Entscheidungsstichwort (Thema)

(Konkursausfallgeld. Auslegung eines arbeitsgerichtlichen Abfindungsvergleichs. rechtliches Gehör. Zahlung des Arbeitgebers mit befreiender Wirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs durch das Revisionsgericht.

2. Zur Gewährung rechtlichen Gehörs gehört, daß die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden.

3. Der Anspruch auf Konkursausfallgeld entfällt, wenn der Arbeitgeber nach Konkursausfallgeld-Antragstellung das Arbeitsentgelt mit befreiender Wirkung zahlt.

 

Normenkette

AFG § 141b Abs. 1; SGG §§ 62, 128 Abs. 1-2, § 163; BGB § 185 Abs. 2 S. 1, § 362 Abs. 2, §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 27.06.1989; Aktenzeichen S 19/Ar 862/84)

Hessisches LSG (Entscheidung vom 30.10.1992; Aktenzeichen L 10/Ar 1094/89)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger höheres Konkursausfallgeld (Kaug) zusteht. Das Sozialgericht (SG; Urteil vom 27. Juni 1989) und das Hessische Landessozialgericht (LSG; Urteil vom 30. Oktober 1992) haben dies verneint.

Aufgrund Arbeitsvertrags vom 6. September 1979 war der Kläger bei der Firma R. , D. -

, in der Funktion eines Leiters der Filiale F. angestellt. (Aufgabe des Filialleiters war ua der Abschluß von Treuhandaufträgen zugunsten der Gesellschaft, die die Errichtung von Baumaßnahmen im Rahmen des sogenannten Kölner Modells bezweckten.)

Das Gehalt des Klägers betrug 8.000,-- DM monatlich zzgl einer garantierten Gewinnbeteiligung von 24.000,-- DM pro Jahr, die anteilig monatlich abgerufen werden konnte. Darüber hinaus stand ihm uU eine weitere Gewinnbeteiligung zu. Außerdem war vereinbart, daß dem Kläger ein Firmenwagen der Preiskategorie eines BMW 520 zur Wahrnehmung seiner Aufgaben zur Verfügung gestellt werden sollte.

Am 13. Mai 1983 wurde der Kläger von der Arbeit freigestellt; zum 30. September 1983 wurde ihm gekündigt. Am 1. Juni 1983 wurde über das Vermögen der Firma R. das Konkursverfahren eröffnet, am 20. Juni 1983 beantragte der Kläger Kaug.

Für den Lohnabrechnungszeitraum vom 1. bis 31. März 1983 machte er 7.969,64 DM, für den Zeitraum vom 1. bis 30. April 1983 - einschließlich "Provisionsansprüchen" - 64.803,99 DM und für den Zeitraum vom 1. bis 31. Mai 1983 8.976,64 DM geltend.

Am 30. Juni 1983 wandte er sich erneut an die Beklagte und bat, ihm Kaug auch für weitere 355,-- DM zu gewähren. Aufgrund einer gesamtschuldnerischen Haftung sei er von der American Express wegen Geschäftsspesen überraschend in Anspruch genommen worden. Normalerweise habe die Firma R. die über Kreditkarte gesondert abzurechnenden Geschäftsspesen direkt bezahlt.

Der Konkursverwalter bescheinigte der Beklagten offene Gehaltsansprüche des Klägers für Monat Mai 1983 - einschließlich des Arbeitgeberanteils für die Krankenversicherung von 136,99 DM - in Höhe von 7.969,64 DM. Für die Monate März und April 1983 sei im Hinblick auf noch nicht durchgeführte Abzweigungen an die R. D. eG kein an den Kläger noch zu zahlendes Arbeitsentgelt mehr verblieben.

