte sie infolge der Gehbehinderung durch den Gipsverband vom Trittbrett ab und verletzte sich das linke Schienbein. Wegen der Folgen dieses zweiten Unfalls wurde sie bis zum 3. Februar 1960 in der Chirurgischen Universitätsklinik F stationär behandelt und war bis zum 10. April 1960 arbeitsunfähig.

Die Klägerin beansprucht von der BAfU Ersatz ihrer Aufwendungen aus Anlaß der beiden Unfälle und begründete das damit, daß es sich um einen Einkauf aus Anlaß der betrieblichen Arbeit gehandelt habe, weil Brötchen und Butter zum Verzehr in der Vesperpause benötigt worden seien. Die BAfU lehnte mit Schreiben vom 8. November 1960 den Ersatz der Aufwendungen mit der Begründung ab, der Unfall habe sich auf den Treppenstufen des Ladeneinganges und daher nicht auf einem öffentlichen Weg, sondern innerhalb eines Privatgrundstücks ereignet. Während des Klageverfahrens erteilte die BAfU der Beigeladenen einen Bescheid (18. Mai 1961), mit dem sie den Entschädigungsanspruch der Beigeladenen mit der gleichen Begründung ablehnte. Eine Durchschrift dieses Bescheides übersandte die BAfU der Klägerin zur Kenntnisnahme.

Am 5. Dezember 1960 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Freiburg Klage gegen die BAfU erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Unfälle der Frau W als entschädigungspflichtige Wegeunfälle (§ 543 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF) anzuerkennen und der Klägerin Ersatz gemäß § 1509 RVO aF zu gewähren. Zur Begründung hat sie sich auf die Rechtsprechung bezogen, wonach die Besorgung von Lebensmitteln, die zu dem Zwecke erfolge, sich für die weitere Arbeit zu kräftigen, um weiterarbeiten zu können, unter dem Schutz der Unfallversicherung stehe. Hinsichtlich des zweiten Unfalles hat sie ausgeführt, daß es sich um eine mittelbare Folge des ersten Unfalles handele.

Das SG hat durch Urteil vom 6. November 1962 die Beklagte verurteilt, den am 23. Oktober 1959 erlittenen Unfall der Beigeladenen als Wegeunfall im Sinne des § 543 RVO aF und den am 27. November 1959 erlittenen Unfall als mittelbare Folge anzuerkennen und der Klägerin Ersatz entsprechend § 1509 Abs. 1 RVO zu leisten.

Zur Begründung hat das SG u. a. ausgeführt: Der Hinweis der Beklagten auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. April 1957 (SozR Nr. 5 zu § 543 aF RVO) gehe fehl. In jenem Fall liege eine Unterbrechung des geschützten Weges durch private Besorgungen vor; denn der Verletzte habe nach Beendigung der Arbeit Lebensmittel eingekauft, die rein persönlichen Bedürfnissen und nicht der Erhaltung der Arbeitskraft gedient hätten. Hier handele es sich dagegen um einen Einkauf von Lebensmitteln zur Erhaltung der Arbeitskraft, so daß der innere Zusammenhang mit der versicherten Arbeitstätigkeit zu bejahen sei. Der zweite Unfall sei eine mittelbare Folge des ersten, wie auch die Beklagte nicht bestreite. Im Verfahren über die Berufung der BAfU gegen dieses Urteil hat die Klägerin ihre Ausführungen noch dahin ergänzt, daß ihr Ersatzanspruch insgesamt 1557,33 DM betrage.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat auf die Berufung der BAfU das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat das LSG u. a. ausgeführt: Der Unfall vom 27. November 1959 erfülle unstreitig die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles nicht, sei jedoch eine mittelbare Folge des Unfalls vom 23. Oktober 1959. Dieser Unfall habe sich jedoch nicht beim Zurücklegen des unter Versicherungsschutz stehenden Weges nach der Arbeitsstätte ereignet. Die Beigeladene habe mit dem Betreten der Stufen des Milchgeschäftes in das Zurücklegen des Weges eine Verrichtung eingeschoben, die nicht unmittelbar das Erreichen der Arbeitsstätte bezweckte. Diese Verrichtung habe, für sich betrachtet, nicht dem Versicherungsschutz unterlegen. Die Besorgung von Brötchen und Butter für die Frühstückspause habe vielmehr allein den persönlichen Bedürfnissen der Beigeladenen gedient. Der Einkauf sei nicht zur Erhaltung der Arbeitskraft nötig gewesen, damit ein schon bestehendes und die Weiterarbeit erschwerendes oder verhinderndes Hungergefühl überwunden werden könne. Die Beigeladene habe das Frühstück nur vorsorglich besorgen wollen, und das Frühstück sei nicht erforderlich gewesen, um eine alsbaldige Weiterarbeit oder die Zurücklegung des restlichen Weges zur Arbeitsstätte zu ermöglichen. Die Beigeladene hätte den Einkauf vielmehr ebenso schon am Abend vorher oder zu einem anderen Zeitpunkt tätigen können. Die Besorgung könne auch hinsichtlich ihrer voraussichtlichen zeitlichen Dauer und der Art ihrer Erledigung nicht als so geringfügig angesehen werden, daß sie keine rechtlich ins Gewicht fallende Unterbrechung des Weges zur Arbeitsstätte bewirkt hätte. Es handele sich nicht um einen Fall von Besorgung im Vorbeigehen an auf der Straße befindlichen Verkaufsständen oder Automaten. Die Beigeladene habe vielmehr die Straße verlassen und ein privates Grundstück betreten. Das Aufsuchen des Geschäfts bedeute für den Weg zur Arbeitsstätte eine deutliche Zäsur, die den Weg unterbrochen habe. Dabei komme es weniger auf die räumliche Entfernung der Unfallstelle von der Straße an als in erster Linie darauf, daß die Beigeladene ohne die private Besorgung überhaupt nicht an die Unfallstelle gelangt wäre.

