Leitsatz (redaktionell)

1. Der Arbeitgeber ist bei Mehrfachbeschäftigten verpflichtet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu errechnen und abzuführen, der auf das bei ihm bestehende Beschäftigungsverhältnis entfällt, solange der Arbeitnehmer und der andere Arbeitgeber bereit sind, ihm die dafür erforderlichen Daten und Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

2. Zur heutigen Bedeutung von § 396 Abs 2 RVO und dem Erfordernis einer bereichsspezifischen Datenschutzregelung.

 

Orientierungssatz

Offenbarung von Beschäftigungsdaten bei anderen Arbeitgebern:*

Allein die Indienstnahme des Arbeitgebers, wie sie mittelbar aus § 396 RVO abzuleiten ist, ist keine ausreichende gesetzliche Regelung für die Erfassung von Daten von Beschäftigungen bei anderen Arbeitgebern.

 

Normenkette

BDSG § 3 Fassung: 1977-01-27; GG Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 396 Abs. 2 Fassung 1924-12-15; SGB X § 67 S. 1 Nr. 2 Fassung 1980-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.02.1982; Aktenzeichen L 16 Kr 66/80)

SG Köln (Entscheidung vom 31.03.1980; Aktenzeichen S 19 Kr 11/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) den Arbeitgebern von Mehrfachbeschäftigten monatliche Beitragsberechnungen zu erteilen hat.

Der Arbeitnehmer O. (Beigeladener zu 1) ist überwiegend bei der L. GmbH in F. (Beigeladene zu 2) und zugleich bei der K. GmbH (Klägerin), ebenfalls in F. , beschäftigt. Zuständige Krankenkasse ist die beklagte AOK F.

Die Klägerin möchte gesichert sehen, daß bei der Beitragserrechnung und -abführung jeweils die Jahresarbeitsverdienstgrenze unter Berücksichtigung des Verdienstes aus beiden Beschäftigungen beachtet wird. Sie hält die zuständige AOK für verpflichtet, ihr monatlich Beitragsrechnungen zukommen zu lassen. Sowohl der Beigeladene zu 1) als auch die Beigeladene zu 2) haben sich im Berufungsverfahren bereiterklärt, der Klägerin die notwendigen Auskünfte zu erteilen.

Die Beklagte lehnte die Forderung der Klägerin nach monatlichen Beitragsberechnungen ab und entschied, daß die Beiträge vom Arbeitgeber selbst zu errechnen und abzuführen seien. Bei Versicherten, die gleichzeitig in mehreren versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen stehen, habe jeder Arbeitgeber die Beiträge nach dem bei ihm erzielten Arbeitsentgelt zu entrichten. Überschreite das beitragspflichtige Arbeitsentgelt aus allen Beschäftigungen die Beitragsbemessungsgrenze, so seien die Arbeitsentgelte anteilig zu kürzen. Zur Klärung der Voraussetzungen müsse sich jeder Arbeitgeber an die anderen Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer wenden (Bescheid vom 1. November 1978; Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1978).

