Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.01.1960)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 1960 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der im Jahre 1913 geborene Ehemann der Klägerin, der als Kraftfahrer bei der Preußischen Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft, Steinkohlenbergwerke Ibbenbühren, Schacht Oeynhausen, beschäftigt war, nahm am Sonntag, den 20. Juni 1954 zusammen mit Arbeitern und Angestellten der Betriebsabteilung Magazin an einer eintägigen Fahrt mit dem „Samba-Expreß” der Deutschen Bundesbahn nach Borkum teil. Am Ausflug beteiligte sich auch die Klägerin. Auf der Rückfahrt stürzte der Ehemann der Klägerin auf dem Gang zur Toilette aus dem fahrenden Zug und wurde tödlich verletzt.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente durch Bescheid vom 30. September 1954 mit der Begründung ab, der Ausflug habe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) gestanden, weil er nicht vom Betrieb veranstaltet, sondern von den Arbeitskameraden auf eigene Rechnung unternommen worden sei.

Die von der Klägerin am 30. Oktober 1954 erhobene Klage wurde durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Münster vom 16. November 1956 als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin legte gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 9. Januar 1957 zugestellte Urteil am 17. Januar 1957 erfolglos Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hielt in seinem Urteil vom 28. Januar 1960 eine unfallversicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung nicht für gegeben. Es sei schon äußerst zweifelhaft, ob der Unternehmer die Fahrt gefördert habe; dies sei jedenfalls nicht bereits dadurch geschehen, daß er die Vorbereitung des Ausflugs durch die Zeugen B. und Sch. während der Dienststunden geduldet habe. Die Werksleitung habe auch keinen Zuschuß geleistet, die Finanzierung sei einzig durch vorherige freiwillige Beiträge der Teilnehmer zu einer Gemeinschaftskasse erfolgt, Versicherungsschutz müsse schließlich deshalb verneint werden, weil die Veranstaltung nicht von der Autorität des Unternehmens getragen worden sei. Denn der Veranstaltungsleiter habe nicht im Einvernehmen mit dem Unternehmer gehandelt Aus den Zeugenaussagen und der schriftlichen Erklärung der Betriebsvertretung vom 26. Juni 1958 ergebe sich allenfalls, daß die Fahrt mit Wissen und Billigung der Betriebsleitung durchgeführt worden sei. Darin allein liege aber kein stillschweigender Auftrag an den Leiter der Fahrt, die Veranstaltung für den Unternehmer durchzuführen. Fehle es aber an einem Auftrag der Betriebsleitung, so stehe deren Autorität nicht hinter der betreffenden Veranstaltung. Die Fahrt nach Borkum sei auch nicht als Ersatz für das Bergfest anzusehen, denn die Kraftfahrer seien jeweils nur an einem Tag wegen ihres Fahrdienstes verhindert gewesen, am Bergfest teilzunehmen und hätten, auch soweit eine Teilnahme nicht stattgefunden habe, die gleiche Anzahl Wertmarken erhalten, wie die übrigen Betriebsangehörigen. Daß. die Fahrt nach Borkum nicht Ersatz für das Bergfest gewesen sei, ergebe sich auch aus der Sonderbehandlung der Grubenwehr, für die eine besondere Veranstaltung von der Werksleitung durchgeführt werde, bei der den Teilnehmern keine Kosten entstehen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 31. Mai 1960 zugestellte Urteil am 25. Juni 1960 unter Antragstellung. Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 19. Juli 1960 damit begründet, daß die Fahrt entgegen der Ansicht des LSG doch von der Betriebsleitung gefördert worden sei. Die Förderung sei darin zu erblicken, daß die Kraftfahrer, obwohl sie nur für einen Tag am Bergfest teilnehmen konnten, doch für zwei Tage Verzehrmarken erhalten haben. Diese Marken hätten sie zwar einlösen müssen, aber nicht an einem Tag des Bergfestes verzehrt. Diese Bereicherung sei für die Sonderfahrt nach Borkum verwendet worden. Wenn das LSG den Sachverhalt weiter aufgeklärt hätte, hätte es feststellen müssen, daß die Reisekosten für die Fahrt nach Borkum sich praktisch mit dem Betrag gedeckt hätten, den die Kraftfahrer an Wertmarken für das Bergfest zu viel hatten.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils vom 28. Januar 1960 und Abänderung des Urteils des SG Münster vom 16. November 1956 die Beklagte zu verurteilen, eine Hinterbliebenenrente an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt weiter aus, daß entgegen der mit der Revision vertretenen Auffassung ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht oder die Denkgesetze nicht vorliege. Die neue Behauptung der Klägerin, die Bereicherung aus den Wertmarken sei für die Fahrt nach Borkum verwendet worden und habe sich mit den Unkosten dieser Fahrt gedeckt, sei so entlegen, daß keine Tatsacheninstanz von sich aus hätte darauf kommen können. Man könne auch nicht annehmen, daß es die Absicht des Betriebes gewesen sei, durch die Ausgabe der Wertmarken die eindeutig für das Bergfest bestimmt gewesen seien, auf diese Art. und Weise eine spätere Vergnügungsfahrt unterstützen zu wollen. Überdies rechtfertige sich selbst bei Unterstellung des so unwahrscheinlichen neuen Sachvortrages nicht die Annahme, daß darin eine mittelbare Förderung der Fahrt nach Borkum liege.

