Entscheidungsstichwort (Thema)

Familienwochenhilfe. Bundesausschuß

 

Leitsatz (amtlich)

1. RVO § 205d ist mit dem ersten Zusammentritt des Bundestags (1949-09-21) Bundesrecht jedenfalls im Bereich der ehemaligen britischen Besatzungszone geworden (GG Art 123 Abs 1, GG Art 125 Nr 1, GG Art 74 Nr 12).

2. Die Verpflichtung zur Zahlung des Zuschusses nach RVO § 205d ist mit Wirkung vom 1950-04-01 auf den Bund übergegangen (überlG 1950 § 1 Nr 11 iVm GG Art 120).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. RVO § 205d hat nur haushaltsrechtliche Bedeutung. Eine Norm, deren Aufhebung wahrscheinlich oder sogar mit Sicherheit zu erwarten ist, bleibt uneingeschränkt verbindlich, solange sie besteht.

2. Aus rechtsstaatlichen Erwägungen müßte ein Gesetzgebungsverfahren auf größte Bedenken stoßen, bei dem eine gesetzlich festgelegte Verpflichtung des Bundes mittelbar dadurch beseitigt werden könnte, daß sie lediglich bei der Aufzählung in einem anderen Gesetz nicht genannt wird. Sollen Normen aufgehoben werden, so muß das in einer für die gesetzgebenden Organe und die Betroffenen verständlichen, deutlichen Weise zum Ausdruck kommen.

3. Besonders strenge Anforderungen für den Nachweis eines Gewohnheitsrechts müssen gestellt werden, wenn es das gesetzte Recht zuungunsten der betroffenen Berechtigten zurückgedrängt haben soll.

 

Normenkette

RVO § 205d Fassung: 1926-07-09; GG Art. 120 S. 4 Fassung: 1949-05-23, Art. 123 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 125 Nr. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 74 Nr. 12 Fassung: 1949-05-23; ÜblG 1 § 17 Fassung: 1950-11-28, § 1 Nr. 11 Fassung: 1950-11-28

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1962 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29. Juli 1957 dahin abgeändert, daß festgestellt wird, daß die beklagte Bundesrepublik erst vom 1. April 1950 an verpflichtet ist, der Klägerin für jeden Fall der Familienwochenhilfe bis zum 27. November 1962 einen Zuschuß von 50,- DM zu zahlen. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die klagende Betriebskrankenkasse (BKK) begehrt die Feststellung, daß die beklagte Bundesrepublik verpflichtet ist, ihr, der Klägerin, für jeden Entbindungsfall im Rahmen der Familienwochenhilfe seit dem 21. September 1949, dem Zeitpunkt des ersten Zusammentritts des Bundestags, einen Zuschuß von 50,- DM zu gewähren.

Auf Grund des § 205 d der Reichsversicherungsordnung (RVO) hat das Deutsche Reich den gesetzlichen Krankenkassen (vgl. für die Ersatzkassen § 507 a Abs. 1 RVO) von 1919 bis 1930 einen Zuschuß für jeden Entbindungsfall im Rahmen der Familienwochenhilfe gewährt. § 205 d RVO war mit der Einführung der Familienwochenhilfe als Regelleistung (§ 205 a RVO) durch das Gesetz über Wochenhilfe und Wochenfürsorge vom 26. September 1919 (RGBl S. 1757) in die RVO eingefügt worden. Ursprünglich war danach der Zuschuß in Höhe der Hälfte der entsprechenden Aufwendungen der Krankenkassen zu gewähren. Durch Gesetz vom 9. Juli 1926 (RGBl I S. 407) wurde er auf 50,- RM je Entbindungsfall pauschaliert. Die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juli 1930 (Sechster Abschnitt § 14) - RGBl I S. 311 - ermächtigte den Reichsarbeitsminister, für das Jahr 1930 die Verpflichtungen des Reichs aus § 205 d RVO pauschal abzugelten und dabei von § 205 d RVO abzuweichen. Hierauf gestützt erging die Verordnung des Reichsarbeitsministers über die Abgeltung des Reichszuschusses zur Familienwochenhilfe im Rechnungsjahr 1930 vom 31. März 1931 (RGBl I S. 130). Dementsprechend ist für das Jahr 1930 abgerechnet worden. In den Jahren 1931 bis 1945 wurde in den jeweiligen Gesetzen bezw. Verordnungen über den Reichshaushalt für das fragliche Rechnungsjahr § 205 d RVO "für nicht anwendbar" erklärt.

Ursprünglich vertrat die klagende BKK - gestützt auf ein im Jahre 1956 erstattetes Rechtsgutachten der Professoren Dres. D und G - die Auffassung, die Bundesrepublik sei verpflichtet, den Zuschuß von 50,- DM für jeden Entbindungsfall in der Familienwochenhilfe seit 1931 zu gewähren. § 205 d RVO sei niemals aufgehoben worden. Die jeweilige Außerkraftsetzung dieser Vorschrift durch die Haushaltsgesetze bezw. -verordnungen in den Jahren 1931 bis 1945 sei verfassungswidrig gewesen, weil durch die fünfzehn Jahre hindurch fortgesetzte Suspension des § 205 d RVO die verfassungsrechtliche Schranke des Art. 85 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Verfassung mißachtet worden sei, wonach das Reichshaushaltsgesetz keine über das Rechnungsjahr hinausreichende Vorschriften enthalten dürfe. Für die nach dem Zusammenbruch bis zur Gründung der Bundesrepublik eingetretenen Fälle hafte diese als Funktionsnachfolgerin des Reiches.

Die Klägerin hat vor dem Sozialgericht (SG) beantragt,

festzustellen, daß die beklagte Bundesrepublik verpflichtet ist, ihr für jeden vom 1. Januar 1931 nachzuweisenden Entbindungsfall in der Wochenhilfe einen Zuschuß von 50,- DM zu gewähren.

Die beklagte Bundesrepublik hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage für unzulässig, weil die klagende BKK ihre Ansprüche nicht in dem hierfür vorgesehenen Verwaltungsfeststellungsverfahren (§ 205 d Abs. 2 und 3 RVO) angemeldet habe. Auf jeden Fall sei die Klage aber unbegründet: § 205 d RVO sei in den Jahren 1931 bis 1945 jeweils für ein Rechnungsjahr ausdrücklich außer Kraft gesetzt worden. Nach dieser über ein Jahrzehnt währenden Übung habe man nach 1945 die Wiederholung einer entsprechenden Bestimmung in den Haushaltsgesetzen der Länder und später des Bundes für entbehrlich halten können. Daß ein stillschweigender Fortfall des § 205 d RVO vorliege, ergebe sich insbesondere aus den gesetzgeberischen Maßnahmen des Bundes über Zuschußverpflichtungen - Art. 120 des Grundgesetzes (GG) nebst Erstem Gesetz zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund vom 28. November 1950 (BGBl I S. 773) - Erstes Überleitungsgesetz - und dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) 1952 -. In diesen Gesetzen sei der Zuschuß gem. § 205 d RVO nicht erwähnt worden. Insbesondere sei der Zuschuß nicht aufgeführt im § 17 des Ersten Überleitungsgesetzes, der eine erschöpfende Regelung der Zuschußverpflichtungen des Bundes zu den Kosten der Sozialversicherung beinhalte; alle hier nicht genannten Verpflichtungen seien bis zum Erlaß entsprechender gesetzlicher Regelungen aufgehoben. Auch bei der Schaffung des § 14 des Mutterschutzgesetzes 1952 sei der Wegfall des Zuschusses nach § 205 d RVO vorausgesetzt worden.

