Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterbrechung des unfallversicherten Weges zur Arbeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Unfall auf dem Weg zum Einkauf für die Frühstückspause vor Arbeitsantritt unterliegt nicht dem Unfallversicherungsschutz.

2. Wege zum Lebensmitteleinkauf (Frühstück für Arbeitspause) vor Beginn der Arbeitszeit sind unfallrechtlich nicht in jedem Falle geschützt, auch wenn sich der Versicherte beim Einkauf noch auf dem Wege zum Ort der Tätigkeit befand.

3. Unterbricht der Versicherte den Weg zur Arbeit durch einen zusätzlich eingeschobenen Weg in entgegengesetzter Richtung vom Werkseingang zu einem 200m entfernt liegenden Kiosk, so besteht für diesen Abweg kein Unfallversicherungsschutz gemäß RVO § 550 S 1.

Der vorsorgliche Einkauf von Lebensmitteln für die spätere Frühstückspause auf einem nicht mit Zielrichtung auf die Arbeitsstätte unternommenen Weg vor Arbeitsantritt kann versicherungsrechtlich nicht dem Fall gleichgesetzt werden, daß ein Weg zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verkehr am Arbeitsplatz von der Arbeitsstätte aus angetreten wird und deshalb unter bestimmten Voraussetzungen dem Versicherungsschutz unterliegt.

 

Normenkette

RVO § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts München vom 10. April 1967 und des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. April 1969 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger war als Kalkulator bei der K AG in M beschäftigt. Am 27. November 1964 wurde er bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Streitig ist, ob er unter Unfallversicherungsschutz (UV) stand.

Der Dienst des Klägers begann um 7,15 Uhr. Die Wegstrecke von seiner Wohnung bis zum Betrieb betrug etwa 1,5 km. Am Unfalltag erreichte er mit dem Fahrrad gegen 7,00 Uhr den Werkseingang. Dieser befindet sich an der K-Straße, die als Zufahrtsstraße auf betriebseigenem Gelände liegt, jedoch für den öffentlichen Verkehr freigegeben ist; die zu beiden Seiten der Straße gelegenen Werksanlagen sind eingefriedet. Der Kläger bog nicht nach links zum Werkstor ab, sondern fuhr geradeaus weiter, um sich in einem etwa 200 m entfernt an der K-Straße gelegenen Kiosk ein Frühstück für die von 9,15 bis 9,30 Uhr dauernde Betriebspause zu besorgen. Etwa 10 m nach dem Vorbeifahren am Tor wurde er von einem entgegenkommenden Pkw angefahren.

Der Kläger gab an, seit Jahren esse er zu Hause nur sehr wenig, bevor er zum Betrieb fahre; deshalb gebe ihm seine Ehefrau für die Betriebspause eine ausgiebige "Brotzeit" mit; am Unfalltag sei seine Ehefrau jedoch unpäßlich gewesen und habe das Brot nicht bereiten können; deshalb habe er den Kiosk aufsuchen wollen. Ohne die Einnahme eines Pausenbrotes wäre er zwar nicht "schwach geworden"; er habe sich jedoch seit Jahren auf die Einnahme eines kräftigenden Frühstücks in der Pause eingestellt gehabt und hätte seine Arbeitsfähigkeit als erheblich gestört empfunden, wenn dieser Rhythmus unterbrochen worden wäre.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 27. Juli 1965 die Gewährung einer Entschädigung ab, weil der Kläger sich im Unfallzeitpunkt auf einem dem UV-Schutz nicht unterliegenden Abweg befunden habe; der beabsichtigte Einkauf von Lebensmitteln sei eine eigenwirtschaftliche unversicherte Tätigkeit.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) München durch Urteil vom 10. April 1967 die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt: Der Kläger habe im Unfallzeitpunkt unter UV-Schutz nach § 550 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden, weil er seine Arbeitsstätte in der Kalkulationsabteilung noch nicht erreicht gehabt habe und auf einem nur geringfügigen Umweg verunglückt sei. Der Umweg sei überdies betriebsbedingt gewesen, weil er zur Beseitigung eines die Weiterarbeit erschwerenden Hungergefühls habe dienen sollen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 17. April 1969 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Frage, ob der Kläger im Unfallzeitpunkt den "Ort seiner Tätigkeit" schon erreicht gehabt, ob er sich also auf einem sogenannten Abweg oder nur auf einem Umweg befunden habe, könne dahingestellt bleiben. Denn es komme weniger auf die Art des Weges als vielmehr auf das Motiv und die Zielsetzung an. Die Besorgung von Lebensmitteln sei zwar grundsätzlich der Eigenwirtschaft des Versicherten zuzurechnen; eine Ausnahme gelte jedoch, wenn die Besorgung zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit notwendig sei. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob ein Versicherter sich die Lebensmittel erst in der Arbeitspause beschaffe, weil er plötzlich ein Hungergefühl verspüre, oder ob er diese Besorgung unmittelbar vor Arbeitsbeginn im Bewußtsein ihrer späteren Notwendigkeit erledige. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Arbeitszeit bis zur Mittagspause - wie hier - 5 Stunden andauere und die Frühstückspause nur 15 Minuten betrage, die vorherige Beschaffung der Lebensmittel also erheblich zeitsparend sei und den Zweck der Arbeitspause, nämlich eine kurze Erholung, besser gewährleiste. Die Beschaffung der Lebensmittel sei für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Klägers auch notwendig gewesen und habe somit im betrieblichen Interesse gelegen. Durch den Ausfall einer Frühstückspause wäre der Kläger zwar nicht arbeitsunfähig geworden. Den Wegfall der Brotzeit und damit eine Unterbrechung des seit vielen Jahren gewohnten Rhythmus hätten jedoch einen Leistungsabfall zur Folge gehabt. Der Einkauf von Waren sei nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Juni 1960 (BSG 12, 254) selbst dann noch geschützt, wenn die Umstände, die einen Leistungsabfall zur Folge haben würden, allein in der Persönlichkeitsstruktur des Versicherten lägen. Dann müsse dies aber umso mehr für den Einkauf von Lebensmitteln gelten, die nicht nur einem subjektiven Wohlbefinden, sondern einer objektiven körperlichen Stärkung dienten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung vorgetragen:

Die Besorgung von Lebensmitteln könne wie jede Herbeiführung sonstiger allgemeiner-grundsätzlich dem eigenwirtschaftlichen Bereich angehörender - Voraussetzungen für die Arbeitsaufnahme und Arbeitsdurchführung nur ausnahmsweise mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen, und zwar dann, wenn sich ihre Notwendigkeit zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit aufgrund betrieblicher Umstände unvoraussehbar ergebe. Eine solche Situation könne aber grundsätzlich nicht vor dem Arbeitsbeginn eintreten. Die Umstände, welche den Kläger veranlaßten, sich seine Brotzeit vor Arbeitsbeginn auf einem in der Regel außerhalb des UV-Schutzes stehenden Abweg zu besorgen - nur mäßiges Frühstück zu Hause, Unpäßlichkeit der Ehefrau - könnten nicht dem Betrieb angelastet werden. Darüber hinaus wäre der Kläger durch einen Ausfall der Brotzeit an der Weiterarbeit nicht verhindert, sondern allenfalls in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt gewesen. Dies reiche nicht aus, das dem privaten Lebensbereich zuzuordnende Besorgen der Lebensmittel ausnahmsweise als versichert anzusehen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Nach Lage des Falles hatte der Kläger den Weg nach dem Ort seiner Tätigkeit im Sinne des § 550 Satz 1 RVO zwar weder mit dem Erreichen der durch das eingefriedete Betriebsgelände führenden, dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße, noch mit dem Erreichen der dem Werkeingangstor gegenüberliegenden Straßenseite bereits endgültig beendet. Im Zeitpunkt des Unfalls befand er sich jedoch, nachdem er mit dem Fahrrad den etwa 1,5 km langen Weg von seiner Wohnung aus zurückgelegt hatte, jenseits der Höhe des Werkseingangs auf einer Wegstrecke, die ihn wieder von der Arbeitsstätte fort zu einem etwa 200 m entfernt an der von ihm befahrenen Straße gelegenen Kiosk geführt hätte. Hierbei handelte es sich, weil die Zielrichtung zur Arbeitsstätte nicht beibehalten war, nicht um einen Umweg, sondern, weil der Kläger vom Kiosk aus wieder zum Werkseingang hätte zurückfahren müssen, um das Einschieben eines zusätzlichen Weges in die eigentliche Fahrstrecke (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., S. 486 q I und s I; SozR Nr. 5, 12, 63 zu § 543 RVO aF). Die hierdurch bewirkte Unterbrechung des Weges nach dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Satz 1 RVO) kann auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Kläger sich im Unfallzeitpunkt noch im Bereich des öffentlichen Verkehrsraumes seines Weges befand und sich erst einige Meter über das Werkseingangstor hinaus entfernt hatte, nicht als nur geringfügig angesehen werden; denn der im Unfallzeitpunkt bereits begonnene eingeschobene Weg zu dem etwa 200 m entfernten Kiosk und zurück bildete innerhalb des Weges zur Arbeitsstätte eine deutliche Zäsur, weil er sich von diesem sowohl nach seiner Zielrichtung als auch nach seiner Zweckbestimmung unterschied (vgl. Brackmann, aaO., S. 486 u, 486 v).