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und mithin zulässig, denn die Klägerin hat gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 31. Mai 1960 zugestellte Urteil am 25. Juni 1960 formgerecht unter. Antragstellung Revision eingelegt und diese innerhalb der Revisionsbegründungsfrist am 25. Juni und 20. Juli 1960 begründet (§ 164 Abs. 1 SGG).

Die Begründetheit der Revision hängt davon ab, ob die Fahrt des Ehemannes der Klägerin nach Borkum vom 20. Juni 1954 als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung unter dem Schutz der gesetzlichen UV stand und deshalb sein Tod als ein Arbeitsunfalls im Sinne des § 542 RVO aF anzusehen ist.

Die Rechtsprechung und Praxis haben seit jeher nicht jedem gemeinsamen außerbetrieblichen Zusammensein von Betriebsangehörigen den Unfallversicherungsschutz zugebilligt, sondern mit Recht strenge einschränkende Erfordernisse aufgestellt, um zu gewährleisten, daß keine unzulässige Ausweitung jener an sich für andere Ereignisse gedachten Versicherung Platz greift.

Mit dem früheren Reichsversicherungsamt (RVA) und dem 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG), der dessen Rechtsprechung fortgeführt und weiter gestaltet hat (vgl. insbesondere BSG 1, 179 ff, 7, 249 ff und 17, 62 ff) stehen, wie das LSG mit Recht ausgeführt hat, betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen dann unter dem Schutz der gesetzlichen UV, wenn der Betriebsleiter sie veranstaltet oder billigt und fördert, seine Autorität sie trägt, er selbst anwesend ist oder sich durch einen Beauftragten vertreten läßt, alle Betriebsangehörigen oder die Angehörigen eines bestimmten Betriebsteiles, wenn auch ohne Teilnahmepflicht daran teilnehmen sollen und die Veranstaltung der Pflege der Betriebsverbundenheit dient. Stets muß sich klar abheben, daß die, Veranstaltung – zum mindesten auch – in erheblichem Umfang den wohlverstandenen Betriebsinteressen selbst dient bzw. ihnen nutzbar gemacht wird. Dabei reicht es jedenfalls nicht aus, daß Betriebsangehörige untereinander gesellig beisammen sind. Die Veranstaltung muß vielmehr gerade auch dazu bestimmt sein, die Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft zu fördern.

An allen diesen besonderen Merkmalen fehlt es im vorliegenden Fall, wie das LSG zutreffend klargestellt hat.