Da der Zuschuß seit 1930 nicht geleistet worden sei, könne auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 205 d RVO die im Professorengutachten vertretene These von der "Dauereinrichtung der Zuschußverpflichtung aus staats- und bevölkerungspolitischen Gründen" nicht geteilt werden. Bereits im Jahre 1925 sei die Beseitigung der Zuschußpflicht angestrebt worden. Auch der Geburtenanstieg in der Zeit nach 1934 habe die Krankenkassen nicht zur Anmeldung der Ansprüche veranlaßt.

Bejahe man aber die Zuschußverpflichtung, so handele es sich hinsichtlich der bis 1945 eingetretenen Fälle der Familienwochenhilfe um Reichsmarkverbindlichkeiten. Insoweit sei das Deutsche Reich passiv legitimiert. Solche Reichsmarkverbindlichkeiten seien nach § 14 des Umstellungsgesetzes von der Währungsumstellung ausgeschlossen und würden dem (damals zu erwartenden, inzwischen auch ergangenen) Kriegsfolgenschlußgesetz unterliegen. Von diesem Gesetz würden auch die Ansprüche aus der Zeit bis zur Errichtung der Bundesrepublik betroffen.

Im übrigen widerspreche die Geltendmachung der Ansprüche für die zurückliegende Zeit den Grundsätzen von Treu und Glauben.

Das SG hat festgestellt, dass die beklagte Bundesrepublik nach § 205 d RVO verpflichtet ist, der Klägerin für jeden seit dem 21. September 1949 eingetretenen Fall der Familienwochenhilfe (§ 205 a RVO) einen Zuschuß von 50,- DM zu zahlen; im übrigen wurde die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Juli 1957).

Gegen dieses Urteil haben die beiden Beteiligten Berufung eingelegt. Die klagende BKK verfolgte mit ihrer Berufung das Ziel, den Zuschuß nach § 205 d RVO auch für die Zeit vor dem 21. September 1949 zugesprochen zu erhalten.

Die beklagte Bundesrepublik hat beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Ihrer Auffassung nach ist § 205 d RVO nicht eine anspruchsgewährende Norm, sondern eine Vorschrift anweisenden, haushaltsrechtlichen Charakters. Bei dieser Betrachtungsweise sei die Suspension im Wege der Haushaltsgesetzgebung nicht zu beanstanden. Jedenfalls sei es nicht gerechtfertigt, aus § 205 d RVO rückschauend vom heutigen rechtsstaatlichen Denken einen Rechtsanspruch herzuleiten. Folge man dieser Auffassung nicht, so sei dem erstinstanzlichen Urteil darin beizupflichten, daß § 205 d RVO in den Jahren 1931 bis 1945 durch die Haushaltsgesetze, von 1945 bis 1949 durch die Anweisungen der Besatzungsmacht wirksam suspendiert worden sei. Davon abgesehen seien aber die vorkonstitutionellen Verbindlichkeiten des Reichs auf Grund des allgemeinen Kriegsfolgenschlußgesetzes erloschen. Die mit der Berufung der Klägerin verfolgten Ansprüche seien demnach nicht begründet. Im übrigen nimmt die Beklagte auf das zu derselben Rechtsfrage ergangene klageabweisende Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Bremen vom 3. April 1959 - L KR 3/58 - Bezug.

Das LSG hat beide Berufungen zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 27. November 1962).

Das LSG ist davon ausgegangen, daß § 205 d RVO eine Norm sei, die Ansprüche der Krankenkassen gegen das Deutsche Reich begründet habe. Da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung handele, sei der Sozialrechtsweg gegeben. Das Feststellungsinteresse der Klägerin liege deshalb vor, weil das in § 205 d Abs. 2 bis 4 RVO vorgesehene Verwaltungsfeststellungsverfahren ohne eine Entscheidung der Gerichte über die Fortgeltung des § 205 d RVO schwerlich durchgeführt werden könnte. In der Sache selbst sei entscheidend, daß die genannte Vorschrift seit 1931 zwar nicht mehr durchgeführt, aber niemals ausdrücklich aufgehoben worden sei. Sie sei nicht deshalb weggefallen, weil der Gesetzgeber möglicherweise seine Auffassung darüber geändert habe, daß die Krankenkassen die Lasten der Familienwochenhilfe nicht in vollem Umfang selbst tragen könnten. Auch die Suspensionen des § 205 d RVO in den Haushaltsgesetzen der Jahre 1931 bis 1945 ließen nicht den Schluß zu, daß § 205 d RVO damit aufgehoben sei; im Gegenteil sprächen gerade diese begrenzten Außerkraftsetzungen für die grundsätzliche Fortgeltung der Vorschrift. Ob die haushaltsrechtlichen Suspensionen - wegen Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 3 der Weimarer Verfassung - unwirksam seien, könne dahinstehen; denn nach § 1 Abs. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes vom 5. November 1957 - AKG - (BGBl I S. 1747) seien ohnehin alle Ansprüche gegen das Deutsche Reich erloschen. Damit sei aber nicht § 205 d RVO als anspruchsbegründende Norm angetastet worden. Auch die britische Besatzungsmacht habe davon abgesehen, in den Bestand dieser Vorschrift einzugreifen, und sich mit einer finanztechnischen Anweisung im Sinne einer weiteren Suspension des § 205 d RVO begnügt. Mit dem Inkrafttreten des GG sei diese Vorschrift nach Art. 123 GG Bundesrecht geworden. Das MuSchG vom 24. Januar 1952 sage nichts über die Fortgeltung des § 205 d RVO aus; es habe in seinem § 26 Abs. 3 nur ausgeschlossen, daß für Wochenhilfefälle in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum Inkrafttreten des MuSchG 1952 Ansprüche auf Grund des § 7 MuSchG 1942 erhoben werden könnten. Daß das Erste Überleitungsgesetz § 205 d RVO nicht erwähnt habe, rechtfertige gleichfalls nicht den Schluß, daß diese Verpflichtung weggefallen sei oder wegfallen sollte. Dieses Gesetz führe Art. 120 GG aus. Es betreffe nur das Verhältnis des Bundes zu den Ländern, könne aber weder Ansprüche Dritter begründen noch beseitigen. Die Nichtaufführung des Zuschusses aus § 205 d RVO in dem Katalog des § 17 des Ersten Überleitungsgesetzes erkläre sich zwanglos daraus, daß die Länder diesen Zuschuß nie gewährt hätten und daher eine Überleitung auf den Bund nicht erforderlich gewesen sei. § 205 d RVO sei auch nicht kraft Gewohnheitsrechts außer Kraft getreten. Da die Vorschrift von 1931 bis 1949 suspendiert gewesen sei, hätte sich erst seit 1949 eine Rechtsüberzeugung bilden können, daß § 205 d RVO gegenstandslos geworden sei. Die Kassen hätten erstmalig 1953 die Fortzahlung des Zuschusses gefordert. Die dazwischen liegende Zeit von vier bis fünf Jahren genüge nicht, ein Gewohnheitsrecht zu begründen. Die Forderung der Klägerin sei nicht verjährt; es gelte allenfalls die 30-jährige Verjährungsfrist des BGB. Die klagende Krankenkasse habe auch nicht ihre Rechte verwirkt; sie habe sich nicht illoyal verhalten, wenn sie mit ihrem Klagebegehren gewartet habe, bis eine gewisse Festigung der Verhältnisse eingetreten und insbesondere die Frage geklärt worden sei, inwieweit die Bundesrepublik in Angelegenheiten der vorliegenden Art an die Stelle des Reiches getreten sei.