Während der somit erheblichen Unterbrechung des Weges zur Arbeitsstätte wäre Versicherungsschutz für den Kläger nur gegeben, wenn der beabsichtigte Einkauf von Lebensmitteln für den Verzehr in der Frühstückspause am Arbeitsplatz, dem der eingeschobene Weg dienen sollte, für sich betrachtet mit der versicherten Tätigkeit des Klägers in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden hätte. Das ist jedoch nicht der Fall.

Die Besorgung von Nahrungsmitteln ist im allgemeinen dem unversicherten persönlichen Bereich zuzuordnen. Es reicht zur Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit nicht aus, daß der Kläger die Lebensmittel kaufen wollte, um sie während der Frühstückspause am Arbeitsplatz zu verzehren. Bei dem beabsichtigten Einkauf handelte es sich vielmehr um eine der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangehende Verrichtung, die sich - wie der erkennende Senat in einem dem vorliegenden vergleichbaren Fall bereits ausgeführt hat (Urteil vom 30. Oktober 1968 - 2 RU 122/66 - in BB 1969, 1271) - hinsichtlich ihrer Beziehung zur versicherten Arbeitstätigkeit grundsätzlich nicht von zahlreichen sonstigen, dem unversicherten persönlichen Bereich zuzurechnenden Verrichtungen unterscheidet, die nötig sind, damit der Weg zur Arbeitsstätte angetreten und die Arbeit durchgeführt werden kann (vgl. auch Bayer. LSG in BayAMBl. 1963 S. B 86 Nr. 702; Hess. LSG in Lauterbach-Kartei Nr. 4177 zu § 543 RVO aF). Solche vorbereitenden Verrichtungen und Tätigkeiten - wie zB die Besorgung von Fahrkarten für den Weg zur Arbeitsstätte und das Auftanken eines Fahrzeuges, das auf dem Weg zur Arbeitsstätte benutzt werden soll - können zwar zugleich auch der Erfüllung von Pflichten aus dem Arbeitsvertrag dienen und sind vielfach hierzu sogar unentbehrlich. Dadurch werden sie aber noch nicht Bestandteil der unter Versicherungsschutz stehenden Tätigkeit (vgl. BSG 7, 255, 256). Der vorliegende Fall bietet keine Besonderheiten, die einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang zwischen dem Frühstückseinkauf vor Arbeitsantritt und der versicherten Betriebstätigkeit begründen könnten. Daß der Kläger zu Hause regelmäßig nur sehr wenig aß und am Unfalltag ausnahmsweise sein Frühstück für die Betriebspause selbst besorgen wollte, weil ihm seine Ehefrau wegen ihrer Unpäßlichkeit nicht wie sonst üblich ein Frühstückspaket mitgab, sind Umstände, die in seinem persönlichen Bereich liegen.

Der erkennende Senat stimmt nicht der Auffassung des LSG zu, für die Frage des Versicherungsschutzes bedeute es keinen Unterschied, ob sich ein Versicherter Lebensmittel erst in der Arbeitspause beschaffe, weil er plötzlich ein Hungergefühl verspüre, oder ob er sie unmittelbar vor Arbeitsbeginn im Bewußtsein ihrer späteren Notwendigkeit einkaufe. Der vorsorgliche Einkauf von Lebensmitteln für die spätere Frühstückspause auf einem nicht mit Zielrichtung auf die Arbeitsstätte unternommenen Weg vor Arbeitsantritt kann versicherungsrechtlich nicht dem Fall gleichgesetzt werden, daß ein Weg zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz von der Arbeitsstätte aus angetreten wird (§ 550 Satz 1 RVO) und deshalb unter bestimmten Voraussetzungen dem Versicherungsschutz unterliegt. Auch das Reichsversicherungsamt hat die Besorgung von Lebensmitteln vor Beginn der Arbeitszeit nicht den Fällen gleicherachtet, in denen von der Arbeitsstätte aus Wege erforderlich waren, um die nötige Ernährung zur Erhaltung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers zu beschaffen (vgl. EuM Bd. 48 S. 164, 165 - Fußnote -).

Da hiernach der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nicht unter Versicherungsschutz stand, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669283

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