Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Aufstockung der bindend zugelassenen Beitragshöhe. Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids. Beschränkung der Revisionszulassung. Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheids. Zustellung des Bescheids. Herstellungsanspruch. Grenzen der Beratungspflicht eines Versicherungsträgers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Freiwillige Beiträge dürfen nicht in einer höheren als der im Nachentrichtungsbescheid zugelassenen Beitragsklasse entrichtet werden, sofern der Nachentrichtungsbescheid bindend ist.

2. Die Bindungswirkung bei einem zugestellten Beitragsbescheid tritt auch dann nach Ablauf eines Monats ein, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung darauf hinweist, daß der Widerspruch innerhalb eines Monats "nach Zustellung" (statt "nach Bekanntgabe") erhoben werden kann.

 

Orientierungssatz

1. Eine Beschränkung der Zulassung der Revision kann sich nur auf abtrennbare Teile des Streitgegenstandes, nicht jedoch auf einzelne Rechtsfragen erstrecken (vgl BSG 1962-04-25 3 RK 21/58 = SozR Nr 170 zu § 162 SGG).

2. § 84 Abs 1 SGG regelt nicht die Form der Bekanntgabe; insbesondere fordert er weder eine Bekanntgabe in der besonderen Form der Zustellung, noch schließt er diese aus. Stellt der Versicherungsträger, was in seinem Ermessen liegt, auch da förmlich zu, wo die formlose Bekanntgabe - etwa in der Form eines einfachen Briefes - genügt hätte, ist es nicht nur folgerichtig, sondern erforderlich, daß in der Rechtsbehelfsbelehrung auf den Zeitpunkt der "Zustellung" für den Beginn der Rechtsbehelfsfrist abgehoben und nicht der ungenaue und mißverständliche Begriff der Bekanntgabe verwendet wird.

3. Ein Herstellungsanspruch besteht, wenn der Versicherungsträger die sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Nebenpflicht zur individuellen Beratung verletzt hat. Diese individuelle Beratungs- und Hinweispflicht hat jedoch Grenzen. Der Versicherungsträger ist von Amts wegen zur Erteilung eines Hinweises nur verpflichtet, wenn ein konkreter Anlaß vorliegt, wenn insbesondere bei der Prüfung eines Antrages Gestaltungsmöglichkeiten zu Tage treten, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig erscheint, daß sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde (vgl BSG 1978-04-25 5 RJ 18/77 = BSGE 46, 124 = SozR 2200 § 1290 Nr 11).

 

Normenkette

SGG § 160 Fassung: 1974-07-30, § 84 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; VwZG § 1 Abs. 3 Fassung: 1952-07-03; SGB 1 § 14; AnVNG Art. 2 § 49a; ArVNG Art. 2 § 51a; SGG § 66 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 18.11.1982; Aktenzeichen L 10 An 1987/80)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 19.06.1980; Aktenzeichen S 14 An 2189/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung in einer höheren Beitragsklasse nachentrichten darf, als die Beklagte im Nachentrichtungsbescheid zugelassen hat.

Die Klägerin hatte am 31. Dezember 1975 gemäß Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) die Nachentrichtung von Beiträgen beantragt. Die Beklagte hatte ihr daraufhin einen Antragsvordruck sowie das von ihr herausgegebene Sondermerkblatt über diese Nachentrichtungsart zugesandt. Die Klägerin konkretisierte mit dem Formblattantrag vom 21. Dezember 1976 sowie - nach Klärung des Umfanges einer früheren Beitragserstattung gemäß § 83 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - durch eine ergänzende schriftliche Erklärung vom 3. März 1978 die zu entrichtenden Beiträge dahin, daß sie für die Zeit nach der Vollendung des 16. Lebensjahres (ab Oktober 1956) bis Dezember 1970 insgesamt 171 Beiträge der Klasse 100 und für die Jahre 1971 bis 1973 insgesamt 36 Beiträge der Klasse 200 zu entrichten beabsichtige. Mit dem Bescheid vom 22. März 1978 stellte die Beklagte fest, daß die Klägerin zur Nachentrichtung in dem beantragten Umfange berechtigt sei, jedoch heißt es bezüglich der Nachentrichtung für die Jahre 1971 bis 1973, die Klägerin könne "36 Beiträge der Klasse 200 zu 18,-- DM = zusammen 1.296,-- DM" entrichten. Die Rechtsbehelfsbelehrung dieses Bescheides lautete dahin, daß die Klägerin gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach seiner "Zustellung" Widerspruch erheben könne. Der Bescheid wurde durch eingeschriebenen Brief zugestellt.