Gegen dieses Urteil hat nur die beklagte Bundesrepublik Revision eingelegt mit dem Antrag,

1. das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als ihre Berufung zurückgewiesen wurde,

2. das Urteil des SG insoweit aufzuheben, als es der Klage stattgegeben hat,

3. die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Sie hat in Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens geltend gemacht: Schon die vierzehn Jahre währende Suspendierung des § 205 d RVO von 1931 bis 1945 habe dazu geführt, daß § 205 d RVO schließlich gänzlich obsolet geworden sei und nur noch einen "Merkposten" im Haushalt des Reichs dargestellt habe. Mit dem totalen Zusammenbruch des Deutschen Reiches und der Änderung der staatsrechtlichen Verhältnisse habe dieser Merkposten vollends seine Bedeutung verloren. Diese Vorschrift habe daher auch nicht mit dem ersten Zusammentreten des Bundestags wieder wirksam werden können. - § 205 d RVO sei inzwischen gewohnheitsrechtlich außer Kraft getreten. Für die Frage der Bildung von Gewohnheitsrecht sei die Zeit von 1945 bis zum heutigen Tage - nicht nur bis zur Klageerhebung - zu berücksichtigen. Nur zwei Krankenkassen - die Klägerin dieses Rechtsstreits und die Allgemeine Ortskrankenkasse Bremen - hätten unter Berufung auf § 205 d RVO Ansprüche gegen die beklagte Bundesrepublik geltend gemacht. Im Schrifttum sei die Fortgeltung des § 205 d RVO erst seit 1955 vertreten worden. - Die Klägerin habe etwaige Ansprüche aus § 205 d RVO verwirkt. Aus dem gesamten Verhalten der Klägerin und der übrigen Krankenkassen hätte die beklagte Bundesrepublik den Schluß ziehen müssen, daß die Krankenkassen selbst den § 205 d RVO nicht mehr für anwendbar gehalten hätten. - Auf jeden Fall sei die beklagte Bundesrepublik dadurch von Verpflichtungen aus § 205 d RVO freigestellt worden, daß § 17 des Ersten Überleitungsgesetzes den Zuschuß aus § 205 d RVO nicht aufgeführt habe. Die genannte Vorschrift führe erschöpfend auf, welche Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung der Bund mit Wirkung vom 1. April 1950 an zu leisten habe. - Vorsorglich sei im Haushaltsgesetz für 1963 vom 24. Juni 1963 - BGBl II S. 747 - (§ 10) die Vorschrift aufgenommen worden, § 205 d RVO finde im Rechnungsjahr 1963 keine Anwendung.

Die klagende BKK hat ihren Feststellungsantrag auf die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG (27. November 1962) beschränkt. Sie hat auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen und ergänzend vorgetragen, aus § 10 des Haushaltsgesetzes 1963 gehe hervor, daß die beklagte Bundesrepublik selbst nicht davon überzeugt sei, daß § 205 d RVO außer Kraft getreten sei. - Der Klägerin könne kein Verstoß gegen Treu und Glauben entgegengehalten werden, wenn sie mit der Klageerhebung bis 1956 gewartet habe. Bereits vor 1956 seien Verhandlungen mit den zuständigen Stellen geführt worden, die sogar zu Zusagen in der Richtung geführt hätten, daß Mittel zur Befriedigung der Ansprüche aus § 205 d RVO in den Haushaltsplan aufgenommen werden sollten.

Die beklagte Bundesrepublik tritt der Behauptung entgegen, daß Zusagen zur Bereitstellung von Haushaltsmitteln für Ansprüche nach § 205 d RVO gemacht worden seien. - Aus der nur vorsorglich gedachten Regelung des § 10 des Haushaltsgesetzes 1963 könne nicht auf Zweifel der beklagten Bundesrepublik über die Gegenstandslosigkeit des § 205 d RVO geschlossen werden. Bestünden insofern Zweifel, so hätte sie im Laufe der vergangenen Jahre Schritte unternommen, § 205 d RVO auch formell aufzuheben.

II

1. Die Feststellungsklage ist zulässig.

Zutreffend hat das LSG angenommen, daß der vorliegende Rechtsstreit, gerichtet auf die Feststellung der Verpflichtung der beklagten Bundesrepublik, der Klägerin für jeden Entbindungsfall in der Familienwochenhilfe seit dem 21. September 1949 bis zum 27. November 1962 auf Grund des § 205 d RVO einen Zuschuß von 50,- DM zu gewähren, eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung betrifft und daher der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist (§ 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -; vgl. zur öffentlich-rechtlichen Natur des Anspruchs auf den Zuschuß nach § 205 d RVO Urteil des Reichsgerichts vom 12. März 1934 in EuM Bd. 36 S. 79, 80 f.).

Daß die klagende Krankenkasse ihr Klageziel auf dem Wege der Feststellungsklage verfolgt, ist verfahrensrechtlich unbedenklich. Zwar ist in § 205 d Abs. 2 bis 4 RVO für die Abrechnung der nach § 205 d Abs. 1 RVO zuschußpflichtigen Fälle ein besonderes Verwaltungsfeststellungsverfahren - beginnend mit einer Anmeldung beim Versicherungsamt - vorgesehen. Doch betrifft der vorliegende Rechtsstreit nicht Fragen der förmlichen Abrechnung, sondern das Bestehen der materiell-rechtlichen Verpflichtung der beklagten Bundesrepublik. Dieser Streit gehört nicht in das verwaltungsmäßige Durchführungsverfahren, sondern ist sachgemäß mit einem Feststellungsbegehren nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu klären. - Das berechtigte Interesse der Klägerin an der baldigen Feststellung ist gegeben, weil die beklagte Bundesrepublik jede Verbindlichkeit aus § 205 d RVO bestreitet und eine gerichtliche Feststellung des Bestehens der Verpflichtung nach § 205 d Abs. 1 RVO den Weg für das Durchführungsverfahren mit den notwendigen Verwaltungsanordnungen (vgl. § 205 d Abs. 3 RVO) freimachen würde.

2. In der Sache selbst ist - nachdem die Klägerin davon abgesehen hat, gegen das Urteil des LSG, soweit sie selbst beschwert ist, Revision einzulegen - nur noch streitig, ob die beklagte Bundesrepublik verpflichtet ist, ihr seit dem 21. September 1949 für jeden Entbindungsfall im Rahmen der Familienwochenhilfe einen Zuschuß von 50,- DM zu gewähren. Dieser Anspruch wird auf § 205 d RVO gestützt. Zutreffend hat das LSG den Einwand der beklagten Bundesrepublik zurückgewiesen, diese Vorschrift habe nur haushaltsrechtliche Bedeutung, womit offenbar im Sinne des § 24 der Reichshaushaltsordnung vom 31. Dezember 1922 (RGBl 1923 II S. 17 mit einer Reihe späterer Änderungen; gemäß Art. 123 GG fortgeltend) zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß durch den Haushaltsplan Ansprüche oder Verbindlichkeiten Dritter nicht begründet werden. Gilt § 205 d RVO, so hätte das zwar haushaltsrechtlich zur Folge, daß die Bundesrepublik ihre hieraus entspringenden Verpflichtungen für das Rechnungsjahr veranschlagen und als Ausgabe in den Haushaltsplan einsetzen müßte (vgl. Art. 110 Abs. 1 GG). Die Norm selbst würde aber als materiell-rechtliche Regelung in der Person der Berechtigten - hier: der Krankenkassen - bei Erfüllung der Voraussetzungen Ansprüche gegen die verpflichtete Bundesrepublik begründen, im Grundsatz nicht anders als beim Ersatz der in § 14 Satz 1 und 2 MuSchG vom 24. Januar 1952 (BGBl I S. 69) genannten Aufwendungen durch den Bund.

Die Aktivlegitimation der Klägerin und die Passivlegitimation der beklagten Bundesrepublik wären somit gegeben, wenn § 205 d RVO für den hier in Frage stehenden Zeitraum in Geltung gestanden und die Verpflichtung der beklagten Bundesrepublik nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen wäre (ebenso LSG Bremen im Urteil vom 3. April 1959 - LKr 3/58 -, teilweise abgedruckt in Breithaupt 1959, 692 und Sozialversicherung 1959, 232).