Mit der Klage begehrte die Klägerin Aufhebung der Bescheide und Verpflichtung der Beklagten zur Erstellung monatlicher Beitragsberechnungen. Das Sozialgericht Köln (SG) hat daraufhin die Bescheide aufgehoben, die Verpflichtungsklage aber abgewiesen (Urteil vom 31. März 1980). Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 8. Februar 1982). Es hat die Auffassung vertreten, daß gemäß § 396 der Reichsversicherungsordnung (RVO) eine Zweckgemeinschaft zwischen den Arbeitgebern Mehrfachbeschäftigter bestehe, weil sie nach Abs 1 dieser Vorschrift als Gesamtschuldner für die Beiträge hafteten. Daraus ergebe sich im Innenverhältnis eine Ausgleichspflicht. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß sich die Arbeitgeber über den Umfang der Beitragslast verständigen und einigen könnten. Soweit hierbei geschützte Sozialdaten zu offenbaren seien, könne erwartet werden, daß der Arbeitnehmer hierzu seine Zustimmung erteile; denn auch er sei an der Vermeidung überhöhter Zahlungen interessiert. Sei ein Arbeitgeber nicht zu der erforderlichen Kooperation bereit, so gebe § 396 Abs 2 RVO die Möglichkeit, das Versicherungsamt anzurufen, das dann die Beitragslasten verteile.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, § 396 RVO regele nur das Verhältnis der Arbeitgeber untereinander, nicht aber deren Pflichten gegenüber der Einzugsstelle. Diese Pflicht sei in § 1399 Abs 3 RVO geregelt. Dort sei bestimmt, daß die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe zu entscheiden habe. Diese Sonderregelung schränke auch die Folgerungen ein, die man im übrigen aus dem Institut der Gesamtschuldnerschaft ziehen könnte. Für den Arbeitgeber sei es auch kaum möglich, sein Auskunftsersuchen gegenüber dem anderen Arbeitgeber durchzusetzen; auch könnten von ihm keine Verstöße gegen das Datenschutzgesetz erwartet werden. Die Darlegungspflicht der Arbeitgeber nach § 317 Abs 1 RVO reiche nur so weit, als er auch tatsächlich imstande sei, Angaben zu machen. § 396 Abs 2 RVO biete entgegen der Auffassung des LSG ebenfalls keine Lösung; denn diese Vorschrift sei weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck für Fälle gedacht, in denen sich ein Arbeitgeber weigere, die erforderlichen Daten bekanntzugeben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 1) hat sich diesem Antrag und der Begründung angeschlossen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält § 396 Abs 2 RVO für die maßgebende Konfliktregelung, die auch den vorliegenden Fall erfasse. Gegenüber § 1399 Abs 3 RVO sei dies eine vorrangig zu beachtende Sonderregelung.

Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin monatliche Beitragsberechnungen für den Beigeladenen zu 1) zukommen zu lassen.

Das Beitragseinzugsverfahren für die gesetzliche Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung ist durch eine Aufgabenteilung zwischen Arbeitgeber und Krankenkasse geprägt. Der Arbeitgeber ist "indienstgenommen" für die Meldung der Arbeitnehmer (§§ 317, 1400 RVO, § 178 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-) sowie die Beitragsberechnung und die Beitragsabführung (§§ 393, 394 RVO; §§ 1396, 1399 Abs 2 RVO; § 176 AFG). Die Einzugsstelle erhält zunächst nur die Meldung über die Beschäftigten nach Maßgabe der aufgrund von § 317 Abs 2 RVO, § 1400 iVm § 317 Abs 2 RVO und des § 178 Abs 2 AFG erlassenen Datenerfassungsverordnung (DEVO) in der jeweils gültigen Fassung, ferner eine zusammengefaßte Beitragsnachweisung für den gesamten Betrieb. Einzelabrechnungen über das beitragspflichtige Arbeitsentgelt jedes Arbeitnehmers sind nur für Abmeldungen und Jahresmeldungen (§§ 4 und 5 iVm §§ 6a und 8 Abs 3 Nr 3 der 2. DEVO) vorgesehen. Die Kasse überwacht durch Betriebsprüfungen, ob der Arbeitgeber seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Eine Befugnis zu bindenden Entscheidungen hat der Arbeitgeber indes nicht. Hinsichtlich Versicherungspflicht, Beitragspflicht, maßgeblicher Berechnungsgrundlage und Beitragshöhe trifft allein die zuständige Krankenkasse als Einzugsstelle des Gesamtsozialversicherungsbeitrags die Entscheidungen (§ 1399 Abs 3 RVO, § 182 Abs 1 AFG). Sie wird aber insoweit nur bei Anfragen in Zweifelsfällen und bei einer Aufdeckung von Fehlern tätig.