Mit dem in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 1984 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 1983 Kaug in Höhe von 23.074,87 DM, das wegen eines bereits gezahlten Vorschusses sowie des geleisteten Arbeitslosengeldes und der Abzweigung des Arbeitsentgelts an die R. D. eG nur noch in Höhe eines Restbetrages von 1.929,32 DM zur Auszahlung kam. Den weitergehenden Antrag lehnte die Beklagte ab; Ansprüche auf Provision fanden ebensowenig wie Geschäftsspesen oder der Firmenwagen BMW 528i bei der Bemessung des Kaug Berücksichtigung.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch, mit dem der Kläger nunmehr auch die Berücksichtigung einer monatlichen Steuerreduzierung von 2.000,-- DM wegen einer Steuerklassenänderung aufgrund seiner am 15. Mai 1983 erfolgten Heirat und die Hinzurechnung des Arbeitgeberzuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 136,99 DM forderte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. August 1984).

Das SG hat die Klage abgewiesen. Die Treuhandverträge, aus denen der Kläger Provisionsansprüche herleite, seien nicht zugunsten seines Arbeitgebers, sondern zugunsten eines anderen Treuhänders abgeschlossen worden. Für die Nutzung des Pkw scheide eine Berücksichtigung beim Kaug aus, weil dieser nach dem Anstellungsvertrag als Betriebsmittel und nicht als Arbeitsentgelt anzusehen sei. Die Spesen hätten keinen Einfluß auf das Kaug, weil es sich hierbei ebenfalls nicht um Arbeitsentgelt handele.

Das LSG hat die Berufung gemäß § 150 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als zulässig angesehen; der Kläger habe einen wesentlichen Verfahrensmangel wirksam gerügt. Das SG habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, § 62 SGG. Der geltend gemachte Kaug-Anspruch stehe dem Kläger nicht zu. In einem am 27. April 1988 vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Frankfurt am Main abgeschlossenen Vergleich mit dem Konkursverwalter sei vereinbart worden, daß dem Kläger als Entschädigung für den Verlust der Gewinnbeteiligung und zum Ausgleich sämtlicher übrigen Ansprüche für die Zeit ab 1. Januar 1983 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber 360.000,-- DM gezahlt werden. Dieser Vergleich sei eindeutig. Er umfasse sämtliche Ansprüche auf Arbeitsentgelt, auch die für den Kaug-Zeitraum. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) müsse derjenige, der eine - hinsichtlich des zeitlichen Geltungsumfangs genau festgelegte - Regelung in einschränkendem Sinne verstanden wissen wolle, dies in der Regelung verdeutlichen. Das gelte um so mehr, weil das Zustandekommen der den "Provisionsansprüchen" vom Kläger zugrunde gelegten Verträgen "P. " auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren unterschiedlich bewertet worden sei. Diesen Vergleich habe die Beklagte mit Schriftsatz vom 30. März 1992 genehmigt. Höheres Kaug könne der Kläger auch nicht aufgrund des Steuerklassenwechsels beanspruchen. Die Beklagte habe bei der Berechnung des Kaug von dem um die Steuerklasse I geminderten Arbeitsentgelt des Klägers ausgehen müssen. Auch der Arbeitgeber hätte nach dieser Steuerklasse Lohnsteuer abführen müssen. Die Lohnsteuerkarte des Klägers habe für den Kaug-Zeitraum noch die Eintragung der Steuerklasse I enthalten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Seines Erachtens hat das LSG die Auslegungsregel des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verletzt. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, der vor dem LAG geschlossene Vergleich vom 27. April 1988 sei nach Wortlaut und Zweck eindeutig, so daß für eine andere Auslegung kein Raum sei. Eine umfassende Regelung dergestalt, daß mit der Zahlung eines Betrages vom 360.000,-- DM sämtliche Ansprüche des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis erledigt sein sollten, hätten die Parteien des Arbeitsrechtsstreits nicht gewollt. Bei der Auslegung sei zu berücksichtigen, daß der Zeitraum von März bis Mai 1983 gerade nicht Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gewesen sei. Der Mitarbeiter des Konkursverwalters, der Zeuge Z. , habe ausgesagt, daß um Provisionen von März bis Mai 1983 vor dem Arbeitsgericht nicht gestritten werde. Auch habe das Berufungsgericht nicht unterstellen dürfen, daß der Kläger beim Vergleichsschluß über Ansprüche habe verfügen wollen, über die er nicht mehr habe verfügen können. Provisionsansprüche des Klägers aus den Monaten März bis Mai 1983 hätten nach der cessio legis des § 141m des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nicht mehr dem Kläger, sondern der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zugestanden.