3. § 205 d RVO hat seine Fassung, die die Klägerin ihrer Forderung zugrunde legt, durch Art. 10 des Reichsgesetzes vom 9. Juli 1926 (RGBl I S. 407) erhalten. Als Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestags würde es, soweit es dem GG nicht widerspricht, fort gelten, d. h. weiter in Geltung bleiben, wenn es im Zeitpunkt des Zusammentritts des Bundestags noch in Kraft gewesen ist (Art. 123 Abs. 1 GG). Deshalb ist zunächst zu fragen, ob § 205 d RVO noch am 21. September 1949 gegolten hat.

Eine erste Phase, in der die Bestandskraft des § 205 d RVO erschüttert worden sein könnte, ist durch eine Reihe aufeinanderfolgender befristeter Suspensionen des § 205 d RVO gekennzeichnet. Sie beginnt mit der Verordnung des Reichsarbeitsministers über die Abgeltung des Reichszuschusses zur Familienwochenhilfe im Rechnungsjahr 1930 vom 31. März 1931 (RGBl I S. 130), gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung (Abschn. VI § 14) in der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juli 1930 (RGBl I S. 311), wonach der Reichsarbeitsminister bestimmen durfte, wie im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel der Reichszuschuß für die Familienwochenhilfe der Krankenversicherung im Rechnungsjahr 1930 abgegolten wird, und dabei von § 205 d RVO abweichen konnte. Auf Grund der Verordnung des Reichsarbeitsministers wurden den Krankenkassen nur noch Teilleistungen für die von diesen nachgewiesenen Fälle der Familienwochenhilfe im Rechnungsjahr 1930 gewährt. Selbst diese Teilleistungen entfielen in den Rechnungsjahren 1931 bis 1945: In den Haushaltsgesetzen bezw. -verordnungen dieser Jahre (vgl. Übersicht bei Henrichs, DVBl 1956, 121) wurde jeweils bestimmt, daß § 205 d RVO im jeweiligen Rechnungsjahr nicht anzuwenden ist.

Es braucht in diesem Zusammenhang nicht erörtert zu werden, ob eine solche aufeinanderfolgende Reihe von Suspensionen materiellen Rechts verfassungsrechtlich bedenklich war - etwa wegen Verstoßes gegen das "Bepackungsverbot" des Art. 85 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Verfassung, wonach Vorschriften im Reichshaushaltsgesetz unzulässig waren, die über das Rechnungsjahr hinausreichten oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Reichs oder ihre Verwaltung bezogen - und deshalb möglicherweise die Verpflichtungen des Reichs aus § 205 d RVO nicht außer Kraft setzen konnte. Jedenfalls bringt die vom Gesetzgeber in den Jahren 1931 bis 1945 gewählte Form der Suspensionen des § 205 d RVO deutlich zum Ausdruck, daß diese Vorschrift immer nur zeitweilig - unter Wahrung der durch Art. 85 Abs. 3 Satz 2 der Weimarer Verfassung gezogenen Schranken - außer Kraft gesetzt werden sollte, ohne die Norm in ihrer Geltung zu berühren. Wenn ein so wenig rechtsstaatlich handelnder Gesetzgeber wie das nationalsozialistische Regime dafür Sorge trug, daß das Reichshaushaltsgesetz vom 29. März 1945 (verkündet am 5. April 1945 im letzten Reichsgesetzblatt, Teil II, das überhaupt noch ausgegeben wurde) in seinem § 2 Buchst. b bestimmte, § 205 d RVO sei im Rechnungsjahr 1945 nicht anzuwenden, so läßt das klar erkennen, daß die materiell-rechtliche Bestandskraft der Norm nicht in Zweifel gezogen werden sollte. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf Henrichs (DVBl 1956, 121, 122) mit Recht hinweist, daß es unter den damaligen Verhältnissen bei vorhandenem Bedürfnis ein leichtes gewesen wäre, etwa in der im engsten zeitlichen Zusammenhang mit dem Reichshaushaltsgesetz 1945 erlassenen Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl I S. 41) auch den § 205 d RVO aufzuheben, zumal die Familienhilfe nach § 205 RVO wesentlich durch die genannte Verordnung (vgl. Teil II Art. 10) umgestaltet wurde. Gerade dieser Zusammenhang könnte die Vermutung nahelegen, daß der Reichsgesetzgeber bis ins Jahr 1945 hinein ernsthaft vorgesehen hat, bei Besserung der Finanzlage des Reichs mit den haushaltsrechtlichen zeitweiligen Außerkraftsetzungen des § 205 d RVO aufzuhören und diese Vorschrift wieder voll wirksam werden zu lassen.

Selbst wenn man aber mit dem LSG Bremen im angeführten Urteil davon ausgeht, daß § 205 d RVO nur noch die Funktion eines "Merkpostens" im Haushalt für den Fall einer Notlage der Kassen durch die Familienwochenhilfe hatte, würde das an der Geltung dieser Vorschrift nichts ändern. Auch eine Norm, deren Aufhebung wahrscheinlich oder sogar mit Sicherheit zu erwarten ist, bleibt uneingeschränkt verbindlich, solange sie besteht.

4. Die beklagte Bundesrepublik ist der Auffassung, der Zusammenbruch des Reichs im Jahre 1945 habe § 205 d RVO obsolet werden lassen.

Dieser Meinung kann nicht beigetreten werden. Zwar gab es Rechtsverhältnisse, die vom nationalsozialistischen Gedankengut so geprägt waren, daß sie vom Bestehen der nationalsozialistischen Herrschaftsform schlechthin abhängig waren und den Untergang dieses Regimes nicht überlebten, wie es für das Beamtenverhältnis erwogen wurde (vgl. BVerfG 3, 58, 85 ff.). Doch können zu den mit dem nationalsozialistischen Staat untrennbar auf Gedeih und Verderb verbundenen Rechtsbeziehungen nur solche gerechnet werden, die deutlich vom nationalsozialistischen Gedankengut her bestimmt waren. Davon kann bei der Verpflichtung des Reichs aus § 205 d RVO nicht die Rede sein. Sie beruht auf einer im Jahre 1919 - also lange vor dem nationalsozialistischen Regime - eingeführten Regelung, die die finanzielle Mehrbelastung der Krankenkassen durch eine neue Leistungsverpflichtung des Reichs auf dem Gebiet der Familienhilfe (§ 205 a RVO) mildern sollte und als finanz- und sozialpolitische Maßnahme kein spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut enthält. Das einzige, was der nationalsozialistische Staat im Hinblick auf § 205 d RVO getan hat, war seine fortlaufende Außerkraftsetzung. § 205 d RVO gehört daher wie die RVO überhaupt zu den Bereichen der Rechtsordnung, die insgesamt gesehen als nicht vom nationalsozialistischen Gedankengut geprägte Sachregelungen den Zusammenbruch des Reiches überstanden und fortgalten (vgl. Gesetz Nr. 1 der Militärregierung, Amtsblatt der Militärregierung Nr. 1, S. 11, insb. Art. 2 und 3).