Auf diese Beiträge hat die Klägerin Ende Dezember 1977 1.296,-- DM (= 36 Beiträge der Klasse 200 für die Jahre 1971 bis 1973) entrichtet. Ende 1978 hat sie weitere 864,-- DM mit der - im Überweisungsbeleg enthaltenen - Zweckbestimmung "Nachentrichtung für 1969 und 197024xKlasse200" gezahlt. Die Beklagte hat diese Zahlung als Entrichtung von 48 Beiträgen der Klasse 100 für die Jahre 1967 bis 1970 behandelt.

Mit Schreiben vom 23. Februar 1979 hat die Klägerin sich hiergegen gewandt und ferner unter Hinweis darauf, daß sie für die Zeit von Januar 1971 bis Dezember 1973 Beiträge der Klasse 200 entrichtet habe, erklärt, "dieses auch für die anderen Nachentrichtungszeiten" zu wollen.

Die Beklagte lehnte die Änderung der in dem Bescheid vom 22. März 1978 zugelassenen Beitragsklassen mit den Schreiben vom 31. Mai 1979 und 25. Juni 1979 ab. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 1979 zurück. Mit der Klage hat die Klägerin die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung in der Klasse 200 für die Jahre 1956 bis 1970 begehrt. Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Klage mit Urteil vom 19. Juni 1980 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin beantragt, die "Nachentrichtung freiwilliger Beiträge in der Beitragsklasse 200 und höher ab 31. Dezember 1970 für die davor zurückliegenden Zeiten bis März 1962 zuzulassen". Sie machte in erster Linie geltend, sie könne die Konkretisierung noch ändern, weil der Bescheid vom 22. März 1978 nicht bindend geworden sei. Für die Jahre 1971 bis 1973 sei der Beitragssatz der Klasse 200 mit 18,-- DM statt richtig mit 36,-- DM angegeben. Zudem sei in der Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides auf die Zustellung abgehoben worden. Da aber die Zustellung nicht vorgeschrieben sei, sei auch die Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft, so daß die Anfechtungsfrist hier ein Jahr betragen habe; diese Frist habe sie mit ihrem am 23. Februar 1979 gestellten Antrag auf Änderung der Beitragsklasse gewahrt. Unabhängig hiervon sei ihr Begehren aber auch aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches gerechtfertigt, weil die Beklagte es verabsäumt habe, sie über das aus dem Gesetz nicht ohne weiteres erkennbare Verbot der Aufstockung von Beiträgen zu belehren.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 18. November 1982 die Berufung zurückgewiesen. Es hat angenommen, daß die Klägerin damit, daß sie die Nachentrichtung für die Zeit vor März 1962 nicht mehr erstrebe, ihre Klage geändert habe; insoweit hat es die Klage als unzulässig abgewiesen, weil es an dem erforderlichen Vorverfahren fehle. Im übrigen hat das LSG die Berufung für unbegründet gehalten und hat die Revision "beschränkt auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 22. März 1978" zugelassen.

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision geltend, daß das Rechtsmittel uneingeschränkt statthaft sei, weil die Zulassung nicht auf eine Rechtsfrage habe beschränkt werden dürfen. Bezüglich des Verfahrensgegenstandes sei die Klageänderung schon deshalb zulässig gewesen, weil die Beklagte sich im Berufungsverfahren rügelos auf die geänderte Klage eingelassen und das Gericht darüber auch verhandelt habe. Dementsprechend habe das LSG die Nachholung des Vorverfahrens ermöglichen müssen und mit der Klageabweisung gegen § 112 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen. In der Sache selbst sei das Nachentrichtungsbegehren begründet, weil der Bescheid vom 22. März 1978 im Zeitpunkt des Verlangens auf Nachentrichtung höherer Beiträge noch nicht bindend gewesen sei. In jedem Falle sei das Nachentrichtungsbegehren aber aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches begründet, weil die Beklagte es unterlassen habe, entsprechend § 14 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) die Klägerin individuell darüber zu belehren, daß sie nach dem Eintritt der Bindungswirkung des Nachentrichtungsbescheides die Beitragsklasse nicht mehr habe ändern können.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 1982 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Juni 1980 sowie die Bescheide der Beklagten vom 31. Mai 1979 und 25. Juni 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1979 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung ihres Bescheides vom 22. März 1978 die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge der Beitragsklasse 200 und höher ab 31. Dezember 1970 für die davor zurückliegenden Zeiten bis März 1962 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die Klägerin macht zutreffend geltend, daß auf die - vom LSG beschränkt zugelassene - Revision das angefochtene Urteil in vollem Umfange nachzuprüfen ist. Das LSG hat verkannt, daß eine Beschränkung der Zulassung sich nur auf abtrennbare Teile des Streitgegenstandes, nicht jedoch auf einzelne Rechtsfragen ("Bindungswirkung des Bescheides vom 22. März 1978") erstrecken kann. Da hier der Eintritt der Bindungswirkung des genannten Bescheides nur eine von mehreren entscheidungserheblichen Rechtsfragen ist, ist die vom LSG ausgesprochene Beschränkung der Zulassung unwirksam (Bundessozialgericht -BSG- SozR SGG § 162 Nr 170; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, RdNr 28 zu § 160 mwN).

Entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht hat die Klägerin ihr Klagebegehren im zweiten Rechtszuge nicht geändert. Gemäß § 99 Abs 3 Nr 2 SGG ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, "wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache ... erweitert oder beschränkt wird". Die Klägerin hatte im ersten Rechtszuge die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 200 für die Zeit zwischen dem 1. Januar 1956 und dem 31. Dezember 1970 beantragt. Dieses Begehren hat sie im zweiten Rechtszuge insofern beschränkt, als sie die Zulassung zur Nachentrichtung nur noch für die Zeit zwischen dem 1. März 1962 und dem 31. Dezember 1970 gefordert hat; zugleich hat sie ihr Begehren dahin erweitert, daß sie nunmehr zur Entrichtung höherer Beiträge als der Klasse 200 zugelassen werden will. Beide Änderungen betreffen nur den Klageantrag, ohne daß gleichzeitig der Klagegrund geändert worden ist. Demgemäß liegt dieser Fall auch anders als der, über den der Senat in dem vom LSG angeführten Urteil vom 17. März 1981 (12 RK 8/80) entschieden hat; in dieser Sache hatte der Senat die Notwendigkeit einer gesonderten (Ermessens-)Entscheidung des Versicherungsträgers nur für ein mit einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse begründetes, rechtlich eigenständiges Verlangen auf Herabsetzung der Beitragsklasse von bindend festgestellten Nachentrichtungsbeiträgen bejaht. Entscheidungsgegenstand des Berufungsverfahrens war hier mithin die Befugnis der Klägerin zur Nachentrichtung höherer Beiträge für die Zeit von März 1962 bis Dezember 1970, als in dem Bescheid vom 22. März 1978 antragsgemäß zugelassen worden sind.

Dieses Begehren ist unbegründet. Die Klägerin kann ihr Verlangen auf Zulassung zur Nachentrichtung höherer Beiträge insbesondere nicht darauf stützen, daß der Bescheid vom 22. März 1978 im Zeitpunkt der Geltendmachung dieses Begehrens (Überweisungsbeleg vom Dezember 1978 und Schreiben vom 23. Februar 1979) noch nicht bindend gewesen und die Klägerin deshalb ausnahmsweise noch zur Erhöhung der zu entrichtenden Beiträge befugt gewesen sei (vgl erkennender Senat, Urteile vom 22. Februar und 27. März 1980, BSGE 50, 17 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36 und ebenda Nr 38). Denn dieser Bescheid war im Zeitpunkt der Geltendmachung des Erhöhungsbegehrens bereits bindend. Die dem Bescheid beigegebene Rechtsbehelfsbelehrung war richtig, so daß mit der Zustellung dieses Bescheides durch eingeschriebenen Brief die Widerspruchsfrist des § 84 Abs 1 SGG ("binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgeben worden ist") in Lauf gesetzt worden ist. Zwar ist in § 84 Abs 1 SGG auf die Bekanntgabe des anzufechtenden Bescheides abgehoben. Die Vorschrift regelt jedoch nicht die Form der Bekanntgabe; insbesondere fordert sie weder eine Bekanntgabe in der besonderen Form der Zustellung, noch schließt sie diese aus (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 4 zu § 84 SGG: die Form der Bekanntgabe sei dem jeweils maßgebenden Recht zu entnehmen). Für den Bereich der Beklagten ist insoweit das Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) maßgebend. Nach dessen § 1 Abs 3 ist zuzustellen, soweit dies durch Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung bestimmt ist. Eine behördliche Anordnung in diesem Sinne kann dabei nicht nur eine entsprechende allgemeine Verwaltungsanweisung (wie sie anscheinend bei der Beklagten besteht) sein; die Zustellung kann vielmehr auch für den Einzelfall wegen besonderer Umstände angeordnet werden (Kohlrust-Eimert, Das Zustellungsverfahren nach dem Verwaltungszustellungsgesetz, Anm 3 zu § 1; vgl ferner Allgemeine Verwaltungsvorschriften zum VwZG Nr 3). Stellt also der Versicherungsträger, was in seinem Ermessen liegt, auch da förmlich zu, wo die formlose Bekanntgabe - etwa in der Form eines einfachen Briefes - genügt hätte, ist es nicht nur folgerichtig, sondern erforderlich, daß in der Rechtsbehelfsbelehrung auf den Zeitpunkt der "Zustellung" für den Beginn der Rechtsbehelfsfrist abgehoben und nicht der ungenaue und mißverständliche Begriff der Bekanntgabe verwendet wird (vgl Meyer-Ladewig RdNr 8 zu § 66 SGG mwN). Soweit der erkennende Senat in dem Urteil vom 27. März 1980 - 12 RK 61/79 - hiervon abweichend ausgeführt hat, eine Rechtsbehelfsbelehrung, die entgegen dem Wortlaut des § 84 SGG (Bekanntgabe) auf die "Zustellung" hinweise, sei unrichtig, wird hieran zumindest für den Fall nicht festgehalten, daß die Zustellung, wie hier, fehlerfrei erfolgt ist (in dem früheren Falle war der Bescheid fehlerhaft nicht dem Bevollmächtigten zugestellt worden). Demgemäß entspricht die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 22. März 1978 den gesetzlichen Erfordernissen des § 84 Abs 1 SGG, so daß die Verlängerung der Anfechtungsfrist auf ein Jahr (§ 66 Abs 2 SGG) nicht in Betracht kommt.