Diese gesetzliche Konzeption, nach der es - wenn auch ohne abschließende Entscheidungskompetenz - Sache des Arbeitgebers ist, die Beiträge zu errechnen und abzuführen, gilt grundsätzlich auch für Mehrfachbeschäftigte. Hier ergeben sich allerdings besondere Schwierigkeiten in drei Bereichen: Für Mehrfachbeschäftigte ist nicht die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Krankenkasse zuständig, sondern diejenige, in deren Zuständigkeitsbereich die überwiegende Beschäftigung fällt; im Zweifel entscheidet das Arbeitsverhältnis, in das der Versicherte zuerst eingetreten ist (§ 309 RVO). Das zweite Problem betrifft die Versicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungen (§ 8 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -SGB IV- iVm § 168 RVO und § 128 Abs 1 Nr 4 RVO). Der dritte Bereich umfaßt die Fälle, in denen das Einkommen aus den verschiedenen Beschäftigungen die Beitragsbemessungsgrenze (§ 385 RVO iVm § 180 Abs 1 RVO; § 1385 RVO) übersteigt.

Um die Meldung bei der zuständigen Kasse durchführen zu können, bedarf es einer Prüfung des Beginns und des Umfangs der anderen Beschäftigungen. Bei Ausübung einer Beschäftigung, die wegen der Höhe des Verdienstes als geringfügig anzusehen ist (§ 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV), muß überprüft werden, ob es sich bei den anderen Beschäftigungen ebenfalls um geringfügige Beschäftigungen in diesem Sinne handelt und ob die Zusammenrechnung beider Einkommen dazu führt, daß die Beschäftigungen nicht mehr als geringfügig angesehen werden können (§ 8 Abs 2 SGB IV). In dem dritten Bereich, der Überschreitung der Beitragsbemessungsgrenzen, muß der Arbeitgeber zur ordnungsgemäßen Beitragsabführung Kenntnis von den übrigen Arbeitsentgelten haben, damit er nicht zuviel Beiträge abführt. Dazu muß er alle maßgeblichen Faktoren überprüfen können. Er braucht sich nicht auf die Beitragsberechnungen der anderen Arbeitgeber und auf deren Auffassung über den Umfang des beitragspflichtigen Entgelts zu verlassen. Vielmehr muß er sich hierüber selbst ein vollständiges Bild machen können, um sich so davor zu schützen, später etwa Beiträge nachzahlen zu müssen, für die er den Arbeitnehmeranteil nicht mehr vom Lohn des Arbeitnehmers abziehen kann (§§ 394, 395 RVO).

Zur Lösung dieser Probleme trägt das Gesetz nur in der Weise bei, daß es in § 396 RVO eine gesamtschuldnerische Haftung der Arbeitgeber Mehrfachbeschäftigter festlegt und für Streitfälle dem Versicherungsamt die Kompetenz zuweist, auf Antrag eines Arbeitgebers die Beiträge zu verteilen. Dennoch bleibt es auch in diesem Bereich bei der Indienstnahme des Arbeitgebers. Aus § 396 RVO ergibt sich im Rückschluß, daß es bei Mehrfachbeschäftigten als Aufgabe der Arbeitgeber angesehen wird, sich untereinander zu verständigen und die Unterlagen zu übermitteln, wobei der gesamtschuldnerischen Haftung die Bedeutung eines Druckmittels zukommt und das Versicherungsamt als Schlichtungsinstanz installiert ist.

Die Klägerin ist hier auch in der Lage, die Beitragsberechnung durchzuführen. Denn sowohl der Beigeladene zu 1) als auch sein anderer Arbeitgeber, die Beigeladene zu 2), haben ihre Bereitschaft erklärt, ihr alle erforderlichen Angaben zu machen und Unterlagen vorzulegen. Der Schriftsatz vom 5. Januar 1982, mit dem der Beigeladene zu 1) sich dem Antrag der Klägerin angeschlossen hat, enthält keinen Widerruf der Bereiterklärung. Ihm kann nur entnommen werden, daß sich der Beigeladene zu 1) nicht für verpflichtet hält, die erforderlichen Angaben zu machen, und dies rechtlich geklärt haben möchte. Die Bereiterklärung ist damit nicht widerrufen worden.