5. Allerdings hatten die veränderten Verhältnisse - die Handlungsunfähigkeit des Reichs und der Wegfall eines Reichshaushalts, aus dem die Verpflichtung nach § 205 d RVO hätte bestritten werden können, einerseits und die Ausübung von Hoheitsbefugnissen durch die Militärregierung andererseits - zur Folge, daß § 205 d RVO weiterhin nicht zur Anwendung kam. Unter der Herrschaft der Militärregierung - hier: für das Britische Kontrollgebiet - lag die Befugnis zur Änderung oder Aufhebung des § 205 d RVO ursprünglich allein bei dieser. Die Länder in der britischen Zone hatten keine Gesetzgebungsgewalt in den "Angelegenheiten, in denen die Militärregierung infolge der Notlage die Gesetzgebungsbefugnisse ausübt" (vgl. Art. I Abs. 2 Buchst. a i. V. m. Anhang B der Verordnung Nr. 57, Amtsbl. der Mil-Reg., Brit. Kontrollgebiet Nr. 15 S. 344). Zu den der Militärregierung vorbehaltenen Gesetzgebungsbefugnissen gehörte die Sozialversicherung einschl. Arbeitslosenversicherung (Anhang B Nr. 7 a. a. O.). Das änderte sich auch nicht nach Einführung der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes: Im Katalog der dem Wirtschaftsrat übertragenen Gesetzgebungsbefugnisse ist die Sozialversicherung nicht enthalten (vgl. Art. III der Verordnung Nr. 126, Amtsbl. der Mil.Reg., Brit. Kontrollgebiet Nr. 23 S. 686). Die Militärregierung für die britische Zone hat aber von ihrer Gesetzgebungskompetenz, soweit es sich um § 205 d RVO handelt, keinen Gebrauch gemacht. Deshalb liegt für die britische Zone unmittelbares Besatzungsrecht zu § 205 d RVO - das vom Grundgesetz nicht berührt worden wäre, sondern auch nach dem ersten Zusammentritt des Bundestags als Besatzungsrecht zur Disposition der Besatzungsmächte gestanden hätte (vgl. BVerfG 3, 368, 374 f.; BSG 2, 188, 194), nicht vor.

Die Militärregierung in der britischen Zone hat sich vielmehr darauf beschränkt, durch finanztechnische Weisungen klarzustellen, welche Zuschüsse an die Krankenkassen zu leisten waren, und zwar seitens der Länder, auf die im Wege der Funktionsnachfolge die dem Reich obliegenden Verpflichtungen zur Gewährung von Zuschüssen zur Sozialversicherung übergegangen waren. Diese Anweisungen sahen vor, daß die Krankenkassen außer Zahlungen für die Aufrechterhaltung der Versicherung für Erwerbslosenunterstützungsempfänger und einem Zuschuß für die knappschaftliche Krankenversicherung (KrV) nach Art der "Gemeinschaftshilfe" (§ 3 Abs. 1 Satz 2, 2. Hälfte der VO vom 19. Mai 1941; RGBl I S. 287) "normalerweise" keine finanziellen Unterstützungen erhalten sollten (vgl. Finanztechn . Anweisung Nr. 49 vom 9. Oktober 1945 i. d. F. der Abänderung Nr. 1 vom 15. November 1946, Nr. 1 Buchst. a; Finanztechn . Anweisung Nr. 96 vom 7. März 1947, Nr. 6).

Diese Anweisungen sind nicht im Amtsblatt der Militärregierung veröffentlicht, sondern nach "Verteiler" den Verwaltungsstellen, die es anging, mitgeteilt worden. Grundsätzlich hatten aber nach der Praxis der Besatzungsmächte nur veröffentlichte Rechtsvorschriften die Wirkung materieller Rechtssätze, während unveröffentlichte Anweisungen nur den Charakter innerdienstlicher Weisungen trugen (vgl. von Schmöller /Maier/Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts Bd. I § 25 S. 13). Da mit diesen Weisungen alles erreicht wurde, was die Besatzungsmacht für die Dauer ihres interimistischen Regimes in diesem Zusammenhang ins Auge zu fassen hatte - nämlich die finanzschwachen Haushalte der Länder vor vermeidbaren Belastungen zu schützen -, brauchte sie ebensowenig wie der Reichsgesetzgeber der Jahre vorher in den Bestand des materiellen Rechts einzugreifen. Sie kam für ihre Zwecke mit Maßnahmen zurecht, die § 205 d RVO nur für die Dauer ihrer Geltung ausschalteten, aber nicht endgültig beseitigten. Somit ist als Ergebnis der Entwicklung bis zum Ende der Gesetzgebungsbefugnis der Britischen Militärregierung auf dem Gebiete der Sozialversicherung festzustellen, daß § 205 d RVO - wie in den Jahren 1931 bis 1945 - nicht anzuwenden war, aber fortbestand.

Daran änderte sich auch nichts mit der Übertragung der Gesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiete der Sozialversicherung auf die Länder der britischen Zone durch die VO Nr. 162 der Britischen Militärregierung vom 16. August 1948 (Amtsbl. der Mil.-Reg., Brit. Kontrollgebiet Nr. 25 S. 835). Nunmehr hätte das Land Nordrhein-Westfalen § 205 d RVO ändern oder aufheben können. Das Land hat aber wie die anderen Länder der britischen Zone von dieser Befugnis keinen Gebrauch gemacht. Demnach ist § 205 d RVO über den 21. September 1949 hinaus in Geltung geblieben (Art. 123 Abs. 1 GG), und zwar als Bundesrecht (Art. 125 Nr. 1 i. V. m. Art. 74 Nr. 12 GG).

6. Daraus folgt aber - entgegen der Annahme des LSG - noch nicht, daß die beklagte Bundesrepublik zum gleichen Tage aus § 205 d RVO verpflichtet wurde.

Nach Art. 120 Abs. 1 GG trägt der Bund die Aufwendungen für die Kriegsfolgelasten nach näherer Bestimmung eines Bundesgesetzes und die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge. Wie Holtkotten (Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Stand: April 1964, Art. 120, Anm. II 1 a) zutreffend bemerkt, muß die Fassung der Vorschrift als redaktionell verunglückt angesehen werden. Sicher ist, daß der Passus "nach näherer Bestimmung eines Bundesgesetzes" vor allem mit den vorhergehenden Worten, die die "Kriegsfolgelasten" betreffen, in Verbindung zu bringen ist. Dem Bundesgesetzgeber ist damit vom Grundgesetz unbezweifelbar eine gewisse gesetzgeberische Freiheit eingeräumt worden: Sind ernsthafte Zweifel möglich, ob es sich um Aufwendungen für Kriegsfolgelasten i. S. des Art. 120 GG handelt, so ist der Bundesgesetzgeber befugt, die Zweifel verbindlich auszuräumen (BVerfG 9, 305, 330). Anders verhält es sich mit den "Zuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung". Insoweit war, wie Holtkotten (a. a. O. Anm. II 1 c) zutreffend bemerkt, nach der Fassung des Art. 120 Abs. 1 GG für eine - nach Lage der Sache einschränkend wirkende - Aufzählung einzelner Sachbereiche in einem ausführenden Bundesgesetz kein Raum. Sie erübrigte sich auch, weil der Begriff "Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung" im Gegensatz zu dem der "Kriegsfolgelasten" kaum Zweifelsfragen aufwirft.

Nähere Bestimmungen durch ein Bundesgesetz waren nur insoweit erforderlich, als der Zeitpunkt festzulegen war, zu dem der Bund "die Ausgaben" (Art. 120 Abs. 2 GG) - nämlich die Ausgaben für die in Abs. 1 genannten Aufwendungen - übernahm, wovon wiederum der Übergang der "Einnahmen" auf den Bund abhing - vgl. Art. 106 Abs. 1 GG - (BVerfG 14, 221, 234), ferner § 3 des Ersten Überleitungsgesetzes, der allerdings die schon im Rechnungsjahr 1949 auf den Bund übergegangenen Zölle nicht erwähnt. Für den Übergang der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung auf den Bund hatte somit das Art. 120 GG ausführende Bundesgesetz nur insoweit konstitutive Bedeutung, als es den Zeitpunkt des Übergangs bestimmte (vgl. die Ausführungen Höpker-Aschoffs, des Berichterstatters des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen, vor dem Bundestag; Verhandl. d. Deutschen Bundestags, 1. Wahlp. Bd. 5 S. 3218: "Aber das Grundgesetz läßt den Zeitpunkt, zu welchem diese Lasten und die entsprechenden Deckungsmittel auf den Bund übergehen sollen, offen und enthält in Art. 120 nur die Bestimmung, daß der Übergang der Lasten und Deckungsmittel gleichzeitig erfolgen muß.") Dieser Zeitpunkt war nach § 25 des Ersten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (vom 28. November 1950 - BGBl I S. 773 -) - Erstes Überleitungsgesetz - der 1. April 1950. Erst zu diesem Zeitpunkt ging somit die Verpflichtung, die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung zu tragen - einschließlich der Zuschüsse nach § 205 d RVO -, von den Ländern auf den Bund über.