Gegen das Urteil des LSG, das an die Klägerin am 6. April 1966 mittels eingeschriebenen Briefes zur Post gegeben worden ist, hat die Klägerin am 25. April 1966 Revision eingelegt mit dem Antrag,

das Urteil des LSG aufzuheben und das Urteil des SG zu bestätigen.

Zur Begründung hat sie ergänzend vorgetragen: Die Arbeitszeit hätte am Unfalltage bis 14 Uhr gedauert, und die Beigeladene hätte sich während dieser Zeit selbst verpflegen müssen, weil dem deutschen Personal des Lazaretts keine Verpflegung aus Lazarettbeständen hätte verabreicht werden dürfen. Es sei unverständlich, daß ein Unterschied bezüglich des Versicherungsschutzes bestehen solle, ob das Vesperbrot unmittelbar vor dem Verzehr während der Arbeitspause eingekauft werde oder aber bereits auf dem Weg zur Arbeitsstelle, um erst später verzehrt zu werden. Auch ein Versicherter, der sich das Essen erst unmittelbar vor dem Verzehr besorge, habe bereits vorher gewußt, wie lange er zu arbeiten habe und daß er sich während der Arbeitszeit, um weiterarbeiten zu können, verpflegen müsse. Das Hungergefühl sei in einem solchen Fall deshalb kein unvorhergesehenes Ereignis. Deshalb sei auch im vorliegenden Fall der innere Zusammenhang zwischen dem Einkauf von Lebensmitteln und der betrieblichen Tätigkeit zu bejahen. Das LSG habe auch die Unterbrechung des Weges zum Zwecke dieses Einkaufs zu Unrecht als nicht geringfügig angesehen, die Entfernung von der Gehweggrenze bis zur Unfallstelle vor der Ladentür betrage höchstens einen Meter. Auch Automaten und Verkaufsstände befänden sich oft auf einem privaten Grundstück und könnten unter Umständen vom öffentlichen Weg noch weiter entfernt sein als im vorliegenden Fall das Milchgeschäft.

Die BAfU beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt.

Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zu entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

II

Die in der gesetzlichen Form und Frist eingelegte und begründete Revision der Klägerin ist durch Zulassung statthaft und somit zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ausschließlich der von der Klägerin mit der Klage beim SG Freiburg geltend gemachte Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen, die sie aus Anlaß der Unfälle der Beigeladenen W vom 23. Oktober und 27. November 1959 gemacht hat (§§ 1504 ff. RVO idF vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - RVO aF). Für die Entscheidung über diesen Ersatzanspruch ist der Bescheid vom 18. Mai 1961, mit dem die BAfU den Entschädigungsanspruch der Beigeladenen abgelehnt hat, ohne Bedeutung. Im Verfahren über den Ersatzanspruch der Klägerin ist vielmehr ohne Rücksicht auf eine etwaige Bindungswirkung dieses Bescheides über die Vorfrage zu entscheiden, ob es sich um Unfälle handelt, für die der Träger der Unfallversicherung zu entschädigen hat (§ 1504 RVO aF, vgl. BSG 24, 155).