Der Kläger beantragt dem Sinne nach,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. Juni 1989 abzuändern sowie das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Oktober 1992 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung ihrer Bescheide vom 24. Mai 1984 und 16. August 1984 zu verurteilen, an ihn 50.357,-- DM nebst 11 % Zinsen seit dem 12. Juni 1983 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß der Vergleich vor dem LAG die auf den Kaug-Zeitraum entfallenden, zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages bis zuletzt streitig gebliebenen Provisionsforderungen erfaßt habe. Gesetzlich e Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften seien nicht verletzt. Sie selbst habe die im Abschluß des Vergleichs vor dem LAG liegende Verfügung des Klägers über etwaige Ansprüche der Beklagten mit Schriftsatz vom 30. März 1992 genehmigt. Damit bestehe im Ergebnis kein Anspruch auf Kaug wegen der umstrittenen Provisionsforderungen mehr, weil etwaige Ansprüche entweder vom Konkursverwalter durch Zahlung der Vergleichssumme miterfüllt oder vom Kläger anerkannt wurden, daß solche Ansprüche nicht bestehen.

Die Lohnsteuerkarte des Klägers sei am 10. Juni 1983 geändert worden. Damit sei sie bei Bezahlung des Entgelts für Mai 1983 noch nicht zu berücksichtigen gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Das LSG ist mit Recht davon ausgegangen, daß es wegen eines im Verfahren vor dem SG unterlaufenen wesentlichen Verfahrensfehlers in der Sache entscheiden durfte und mußte. Es hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 27. Juni 1989 mit zutreffenden Gründen zurückgewiesen.

Im Verfahren einer von dem LSG zugelassenen Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob das LSG zu Recht angenommen hat, daß es eine Sachentscheidung treffen konnte (BSG SozR 1500 § 150 Nr 18). Dies ist hier zu bejahen. Die Berufung des Klägers war grundsätzlich gemäß § 144 Abs 1 SGG idF vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 11. Januar 1993 (BGBl I S 50; SGG aF) ausgeschlossen, weil der Kläger eine einmalige Leistung iS von § 144 Abs 1 Nr 1 SGG aF von der Beklagten verlangte. Das Rechtsmittel war aber nach § 150 Nr 2 SGG aF ausnahmsweise zulässig, weil der Kläger einen wesentlichen Mangel im Verfahren des SG-Verfahrens gerügt hat. Dieses Gericht hat seinen Anspruch auf die Gewährung von rechtlichem Gehör dadurch verletzt, daß es das von dem Kläger selbst vorgelegte Urkundenmaterial und seinen Vortrag nicht zur Kenntnis nahm, sondern sein Urteil vielmehr ausschließlich auf den Arbeitsvertrag und Teile der damit zusammenhängenden Provisionsvereinbarung stützte.

Dem Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫; §§ 62 und 128 Abs 2 SGG) entspricht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Verpflichtung des Gerichts, Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 11, 218, 220; 14, 320, 323; 18, 380, 383; 22, 267, 273; 42, 364, 367; vgl auch BSG SozR 1500 § 160 Nr 31). Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Gerichte dieser Pflicht nachgekommen sind (BVerfGE 40, 101, 104; 47, 182, 187). Es besteht auch keine Verpflichtung, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist deshalb nur anzunehmen, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, daß das Gericht seine Verpflichtung nicht erfüllt hat (BVerfGE 27, 248, 251; 42, 364, 368; 47, 182, 188). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben:

Das Gericht ist nur deshalb davon ausgegangen, daß der Kläger ausschließlich für eine einzige Gesellschaft tätig werden und von dieser Provision beziehen sollte, weil es ebenfalls vorgelegte bzw beigefügte Urkunden nicht verwertet hat. Mit den vom SG angenommenen Voraussetzungen stimmen Urkunden, welche zu den Akten gelangt sind, nicht überein, insbesondere die Aktennotiz vom 24. Januar 1983 (Bl 60 der SG-Akten), das Schreiben der R und V. -