Bei dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Untersuchung über das Bestehen von Mitteilungspflichten. Auch Datenschutzregelungen werden nicht tangiert. Eine datenschutzrechtlich wirksame Einwilligung (§ 3 Satz 1 Nr 2 BDSG; § 67 Satz 1 Nr 2 SGB X) liegt hier allerdings nicht vor; dazu wäre eine hinreichend präzisierte, vom Beigeladenen zu 1) selbst unterschriebene schriftliche Erklärung erforderlich gewesen (Simitis, BDSG § 3 RdNr 53; Schroeder-Printzen, SGB X § 67 Anm 6; Gagel, AFG § 7 RdNrn 16/17; vor § 142 RdNrn 197 ff, 201). Solange die Beigeladenen zu 1) und 2) indes bereit sind, einvernehmlich die erforderlichen Angaben zu machen und die Unterlagen hierfür zu liefern, ist die Klägerin auch ohne datenschutzrechtlich wirksame Einwilligung in der Lage, die Beiträge zu errechnen. Falls hierzu - was hier nicht näher zu untersuchen ist - außerdem noch eine förmliche Einwilligung benötigt würde, wäre auch dies kein Hinderungsgrund; denn in der Bereitschaft, die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, ist zugleich die Bereitschaft zur Abgabe der eventuell erforderlichen Einwilligungen zu sehen. Solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß diese Mitwirkungshandlungen verweigert werden, bestehen für die Klägerin auch vom Datenschutz her keine Hindernisse, ihren Aufgaben als indienstgenommener Arbeitgeber gerecht zu werden.

In Zweifelsfällen oder bei Streitigkeiten, wie sie vorliegend bestehen, müßte sie sich nach dem Wortlaut des § 396 Abs 2 RVO eigentlich an das Versicherungsamt wenden. Demgegenüber weist allerdings die Klägerin mit Recht darauf hin, daß nach der Systematik des geltenden Beitragsrechts (und auch aus datenschutzrechtlichen Gründen) das Versicherungsamt keine befriedigende Klärung herbeiführen könnte.

Das Modell des § 396 RVO, das in seinen Grundzügen auf § 52 Abs 2 des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) vom 10. April 1892 (RGBl S 379) zurückgeht und seit der RVO vom 19. Juli 1911 (RGBl S 509) unverändert geblieben ist, ist in mehrfacher Hinsicht von Rechtsentwicklungen im Beitragsrecht überholt worden. Dabei braucht - weil hier nicht entscheidungserheblich - nicht geprüft zu werden, ob der gesamtschuldnerischen Haftung verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen. Fraglich und für die Entscheidung des vorliegenden Falles wesentlich ist aber, welcher Raum noch für die Entscheidung des Versicherungsamts nach § 396 Abs 2 RVO verbleibt.

Zuständig für die Entscheidung über Versicherungspflicht, Beitragspflicht, zugrundezulegendes Entgelt und Beitragshöhe sind heute allein die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung als Einzugsstellen und im Streitfall die Sozialgerichte. Das Versicherungsamt kann also nicht über die Grundlagen für die Verteilung entscheiden. Das war zunächst noch anders. Nach § 405 RVO in der bis 31. Dezember 1953 geltenden, durch das Sozialgerichtsgesetz (SGG) außer Kraft gesetzten Fassung, war das Versicherungsamt auch für die Entscheidungen im Streit zwischen den Arbeitgebern und Beschäftigten oder zwischen zu Versichernden und einer Kasse über Beitragsfragen zuständig. Wenngleich die Entscheidungen zu diesen Fragen deutlich von den Entscheidungen nach § 396 Abs 2 RVO unterschieden wurden (vgl Hoffmann/Kreil, Krankenversicherung, 9. Aufl 1939, § 396 zu Abs 2 am Ende), blieb doch immerhin die Möglichkeit zur Entscheidung der im Beitragsrecht wesentlichen Fragen bei einer Stelle konzentriert. Bis zur Einsetzung der Krankenkassen als Einzugsstellen auch für die Rentenversicherung hatte diese Konzentrierung der Aufgaben zudem den Effekt, daß das Versicherungsamt auch über die Beiträge zu den anderen Versicherungszweigen mitentscheiden konnte (§ 1459 RVO aF). Es war damit die maßgebliche Stelle zur Entscheidung und Regelung der wesentlichsten Streitfragen im Beitragsrecht.