Wie das LSG nicht verkannt hat, befand sich die Beigeladene am 23. Oktober 1959 auf dem unmittelbaren Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte, so daß das Zurücklegen dieses Weges mit der versicherten Tätigkeit im französischen Militärhospital in rechtlich wesentlichem Zusammenhang und deshalb nach § 543 RVO aF unter Versicherungsschutz stand. Im Zeitpunkt des Unfalles hatte die Beigeladene jedoch in das Zurücklegen des Weges zur Arbeit eine Verrichtung eingeschoben, die nicht der Erreichung ihres Zieles diente. Sie hatte bereits die Stufen des am Wege liegenden Milchgeschäftes betreten, und der Unfall ereignete sich dadurch, daß sie über einen vor der Ladentür liegenden Fußabstreicher stolperte und in das Geschäft hineinfiel. Das LSG hat mit Recht geprüft, ob diese Einschiebung in das Zurücklegen des Weges so wesentlich war, daß während ihrer Dauer der ursächliche Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges als rechtlich unwesentlich in den Hintergrund getreten und deshalb der Versicherungsschutz nach § 543 RVO aF unterbrochen war (vgl. SozR Nr. 5 und Nr. 28 zu § 543 aF RVO und BSG 20, 219). Diese Frage hat das LSG nach der Auffassung des erkennenden Senats zutreffend bejaht. Es hat zur Begründung der Auffassung, das Aufsuchen des Milchgeschäftes bilde innerhalb des Weges zur Arbeit eine deutliche "Zäsur", mit Recht auf den Umstand hingewiesen, daß die Beigeladene den Bereich der öffentlichen Straße, auf der sie den Weg zur Arbeitsstätte zurücklegte, verlassen hatte und sich im Zeitpunkt des Unfalls im Bereich eines vom Straßenbereich abgesonderten privaten Grundstückes befand.

Da hiernach das Betreten des Grundstückes, in dem sich das Milchgeschäft befindet, vom Versicherungsschutz für das Zurücklegen des Weges zur Arbeit nicht ohne weiteres miterfaßt wird, bedurfte es der Prüfung, ob das Aufsuchen des Milchgeschäftes - für sich betrachtet - mit der versicherten Tätigkeit im französischen Militärhospital in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang stand. Dafür genügt es nicht, daß die Beigeladene die Brötchen und die Butter, die sie im Laden kaufen wollte, für das Frühstück während einer Arbeitspause zu verwenden beabsichtigte. Hinsichtlich dieser Beziehung zur versicherten Arbeitstätigkeit unterscheidet sich der beabsichtigte Einkauf grundsätzlich nicht von den zahlreichen - dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden - Verrichtungen, die nötig sind, damit der Weg zur Arbeit angetreten und die Arbeit ausgeführt werden kann (vgl. BSG 7, 255, 257). Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß darüber hinaus keine durch besondere Umstände begründete Notwendigkeit bestand, für den zukünftigen Nahrungsbedarf während der Arbeit durch den beabsichtigten Einkauf Vorsorge zu treffen. Die Beigeladene war vielmehr in ihrer Entschließung frei, wann und auf welche Weise sie entsprechend ihren Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten dem Umstand vorsorglich Rechnung tragen wollte, daß sie - nach dem Frühstück zu Hause, dessen Umfang sie gleichfalls frei bestimmen konnte - bis zum Ende der Arbeitszeit um 14 Uhr keine weitere Mahlzeit erhalten würde.

Auch nach der Auffassung des erkennenden Senats ist der beabsichtigte Einkauf unter den Gegebenheiten des vorliegenden Falles dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen, so daß sich auch unter diesem Gesichtspunkt für das Aufsuchen des Milchgeschäftes kein Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung ergibt.

Da hiernach die BAfU nicht verpflichtet ist, der Beigeladenen für die Folgen des Unfalls vom 23. Oktober 1959 Entschädigung nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, daß ihr die BAfU die aus Anlaß dieses Unfalls gemachten Aufwendungen im Rahmen der §§ 1504 ff. RVO aF ersetzt. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, entfällt damit auch ein Anspruch auf Ersatz der aus Anlaß des Unfalls vom 27. November 1959 gemachten Aufwendungen. Das LSG hat die Klage ohne Rechtsirrtum abgewiesen. Die Revision ist unbegründet und war zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324573

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