KG vom 21. März 1983 (Bl 83 der SG-Akten) sowie die Tatsache, daß die Arbeitgeberin des Klägers in einem Schreiben vom 21. März 1983 (Bl 85 der SG-Akten) die mit dem Herrn P. geschlossenen Verträge auf sich bezog. Hätte das SG das Vorbringen der Beteiligten in gehörigem Umfang zur Kenntnis genommen, wäre es zu der Erkenntnis gelangt, daß die Verträge des Klägers komplexer als geschehen auszudeuten waren. Auf der mangelhaften Aktenverarbeitung beruht das angefochtene Urteil. Dieser Mangel im Verfahren vor dem SG wird von der Rüge und dem Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz, insbesondere in seinem Schriftsatz vom 3. November 1989, umfaßt. Aus diesem Grunde brauchte der erkennende Senat nicht zu überprüfen, ob die Verletzung des rechtlichen Gehörs auch in den Umständen zu erblicken ist, welche in dem angefochtenen Urteil des LSG dargelegt sind. Denn dem Senat erscheint durchaus zweifelhaft, daß das SG in dem Verfahren zu erkennen geben mußte, auf welchen Gesichtspunkten es sein Urteil aufbauen wollte.

Da das LSG demgemäß zu Recht eine Entscheidung in der Sache selbst getroffen hat, hatte der erkennende Senat die sachliche Richtigkeit des Berufungsurteils zu überprüfen. Das Begehren des Klägers ist auf die Gewährung eines höheren Kaug für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai 1983 gerichtet. Sein Begehren ist nach § 141b Abs 1 AFG nur begründet, wenn der Kläger für diesen Zeitraum noch einen offenen und durchsetzbaren (vgl BSG SozR 3-4100 § 141a Nr 1; BSGE 59, 107, 109) Anspruch auf Arbeitsentgelt hat. Das ist nicht der Fall.

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß ein solcher Anspruch deshalb nicht mehr besteht, weil der Kläger auch für diesen Zeitraum das ihm zustehende Arbeitsentgelt aufgrund des vor dem LAG Frankfurt/Main am 27. April 1988 geschlossenen Vergleichs zu beanspruchen und erhalten hat. Die Rechtsauffassung des LSG ist zutreffend. Dies ergibt sich freilich nicht unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung. Hiernach setzt ein Anspruch auf Kaug nur voraus, daß der Arbeitsentgeltanspruch im Insolvenzzeitpunkt (§ 141b iVm Abs 3 AFG) bzw bei Antragstellung (§ 141d Ab s 1 iVm § 141k, § 141m AFG; hierzu BSGE 59, 107, 109) noch nicht erfüllt ist. Der Kaug-Anspruch entfällt jedoch auch dann, wenn der Arbeitgeber noch danach den Anspruch auf Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer gegenüber erfüllt und dies der BA als nunmehriger Anspruchsinhaberin (§ 141m Abs 1 AFG) gegenüber wirksam ist (bei Unkenntnis des Arbeitgebers vom Forderungsübergang: § 412 iVm § 407 BGB bzw bei Genehmigung durch die BA: § 362 Abs 2 iVm § 185 Abs 2 Satz 1 BGB). Denn damit ist keine andere Vermögenslage hergestellt als sie bei Zahlung vor den og Zeitpunkten bestünde.

Der streitige Kaug-Anspruch entfällt also, wenn der im arbeitsgerichtlichen Verfahren abgeschlossene Vergleich (ua) die Arbeitsentgeltansprüche des Kaug-Zeitraums umfaßt und damit erledigt hat. Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Anhaltspunkte dafür, daß der Konkursverwalter die Vergleichssumme von 360.000,-- DM nicht gezahlt hat, bestehen nicht; ebensowenig ist ersichtlich, daß dieser Betrag in einem Mißverhältnis zu den durch im Vergleich geregelten Ansprüchen stünde.