Heute sind indes dem Versicherungsamt diese Kompetenzen im Umfeld der Entscheidung nach § 396 Abs 2 RVO genommen, so daß es bei einem Streit, der sich auf die Berechnungsgrundlagen erstreckt, zunächst eine Entscheidung der Einzugsstelle einholen und ggfs die gerichtliche Klärung abwarten müßte. Bis dahin könnte es allenfalls unter Vorbehalt Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen müßten sich dann auf die Verteilung der Beiträge auf die verschiedenen Arbeitgeber beschränken, wobei aber der Maßstab bereits grundsätzlich festliegt. Für eine andere Verteilung als diejenige nach dem Anteil der einzelnen Entgelte am Gesamteinkommen gibt es keine Rechtsgrundlage. Dem entspricht, wie die Beigeladene zu 3) in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, auch die Praxis.

Allein der Ausfall des Versicherungsamts als Regelungshilfe entzieht indes der Indienstnahme nicht die Grundlage. Da der Verteilungsmaßstab festliegt und im übrigen die AOK zu den etwa erforderlichen Entscheidungen verpflichtet ist, sind die Arbeitgeber von daher weiterhin in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Schwerer wiegen die Bedenken aus Gründen des Datenschutzes. Auch sie führen aber nicht dazu, daß die Indienstnahme hinfällig wird.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem Urteil vom 15. Dezember 1983 zum Volkszählungsgesetz (BVerfGE 65, 1) anerkannt, daß das Grundgesetz (GG) vor allem in Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 ein "informationelles Selbstbestimmungsrecht" des Bürgers gewährleistet, das die Befugnis des einzelnen umfaßt, "grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden" (BVerfG aa0 S 42). Jede Beschränkung dieses Rechts bedarf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, "aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar und für den Bürger erkennbar" ergibt (BVerfGE aaO, S 44). Eine solche Regelung muß zudem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (BVerfGE aaO) und schließlich einen Schutz vor Speicherung, Weitergabe oder anderweitiger Verwendung vorsehen (BVerfGE aaO, S 46).

Für die Erhebung von Daten durch den Arbeitgeber bei seinem Arbeitnehmer fehlt bereits die erforderliche klare gesetzliche Norm, aus der sich für den Arbeitnehmer Offenbarungspflichten (Mitteilungspflichten) ergeben. Die §§ 317, 318a RVO gelten nur für das Beschäftigungsverhältnis bei dem meldepflichtigen Arbeitgeber. Sie sind überdies nicht einmal dort anwendbar, wenn es sich um eine geringfügige Beschäftigung iS des § 8 SGB IV handelt. Allein die Indienstnahme des Arbeitgebers, wie sie mittelbar aus § 396 RVO abzuleiten ist, ist keine ausreichende gesetzliche Regelung für die Erfassung von Daten von Beschäftigungen bei anderen Arbeitgebern. Denn "ein Zwang zur Abgabe personenbezogener Daten setzt voraus, daß der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und daß die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind" (BVerfGE aa0, S 46; siehe auch Schlink, ArchSozArb 84, 201, 203 und ferner Forum der Datenschutzbeauftragten DÖV 84, 504, 509). Da die Regelung in § 396 RVO mithin unzureichend ist, läßt sie auch nicht erkennen, daß die notwendige Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und den Bedürfnissen der Verwaltung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (s dazu auch Baumann DVBl 84, 612, 615) vorgenommen worden ist. Weiter sind Regelungen notwendig, die die Erhebungen möglichst auf die Fälle beschränken, in denen wirklich Zuständigkeit, Versicherungspflicht oder Beitragsvolumen durch die Tätigkeit in einem zweiten Beschäftigungsverhältnis betroffen werden. Das ist nicht bei allen Mehrfachbeschäftigten der Fall. Vielmehr wird auch bei ihnen die Beitragsbemessungsgrenze nur selten überschritten, und es spricht viel dafür, daß auch eine abweichende Kassenzuständigkeit nach § 309 RVO und eine Summierung von Beschäftigungen mit geringfügigem Verdienst mit der Folge der Versicherungspflicht nur bei einem vergleichsweise geringen Teil aller Mehrfachbeschäftigten wirksam wird.