Dem steht nicht entgegen, daß das Erste Überleitungsgesetz in seinem § 17, der die nach § 1 Abs. 1 Nr. 11 auf den Bund übergegangenen Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung im einzelnen aufführt, die Verpflichtung nach § 205 d RVO nicht erwähnt. § 17 des Gesetzes muß dahin verstanden werden, daß der Bundesgesetzgeber zum 1. April 1950 den vollständigen Übergang der Zuschußverpflichtungen wollte und nicht etwa einzelne Verpflichtungen wie die aus § 205 d RVO - zwecks späteren Übergangs - von der globalen Übernahme der Zuschußlasten zum 1. April 1950 ausgenommen hat; denn davon hing der Übergang der Einnahmen nach Art. 120 Abs. 2 GG ab. Allerdings ist der Revision zuzugeben, daß das Schweigen des Bundesgesetzgebers zu § 205 d RVO nur so gedeutet werden kann, daß er davon ausgegangen ist, diese Zuschußverpflichtung sei unter den von den Ländern auf den Bund am Stichtag übergehenden Verpflichtungen deshalb nicht aufzuführen, weil eine solche Verpflichtung damals nicht bestanden habe.

Zu Unrecht jedoch legt die beklagte Bundesrepublik der durch die Fassung des § 17 des Ersten Überleitungsgesetzes indirekt zum Ausdruck gebrachten Auffassung, die Verpflichtung aus § 205 d RVO bestehe nicht mehr, die Bedeutung bei, daß damit § 205 d RVO aufgehoben worden sei. Zwar hätte der Bund jederzeit § 205 d RVO ändern oder aufheben können. Dem LSG Bremen im angeführten Urteil ist darin zuzustimmen, daß der Bund nicht etwa verfassungsmäßig - wegen des im GG verankerten Sozialstaatsprinzips - genötigt gewesen wäre, an der bei Einführung der Familienwochenhilfe als Regelleistung zugebilligten Zuschußgewährung für alle Zeit festzuhalten. Da sowohl die Mutterschaftshilfe als auch die Familienhilfe längst voll zum legitimen Aufgabenbereich der deutschen gesetzlichen KrV gerechnet werden, hätte auch nach der Grundstruktur der KrV nichts im Wege gestanden, die wirtschaftliche Last der Familienwochenhilfe wie später hinzugetretener wesentlich aufwendigerer Leistungsverpflichtungen der KrV (vgl. z. B. die Regelungen zur Familienkrankenpflege durch Abschn. II Nr. 1 des RAM-Erlasses vom 3. November 1943 - AN 43, 485 - und Teil II Art. 10 der VO vom 17. März 1945 - RGBl I S. 41 -) allein von den Krankenkassen tragen zu lassen. Entscheidend ist aber, daß der Bund von den ihm gegebenen Möglichkeiten, § 205 d RVO aufzuheben, keinen Gebrauch gemacht hat.

Dem Ersten Überleitungsgesetz kann ein solcher derogierender Gesetzeswille nicht entnommen werden, weil dieses Gesetz seiner Zwecksetzung nach nur den Art. 120 GG auszuführen bestimmt ist und diese Vorschrift ausschließlich die finanzwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Bund und Ländern regelt (vgl. BVerfG 14, 221, Leitsatz 1). Art. 120 Abs. 1 GG ist eine "Zuständigkeitsnorm" (Holtkotten a. a. O. Art. 120, Anm. II 1 a) und keine Anspruchsnorm. Sie bestimmt nur, daß der Bund, nicht die Länder, die in Art. 120 Abs. 1 GG genannten Aufwendungen zu tragen hat, wenn Ansprüche gegen den Staat gegeben sind (BVerfG 14, 221, 233). Mit Recht führt daher das BVerfG in der genannten Entscheidung hinsichtlich der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung weiter aus (a. a. O. S. 235), daß der Bund nach Art. 120 Abs. 1 GG diese Last den Ländern abzunehmen habe, diese Regelung aber nichts darüber besage, in welchem Umfange und für welche Leistungen die Sozialversicherungsträger Zuschüsse verlangen könnten; solche Ansprüche könnten nicht aus Art. 120 Abs. 1 GG, sondern nur aus den Gesetzen über die Sozialversicherung hergeleitet werden. So wenig das Ausführungsgesetz zu Art. 120 GG Ansprüche begründet hat, so wenig hat es umgekehrt anspruchsbegründende Normen beseitigt. Nach der Intention des Ersten Überleitungsgesetzes war nur zu ermitteln, welche Zuschußverpflichtungen gegen die Länder bestanden, aber nicht ordnend in die gegebenen Verpflichtungen einzugreifen. Deshalb deckt die Fassung des § 17 des Ersten Überleitungsgesetzes nur einen Ermittlungsfehler auf, enthält aber nicht einen § 205 d RVO aufhebenden Gesetzesbefehl, wie auch das LSG zutreffend angenommen hat.

Bestätigt wird diese Auffassung durch die Entstehungsgeschichte des Ersten Überleitungsgesetzes. Der Regierungsentwurf dieses Gesetzes hatte noch keine dem späteren § 17 des Gesetzes entsprechende Aufzählung der Zuschüsse vorgesehen (vgl. Verhandl. des Deutschen Bundestags, 1. Wahlp., Anlage - Bd. 4, Drucks. Nr. 1064). Vielmehr war wegen der global in § 1 des Entwurfs genannten "Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung einschließlich der Flüchtlingsrenten" nur auf § 4 Abs. 1 des Entwurfs (späteren § 4 des Gesetzes) verwiesen, der im Grundsatz die Weiteranwendung der am 31. März 1950 geltenden bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen vorsah. Hierzu führte die Begründung des Regierungsentwurfs aus, das Gesetz bringe bis auf die Regelung für Besatzungskosten, Kriegsfolgenhilfe, Umsiedlung und Auswanderung hinsichtlich der Grundzüge und der Abgrenzung der Lasten keine materielle neue Regelung (vgl. a. a. O. S. 10, Allg. Teil und S. 12, "zu § 4"). Auf diese dem Gesetzgebungsverfahren im vorliegenden Fall zugrunde liegende Intention, die materielle Rechtsänderungen im Bereich der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung von vornherein außer Betracht zu lassen, dürfte es auch zurückzuführen sein, daß der Gesetzentwurf nach der ersten Lesung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß und weiterhin den Haushaltsausschuß - nicht aber an den sonst unumgänglich mitbeteiligten Ausschuß für Sozialpolitik - überwiesen und dort beraten wurde (vgl. Verhandl. des Deutschen Bundestags, 1. Wahlp., Bd. 4 S. 2654). Auf Grund dieser Beratungen ist der die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung im einzelnen aufführende § 13 e (später § 17 des Gesetzes) dem Gesetzesentwurf eingefügt worden. Daß dabei die Verpflichtung aus § 205 d RVO übersehen wurde, erklärt sich - wie das LSG annimmt - möglicherweise daraus, daß die Länder Zuschüsse nach § 205 d RVO nicht gewährt hatten und daher eine Überleitung dieser Verpflichtung auf den Bund entbehrlich erschien.