Bei der Auslegung des Vergleichs vom 27. April 1988 hat der erkennende Senat diejenigen Regeln und Auslegungsregeln zu beachten, welche in der Revisionsinstanz anzuwenden sind. Dabei hat der Senat in erster Linie von § 163 SGG auszugehen, wonach das Bundessozialgericht (BSG) an die in dem Urteil des Berufungsgerichts getroffenen Feststellungen gebunden ist, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. In diesem Rahmen hat der erkennende Senat ferner vorab zu berücksichtigen, daß ein Prozeßvergleich, wie er hier geschlossen worden ist, insofern eine Doppelnatur hat, als in ihm eine prozeßbeendende Prozeßhandlung und eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung enthalten ist. Soweit der Inhalt eines Vergleiches eine Prozeßhandlung ist, ist er von dem Revisionsgericht von Amts wegen unbeschränkt und selbständig auszulegen (vgl hierzu BVerwGE 84, 157, 161; mit gewissen Abweichungen BAGE 48, 351, 360). Im vorliegenden Verfahren ist die prozessuale Seite des Vergleichs nicht Gegenstand des Streits. Lediglich der materielle Teil des gerichtlichen Vergleichs vom 27. April 1988 ist hier auszulegen, und zwar wie jede andere private Vereinbarung (vgl BSG Urteil vom 12. Dezember 1979 - 1 RA 71/78).

Soweit das BAG in der genannten Entscheidung eine teilweise abweichende Auffassung vertritt, ist dies hier nicht von Bedeutung. Das BAG hat wegen der besonderen Umstände des damals zu entscheidenden Sachverhaltes angenommen, daß die prozessualen und materiell-rechtlichen Elemente des Prozeßvergleichs "kaum voneinander zu trennen sind" und er inhaltlich daher in vollem Umfang durch das Revisionsgericht nachgeprüft werden konnte. Solche Umstände sind hier nicht gegeben, so daß der Senat von den Regeln auszugehen hat, welche für die Überprüfung von materiell-rechtlichen Vereinbarungen in der Revisionsinstanz gelten (vgl hierzu insbesondere BVerwGE 84, 157, 161/162).

Das Revisionsgericht darf die Würdigung eines Vertrages durch ein Tatsachengericht nur bezüglich der Rechtsanwendung, also daraufhin prüfen, ob dieses Gericht die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFHE 156, 103, 106/107; 162, 464, 468; 163, 87, 88; 164, 279, 283; BAGE 48, 351, 358; 56, 326, 333; BVerwG NVwZ 1982, 196 f; BGH NJW-RR 1991, 562, 563). Dabei hat es die in den Urteilen der Tatsacheninstanzen getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu beachten. Nur den Tatsachengerichten obliegt es zB, den Willen der Vertragsparteien festzustellen (s ua BFHE 160, 1, 4; BVerwGE 48, 157, 162; BVerwG NVwZ aaO; s aber zur Auslegung des objektiven Gehalts einer Willenserklärung BFHE 128, 299, 302). Auch insoweit sind dem Revisionskläger daher nur im Rahmen des § 163 SGG Einwendungen gegen die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Vorgerichts gegeben. Anders verhält es sich, wenn das Tatsachengericht die von ihm selbst festgestellten tatsächlichen Umstände nicht vollständig verwertet. Dann hat das Revisionsgericht sie in die Rechtsanwendung einzubeziehen (BFHE 160, 1, 4; s aber BFHE 156, 103, 107). Lediglich das darüber hinausgehende Vorgehen der Tatsachengerichte, nämlich die Anwendung der gesetzlichen Auslegungsregeln, an erkannter Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften ist - wie gesagt - Teil der Rechtsanwendung dieses Gerichtes und in diesem Rahmen von dem Revisionsgericht vollinhaltlich zu überprüfen (s ua BFHE 163, 87, 88). An dies en rechtlichen Bedingungen wird dadurch nichts geändert, daß die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ihrerseits auf Wertungen beruhen können. Diese Wertungen sind nicht Rechtsanwendung, sie erfolgen vielmehr im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung, bei den Sozialgerichten also gemäß § 128 SGG.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Revisionskläger die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gemäß § 163 SGG angefochten. Von ihnen hat der Senat daher auszugehen.