Weiterhin fehlt eine bereichsspezifische Regelung des Datenschutzes. Das SGB X enthält keine solche Regelung, weil es den Schutz von Sozialdaten beim Arbeitgeber nicht erfaßt. Allerdings regelt das BDSG in den §§ 23 und 24 die Speicherung und Übermittlung an Dritte. Diese Regelung bietet aber lediglich allgemeine Begrenzungen für das Arbeitsverhältnis, die auf die besonderen (abweichenden) Bedürfnisse des Sozialrechtsverhältnisses nicht zugeschnitten sind. Die Regelung ist auch zu allgemein und unscharf. Sie enthält eine Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe (s Kemper, BB 79, 1014) und läßt die Konturen vermissen, die einen ausreichenden Schutz von Sozialdaten gewährleisten (Heußner in Festschrift für Wannagat, S 186). Diese sind nach der oben schon zitierten Aussage des BVerfG nur durch eine bereichsspezifische Regelung garantiert. Der Gesetzgeber darf sich (so BVerfG aaO S 42) seines Rechts, die Schranken der Freiheit zu bestimmen, nicht dadurch begeben, daß er mittels einer vagen Generalklausel die Grenzziehung den an den Daten Interessierten überläßt. Deshalb mußte und hat der Gesetzgeber den Schutz der Sozialdaten in den §§ 67 ff SGB X in besonderer Weise geregelt. Die Arbeitgeber sind dabei nicht einbezogen; deswegen sind die Daten dort weitgehend ungeschützt und in vielfältigerer Weise Dritten und anderen Stellen zugänglich, als dies nach dem SGB X vorgesehen ist.

Schließlich berücksichtigen die vorfindbaren Normen auch nicht die besondere Problematik, die sich daraus ergibt, daß der Arbeitgeber als Adressat der Offenbarungen gewählt wird. Gerade ihm gegenüber kann ein besonderes Interesse bestehen, anderweitige Arbeitsverhältnisse und die daraus erzielten Einkünfte geheimzuhalten. Im Arbeitsrecht wird daher das Fragerecht des Arbeitgebers eng auf gerechtfertigte Interessen begrenzt, die in einem Zweckzusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen (Zeuner, Daten- und Informationsschutz im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl, S 33 und 41; noch enger Herschel BB 82, 2128, 2129). Diese Bedenken erstrecken sich auch auf die Einholung eines Einverständnisses von den Arbeitnehmern, weil sie ihrem Arbeitgeber regelmäßig unterlegen und von ihm abhängig sind (s Forum der Datenschutzbeauftragten aa0, S 509 Ziff 7) und es ihnen daher uU unmöglich ist oder nicht ratsam erscheinen wird, das Einverständnis zu verweigern. Die Person des Arbeitgebers ist deshalb in gleichem Maße ungeeignet wie Zähler im Rahmen der Volkszählung, die im Hinblick auf ihre dienstliche Tätigkeit in Interessenkonflikte kommen oder die dem Nachbarschaftsbereich des Befragten angehören (BVerfGE aa0, S 60).