Jedenfalls läßt sich dieser Entstehungsgeschichte des Ersten Überleitungsgesetzes soviel entnehmen, daß dieses Gesetz nach seiner Zwecksetzung bei den Zuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung - abgesehen von dem Wechsel des Verpflichteten - nicht in die materiell-rechtliche Regelung über den Bestand dieser Verpflichtungen eingreifen sollte. Selbst wenn dem aber nicht so wäre und Zweck und Motive des Gesetzes nicht so klar wie im vorliegenden Falle eine die Verpflichtung aus § 205 d RVO beseitigende Rechtsänderung ausschlössen, müßte aus rechtsstaatlichen Erwägungen ein Gesetzgebungsverfahren auf größte Bedenken stoßen, bei dem eine gesetzlich festgelegte Verpflichtung des Bundes mittelbar dadurch beseitigt werden könnte, daß sie lediglich bei der Aufzählung in einem anderen Gesetz nicht genannt wird. Sollen Normen aufgehoben werden, so muß das in einer für die gesetzgebenden Organe und die Betroffenen verständlichen, deutlichen Weise zum Ausdruck kommen.

Demnach enthält das Erste Überleitungsgesetz keine Vorschriften, die der Fortgeltung des am 31. März 1950 als Bundesrecht in Kraft gewesenen § 205 d RVO im Wege stehen (vgl. § 4 Abs. 1 des Ersten Überleitungsgesetzes).

7. Auch aus anderen gesetzlichen Vorschriften läßt sich eine Aufhebung des § 205 d RVO nicht herleiten.

Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden - Allgemeines Kriegsfolgengesetz - vom 5. November 1957 (BGBl I S. 1747) erlöschen grundsätzlich alle Ansprüche gegen das Deutsche Reich. Das gleiche gilt nach § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes von Ansprüchen, die sich gegen den Bund oder andere öffentliche Rechtsträger auf Grund "der Fortführung von Aufgaben" des Deutschen Reiches (Funktionsnachfolge) richten oder richten könnten. Diese Regelung gilt der Bereinigung der in die Vergangenheit vor 1945 hineinreichenden Ansprüche. Sie erfaßt daher nur solche Ansprüche, die vor dem Zusammenbruch entstanden sind und läßt solche Ansprüche gegen die "Funktionsnachfolger" unberührt, die nach der Funktionsnachfolge gegen diese neu begründet worden sind (BGH in BGHZ 29, 22, 25 und 29, 76, 83). Das Allgemeine Kriegsfolgengesetz regelt somit nur das Erlöschen von Ansprüchen aus der Zeit vor dem Zusammenbruch - die in der Tat, falls solche aus § 205 d RVO bestanden hätten, auf Grund dieser Regelung untergegangen wären -, betrifft aber nicht - wie vorliegend - Ansprüche aus einer späteren Zeit und sagt auch nichts über die anspruchsbegründenden Normen aus.

Ebensowenig lassen sich - entgegen der Meinung der Revisionsklägerin - aus der Regelung des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter alter und neuer Fassung - Mutterschutzgesetz - Schlüsse auf die Geltung oder Nichtgeltung des § 205 d RVO ziehen. Das Mutterschutzgesetz vom 17. Mai 1942 (RGBl I S. 321) - MuSchG 1942 - hatte in seinem § 7 ein erhöhtes Wochen - und Stillgeld für versicherte Frauen vorgesehen; die hieraus den Krankenkassen erwachsenden Mehrausgaben waren vom Reich zu ersetzen (§ 14 Abs. 3 Satz 2 MuSchG 1942). Daß das Reich auf seine Kosten den versicherten Frauen eine erhöhte Mutterschaftsfürsorge zuteil werden ließ, konnte in keiner Weise die Fortgeltung des § 205 d RVO in Frage stellen, der einen anderen Personenkreis betraf.

Auch die spätere Rechtsentwicklung, soweit sie die §§ 7 und 14 MuSchG 1942 betrifft, läßt entgegen der Meinung des LSG Bremen im angeführten Urteil keine Rückschlüsse auf die Frage der Fortgeltung des § 205 d RVO zu. Nach dem Zusammenbruch wurden von den Krankenkassen die erhöhten Wochen- und Stillgeldleistungen aus § 7 MuSchG 1942 nicht gewährt. In der britischen Besatzungszone beruhte dies auf einer Weisung der britischen Militärregierung, wonach § 7 MuSchG suspendiert wurde (Manpower Dir. vom 3. Mai 1946 - 2386 - MP/SJ/42076; vgl. Volmer in Recht der Arbeit 1950, 281, 283 und Bulla, Mutterschutzgesetz, Einl. Anm. 12). Im Lande Bayern wurde durch Verordnung Nr. 7 über die Aussetzung der Bestimmungen des § 7 "..." MuSchG 1942 (Bay.GVOBl 1946 Nr. 2 S. 12) bestimmt, daß u. a. § 7 MuSchG 1942 "ab 1. September 1945 nicht mehr anzuwenden" sei; die Fassung, insbesondere die Überschrift, dieser Verordnung spricht stark dafür, daß auch hier nur eine Suspension des § 7 MuSchG 1942 vorliegt. Jedenfalls für die britische Besatzungszone konnte die Auffassung vertreten werden, daß die Maßnahmen der Besatzungsmacht den materiell-rechtlichen Bestand des § 7 MuSchG 1942 nicht berührt haben und § 7 MuSchG 1942 "de iure nach wie vor in Kraft" geblieben war (Dobbernack in Arbeitsbl . f. d. brit. Zone 1949, 352, 354). Wenn daher § 26 Abs. 3 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes vom 24. Januar 1952 (BGBl I S. 69) - MuSchG 1952 - unter diese Entwicklung einen Schlußstrich in der Gestalt der Vorschrift setzte, daß Ansprüche auf Grund des § 7 MuSchG 1942 für Wochenhilfefälle in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum Inkrafttreten des MuSchG 1952 nicht erhoben werden können, so braucht das keineswegs nur deklaratorisch verstanden zu werden. Angesichts der zweifelhaften Rechtslage, ob § 7 MuSchG 1942 nicht nach Wegfall der Bindung an Suspensionsmaßnahmen der Besatzungsmacht wieder voll in Kraft getreten war und - "vielleicht aussichtsreiche" (Bulla a. a. O. § 26 Anm. 9) - Ansprüche gegen die Krankenkassen begründet hatte, war eine Vorschrift wie § 26 Abs. 3 Satz 1 MuSchG 1952 möglicherweise sogar notwendig, um die nachträgliche Geltendmachung solcher Ansprüche und damit auch Erstattungsansprüche der Krankenkassen nach § 14 MuSchG 1942 auszuschließen.

Jedenfalls kann mit dieser Rechtsentwicklung nicht belegt werden, daß auch § 205 d RVO seine Geltung verloren hat. Wenn überhaupt in diesem Zusammenhang Schlüsse aus dem Vergleich der Rechtsentwicklung in beiden Bereichen gezogen werden können, wäre allenfalls darauf hinzuweisen, daß der Bundesgesetzgeber es bei der Mutterschaftsfürsorge für notwendig erachtet hat, allen etwaigen Erstattungsansprüchen der Krankenkassen durch eine klare gesetzliche Regelung zu begegnen, an der es gerade für die Ansprüche aus § 205 d RVO fehlt.

Nach alledem bleibt festzustellen, daß § 205 d RVO weder ausdrücklich noch in einer nur mittelbar anderen gesetzlichen Regelungen zu entnehmenden Weise aufgehoben worden ist.