Das LSG hat in seinem Urteil (insbesondere S 16) festgestellt, daß die am Vergleich beteiligten Parteien den Willen hatten, sämtliche Ansprüche zu erledigen, die sich auf den Zeitraum vom 1. Januar 1983 bis zum 30. Juni 1986 bezogen. Dies hat das Gericht einerseits aus dem Wortlaut des Vergleichs und andererseits aus sonstigen Beweisanzeichen geschlossen. Dabei hat es insbesondere berücksichtigt, daß in dem Wortlaut des Abfindungsvergleichs der Kaug-Zeitraum von der darin vereinbarten allgemeinen Regelung nicht ausgenommen worden ist. Die hiergegen in dem Revisionsverfahren vorgebrachten Einwendungen beschränken sich auf eine anderweitige Auslegung der vom LSG benutzten Beweismittel und Beweisanzeichen. Sie beinhalten keine den Vorschriften des § 163 SGG entsprechende Anfechtung dieser Feststellungen des LSG. Insbesondere zeigt der Kläger nicht auf, welche "Begleitumstände" das LSG außer Betracht gelassen haben soll.

Der Abfindungsvergleich sollte also "sozusagen das letzte Wort" (vgl BVerwGE 84, 157, 162) zwischen den Beteiligten sein. Demzufolge hat der Senat davon auszugehen, daß in dem Vergleich vom 27. April 1988 auch diejenigen Ansprüche des Klägers geregelt worden sind, welche er gegenüber der anderen Vertragspartei in dem hier interessierenden Zeitraum von März bis Juni 1983 hatte.

Das Berufungsgericht und der erkennende Senat haben nicht übersehen, daß es sich bei dem Vergleich vom 27. April 1988 um einen sogenannten Abfindungsvergleich handelt, so daß nicht die gesamte ausgehandelte Summe als Arbeitsentgelt anzusehen ist (s BSG Urteil vom 10. Dezember 1981 - 7 RAr 55/80). Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlaßten Auflösung des Dienstverhältnisses sind in erster Linie diejenigen Zuwendungen, die ein Arbeitnehmer anläßlich und wegen der Auflösung des Dienstverhältnisses erhält. Sie sollen zukünftige Nachteile des Arbeitnehmers ausgleichen. Davon abzugrenzen sind Beträge, die für die Zeit bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden. Auf diese Beträge hat der Berechtigte in der Regel bereits einen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erworben. Es handelt sich insoweit um einen vom Arbeitnehmer bereits erdienten Anspruch (vgl BFHE 164, 279, 282). Selbst wenn man davon ausgeht, daß von dem im Vergleich ausgehandelten Gesamtbetrag nur der kleinere Teil als Arbeitsentgelt zugebilligt worden ist, verstößt es nicht gegen Denkgesetze anzunehmen, daß auch der Kaug-Zeitraum durch den Vergleichsabschluß abgedeckt wurde.

Die Revision geht also mit Recht davon aus, daß es darauf ankommt, was die Parteien mit der in dem Vergleich vom 27. April 1988 gewählten Formulierung gewollt haben. Den Willen der Vertragsschließenden hat das LSG festgestellt. Da es ermittelt und festgestellt hat, daß die Beteiligten am arbeitsgerichtlichen Verfahren alle gegenseitigen Ansprüche erledigen wollten und erledigt haben, kommen demgemäß auch sonstige Ansprüche des Klägers im Rahmen der Kaug-Regelung nicht mehr in Betracht, so daß der Senat weder bezüglich der ausgefallenen Nutzung des firmeneigenen Pkw noch bezüglich der nachträglich geänderten Steuerklasse weitere Überlegungen anzustellen braucht.

Die Revision des Klägers war insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 92

ZIP 1994, 1965

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