Der Arbeitgeber kann aber auch nicht verpflichtet werden, die erforderlichen Daten bei den anderen Arbeitgebern zu ermitteln. Dies scheitert grundsätzlich daran, daß sich aus § 24 BDSG keine Übermittlungsbefugnis herleiten läßt (s dazu auch Hümmerich, DVR 77, 129, 137). Die Durchführung der Sozialversicherung kann nicht als Zweckbestimmung des Vertragsverhältnisses angesehen werden.

Soweit sozialrechtliche Regelungen zwangsläufig Mitteilungs- oder Nachweispflichten zur Folge haben (zB § 3 der 2. DEVO iVm den Anmeldeformularen in Anlagen 2 ff), wären diese darauf zu überprüfen, ob nicht hierdurch das informationelle Selbstbestimmungsrecht verletzt wird, sei es durch die Mißachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, sei es wegen des unzureichenden Datenschutzes. Das Argument, der Arbeitgeber erfahre über eine Beitragsverteilung durch die zuständige Krankenkasse ohnehin von der Mehrfachbeschäftigung, deckt allenfalls die Regelung von Mitteilungspflichten für den kleineren Kreis derer, die mit ihrem Gesamtentgelt die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten; im übrigen ist es immer noch von unterschiedlicher Qualität, ob Mitteilungspflichten bestehen oder Rückschlüsse möglich sind. Desgleichen spricht nicht gegen die Anforderungen an den Datenschutz, daß möglicherweise im Streitfall bei der Begründung von Bescheiden der Einzugsstelle (§ 35 SGB X) oder im anschließenden Gerichtsverfahren Daten zwangsläufig offenbart werden müssen. Auch hier handelt es sich nur um einen kleinen Prozentsatz aller in Betracht kommenden Fälle.

Die dargelegten Entwicklungen zwingen zu einer den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechenden Auslegung der hier anzuwendenden Normen über die Indienstnahme der Arbeitgeber von Mehrfachbeschäftigten. Welche Konsequenzen daraus im einzelnen zu ziehen sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn trotz dieser Beschränkungen ist der Indienstnahme der Arbeitgeber bei Mehrfachbeschäftigten nicht generell der Boden entzogen. Es ist zu unterscheiden zwischen der Zulässigkeit einer allgemeinen Indienstnahme von Arbeitgebern für die Beitragsberechnung und den besonderen Problemen bei Durchführung der Beitragsberechnung bei Mehrfachbeschäftigten. Die aufgezeigten rechtlichen Hemmnisse für die Erfüllung der Pflichten aus der Indienstnahme durch die Arbeitgeber von Mehrfachbeschäftigten sprechen nicht gegen die Indienstnahme an sich, dh gegen die Belastung des Arbeitgebers mit einer verwaltungsmäßigen Tätigkeit, sondern nur gegen ihre Durchführung ohne zureichende klare Regelungen der Mitteilungspflichten und zureichenden Datenschutz. Nur wo derartige Bedenken wirksam werden, erscheint es gerechtfertigt, die Pflichten aus der Indienstnahme einschränkend auszulegen. Insoweit kann es dann Aufgabe der Krankenkasse sein, die Zuständigkeit und den Beitragseinzug in der jeweils zutreffenden Höhe sicherzustellen. Sobald und soweit indes alle Betroffenen zur Kooperation bereit sind, gibt es keinen Grund, von dem Prinzip der Indienstnahme abzuweichen.

Die Revision konnte sonach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60375

BSGE 57, 253-256 (LT1-2)

BSGE, 253

RegNr, 15440

Das Beitragsrecht Meuer, 514/1 (LT1-2)

KVRS, A-10000/1 (LT1-2)

NZA 1985, 468-471 (LT1-2)

USK 84186 (LT1, OT1)

DVR 13, 383-388 (1984) (LT1-2)

EzS, 55/65 (LT1-2)

SozR 2200 § 396, Nr 1 (LT1-2)

SozSich 1985, RsprNr 3911 (LT1-2)

VersR 1985, 563-565 (LT1-2)

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