8. Zutreffend hat das LSG im angefochtenen Urteil ferner dargelegt, daß § 205 d RVO auch nicht kraft Gewohnheitsrechts aufgehoben wurde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG 11, 126, 128 f. und 19, 10, 18) setzt die Entstehung von Gewohnheitsrecht eine langdauernde, oft auf der Rechtsprechung der Gerichte beruhende Übung voraus, die durch die Rechtsüberzeugung aller Betroffenen getragen wird und nicht nur nach dem Willen der unmittelbar beteiligten Verwaltungen Ausdruck geltenden Rechts ist. Besonders strenge Anforderungen für den Nachweis eines Gewohnheitsrechts müssen gestellt werden, wenn es - wie im vorliegenden Fall - das gesetzte Recht zu Ungunsten der betroffenen Berechtigten zurückgedrängt haben soll.

Die beklagte Bundesrepublik weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Krankenkassen jahrelang keine Ansprüche aus § 205 d RVO geltend gemacht haben. Indessen wird von vornherein bei dieser Betrachtung der Zeitraum von 1931 bis 1949 außer Betracht zu lassen sein. In diesen Jahren hatten die Krankenkassen infolge der auf verschiedenen Rechtsgründen beruhenden, aber fortlaufenden Suspendierung des § 205 d RVO nichts zu fordern. Auch die Zeit vom 21. September 1949 an, als § 205 d RVO - in Bundesrecht transformiert - wieder volle Geltung erhielt, bis zum 1. April 1950, als die Verpflichtung aus § 205 d RVO auf den Bund überging, kann hier als verhältnismäßig kurze Zeit des Übergangs zu einem gefestigten Dauerzustand nicht ins Gewicht fallen. Berücksichtigt man weiterhin, daß das Erste Überleitungsgesetz erst in dem am 4. Dezember 1950 ausgegebenen Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, so bestand erst Ende 1950 für die Krankenkassen überhaupt die Möglichkeit, den Bund als Zahlungsverpflichteten aus § 205 d RVO in Anspruch zu nehmen. Da nach den Feststellungen des LSG die Krankenkassen erstmalig 1953 vom Bund die Fortzahlung des Zuschusses forderten, könnte sich somit allenfalls in einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne von zwei bis drei Jahren, in der weder von den Berechtigten noch von dem Verpflichteten etwas zur Realisierung des § 205 d RVO geschah, ein derogierendes Gewohnheitsrecht gebildet haben. Das ist schon als Zeitraum für ein Ansprüche beseitigendes Gewohnheitsrecht viel zu kurz.

Vor allem aber fehlt es an Anhaltspunkten dafür, daß eine Rechtsüberzeugung der Betroffenen über die Nichtgeltung des § 205 d RVO bestanden hat. Giese (NJW 1955, 1509) kennzeichnet die Situation nach 1950 wohl zutreffend, wenn er von § 205 d RVO als "einer vergessenen Gesetzesvorschrift" spricht. Nachdem sie fast zwei Jahrzehnte hindurch nicht praktiziert worden war, bedurfte es allein schon zur Klärung der komplizierten Rechtslage einer nicht unerheblichen Zeit. Zweifel oder Streit um die Gültigkeit einer Norm begründen aber noch keine allgemeine Rechtsüberzeugung, daß sie nicht mehr anwendbar sei (BVerfG 7, 213, 221).

Hinzu kommt, daß schon verhältnismäßig früh von berufener Stelle die Forderungen der Krankenkassen als im Kern berechtigt anerkannt wurden. Der Bundesminister für Arbeit teilte auf Vorstellungen der Krankenkassen-Spitzenverbände durch Schreiben vom 21. Juli 1954 (IVa 6 - 7595/54; zitiert in BKK 1954 Sp. 428) mit:

"Im Haushaltsvoranschlag für das Jahr 1955 ist auf meine Veranlassung ein entsprechender Ansatz für einen Bundeszuschuß zur Familienwochenhilfe aufgenommen worden. Das Ergebnis der Haushaltsberatung im Parlament bleibt abzuwarten."

Eine solche Mitteilung aus dem zuständigen Ressort kann nur dahin verstanden werden, daß das Bestehen einer entsprechenden Verpflichtung des Bundes zum mindesten für erwägenswert gehalten wurde; denn Ausgaben im Bundeshaushalt können nur für bestehende Verpflichtungen vorgesehen werden. Kann die angeführte Mitteilung des Bundesministers für Arbeit auch nicht die beklagte Bundesrepublik etwa im Sinne eines Anerkenntnisses verpflichten, so zeigt sie doch deutlich, daß schon 1954 von einer Rechtsüberzeugung, daß § 205 d RVO nicht gilt, weder bei den Berechtigten noch bei dem verpflichteten Bund die Rede sein kann, Überdies wurde auch von anderen staatlichen Stellen die Auffassung vertreten, "daß der ursprünglich bis zum Jahre 1945 gegen das Reich gegeben gewesene Ersatzanspruch nunmehr als gegen den Bund gerichtet zu betrachten ist" (so Erlaß des Hessischen Ministers für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr vom 25. April 1955, zitiert in BKK 1955 Sp. 246 und Schreiben des gleichen Ministers an den Bundesminister für Arbeit vom 20. Mai 1955 - A II 54 c 4103 - 2420/55; ähnlich Schreiben des Arbeitsministers Baden-Württemberg an den Bundesminister für Arbeit vom 21. April 1955 - Nr. 4442.9/55 Vo/Do).

Demnach ist § 205 d RVO nicht durch Gewohnheitsrecht beseitigt worden.

9. Die vorstehend dargelegten Zusammenhänge machen auch deutlich, daß die Klägerin ihren Anspruch nicht verwirkt hat. Wenn sie den Anspruch erst 1956 mit der Klage geltend gemacht hat, so ist das hinreichend mit der oben aufgezeigten Entwicklung erklärt. Daß die hier in Betracht kommenden Spitzenverbände der Krankenkassen nach Klärung der Rechtslage erst den Weg der Verhandlungen mit dem Bund beschritten und nicht gleich einen Musterprozeß angestrengt haben, war nicht nur verständlich, sondern durchaus sachgemäß. Ebenso kann es nicht als illoyales Verhalten der Verbände gewertet werden, daß sie sich im Einverständnis mit der Klägerin erst zur Führung dieses Prozesses entschlossen haben, nachdem endgültig feststand, daß der Bund die Verpflichtung aus § 205 d RVO nicht anerkennt. Bei dieser Sachlage stellt die späte Geltendmachung des Rechts im Prozeßwege keinen Verstoß der Klägerin gegen Treu und Glauben dar.

10. Auch Verjährung des Anspruchs liegt nicht vor. Da die kurze Verjährungsfrist des § 29 RVO für die Ansprüche aus § 205 d RVO nicht gilt, käme allenfalls, wie das LSG zutreffend erwogen hat, die im BGB (§ 195) vorgesehene regelmäßige Verjährungsfrist von dreißig Jahren entsprechend zur Anwendung.

11. Demnach erweist sich die Revision der beklagten Bundesrepublik nur insoweit als begründet, als das LSG die Feststellung des SG bestätigt hat, daß die Beklagte auch für die Zeit vor dem 1. April 1950 zur Gewährung des Zuschusses verpflichtet ist. Insoweit waren das angefochtene Urteil und das Urteil des SG aufzuheben. Im übrigen war die Revision zurückzuweisen. Damit ist festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 27. November 1962 - dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG - für jeden Fall der Familienwochenhilfe einen Zuschuß von 50,- DM zu zahlen. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits war der Zeitraum nach dem 27. November 1962, insbesondere dem Beginn des Rechnungsjahres 1963, für den eine neue Rechtslage durch § 10 des Bundeshaushaltsgesetzes 1963 vom 24. Juni 1963 (BGBl II S. 747), wonach § 205 d RVO im Rechnungsjahr 1963 keine Anwendung findet, gegeben sein könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2379958

BSGE, 209

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