War der genannte Bescheid aber bereits bindend, als die Klägerin erstmals eine Änderung (Erhöhung) der Beitragsklasse begehrte (Ende 1978), so ist die Klägerin nicht befugt, für die streitige Zeit höhere Beiträge, als in dem Bescheid zugelassen worden sind, dh höhere Beiträge als in der Klasse 100, zu entrichten.

Schließlich läßt sich die von der Klägerin begehrte Erhöhung der Beiträge der Klasse 100 auf die Klasse 200 auch nicht damit begründen, daß die Beklagte wegen Verletzung von Beratungs- oder Belehrungspflichten zur nachträglichen Zulassung dieser Erhöhung verpflichtet wäre. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ein sog. Herstellungsanspruch in Fällen dieser Art nur dann besteht, wenn der Versicherungsträger die sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Nebenpflicht zur individuellen Beratung verletzt hat (BSGE 41, 126, 127 mwN). Diese individuelle Beratungs- und Hinweispflicht hat jedoch Grenzen. Der Versicherungsträger ist von Amts wegen zur Erteilung eines Hinweises nur verpflichtet, wenn ein konkreter Anlaß vorliegt, wenn insbesondere bei der Prüfung eine Antrages Gestaltungsmöglichkeiten zu Tage treten, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig erscheint, daß sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde (BSGE 41, 126; BSGE 46, 124 = SozR 2200 § 1290 Nr 11).

Aufgrund der vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die von der Revision nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen worden sind und an die das Revisionsgericht deshalb gebunden ist (§ 163 SGG), müssen die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruches für den Fall der Klägerin verneint werden. Die Klägerin hat bei der Beklagten die Nachentrichtung von Beiträgen in bestimmten, von ihr genau bezeichneten Beitragsklassen beantragt, und darüber keine nähere Beratung gewünscht. Daß die Klägerin rechtsirrig angenommen hat, sie könne nach Erteilung eines - ihrem Antrag entsprechenden - Bescheides und nach Ablauf der Widerspruchsfrist gegen diesen Bescheid noch jederzeit Beiträge in einer höheren Beitragsklasse nachentrichten, war, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, für die Beklagte nicht erkennbar. Die Beklagte hatte auch vor Erteilung ihres Bescheides keinen Anlaß anzunehmen, die Klägerin habe ihren Nachentrichtungsantrag für die Zeit vor 1970 nur versehentlich auf Beiträge der Klasse 100 beschränkt; die Beklagte konnte vielmehr davon ausgehen, daß die der Klägerin zur Verfügung stehenden Mittel nur eine Nachentrichtung in der niedrigsten Beitragsklasse zuließen und daß ihr lediglich für die - zunächst zu belegenden - Jahre 1971 bis 1973 eine Nachentrichtung in der Klasse 200 wirtschaftlich möglich war. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kommt mithin nicht als Grundlage für die von der Klägerin erstrebte nachträgliche "Aufstockung" der Beitragsklasse in Betracht, so daß ihre Revision mit der aus der Urteilsformel ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654459

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