Das LSG hat den Anspruch hauptsächlich deshalb abgelehnt, weil die Veranstaltung nach den tatsächlichen Feststellungen nicht von der Autorität des Unternehmers getragen worden sei. Dieser Abgrenzung des Begriffs einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung ist zuzustimmen. Eine Veranstaltung ist dann von der Autorität des Unternehmers getragen, wenn der Veranstalter dabei nicht oder nicht nur aus eigenem Antrieb und freier Entschließung, sondern im Einvernehmen mit dem Unternehmer und für diesen oder die Betriebsvertretung handelt. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Wie sich aus den insoweit nicht angegriffenen und daher für das BSG bindenden Feststellungen des LSG ergibt, haben der Abteilungsleiter B. und der Garagenmeister Sch. in deren Händen die Leitung der Fahrt lag, nicht im Auftrage der Betriebsleitung gehandelt. Denn die Betriebsleitung hat weder zur Fahrt nach Borkum angeregt noch die Durchführung angeordnet. Auch aufgrund eines Beschlusses des Betriebsrats, der gewählten Vertretung der Arbeitnehmer des Betriebs, war der Ausflug nicht veranstaltet worden. Die Fahrt ist vielmehr vornehmlich durch die Kraftfahrer angeregt worden, die durch ihre abweichende Arbeitszeiteinteilung verhindert waren, an beiden Tagen des zweitägigen Bergfestes mitzufeiern.

Die Fahrt ist zwar mit Wissen und Billigung der Werksleitung durchgeführt worden; das Einvernehmen der Leitung war aber nur deshalb erforderlich, weil dadurch bei einzelnen Teilnehmern der Sonntagsdienst beeinträchtigt wurde und die Arbeitszeit anders gelegt werden mußte. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, bedeutet dieses Entgegenkommen des Arbeitgebers noch nicht einen stillschweigenden Auftrag an den Leiter der Fahrt, die Veranstaltung für den Unternehmer durchzuführen.

Auch aus der Tatsache, daß die Kraftfahrer an einem Tag verhindert waren, am Bergfest teilzunehmen, läßt sich nicht schließen, daß die Fahrt nach Borkum als betriebliche Ersatzveranstaltung anzusehen wäre. Dies wäre der Fall gewesen, wenn die Betriebsleitung, wie z. B. bei der Grubenwehr, zu einer besonderen Fahrt eingeladen und etwa auch einen Teil der Kosten getragen hätte.

Die Kraftfahrer hatten anläßlich des Bergfestes die gleiche Menge Wertmarken zur freien Verwendung erhalten wie die übrigen Betriebsangehörigen. Sie waren damit wirtschaftlich genauso gestellt wie alle anderen Festteilnehmer. Wann und wie die einzelnen Belegschaftsangehörigen an den Festtagen die Marken verwerteten, stand völlig in ihrem Belieben.

Auch dieser Umstand spricht gegen eine Förderung des späteren Ausflugs durch den Arbeitgeber. Wenn die Betriebsleitung tatsächlich beabsichtigt hätte, mit den nicht anläßlich des Bergfestes verwendeten Wertmarken die Sonderfahrt nach Borkum zu finanzieren, dann hätten die Marken entweder auch für den Ausflug gelten oder die Betriebsleitung hätte den Kraftfahrern den Geldwert der Wertmarken vergüten müssen. Die Auffassung, durch jene für das Bergfest ausgegebene. Wertmarken habe der Arbeitgeber für dem Betrieb angehörende Kraftfahrer, wie dem Ehemann der Klägerin, die Teilnahme an der mit dem Fest nicht zusammenhängenden Sambafahrt fördern wollen, ist zu fern gelegen, als daß sich nach ihr das Vorliegen einer unfallgeschützten betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung begründen ließe. Eine gewollte betriebliche Finanzierung anderer Vorhaben (insbesondere der Sambafahrt) durch den Betrieb kann jedenfalls auch für diejenigen Belegschaftsmitglieder, die – aus welchem Grunde auch immer – an dem Bergfest gar nicht oder nur teilweise teilnahmen, in jener betrieblichen Unterstützung gelegentlich des Bergfestes nicht gesehen werden. Eine weitere Aufklärung in dieser Hinsicht ist aber, da es für die Entscheidung weder auf die Höhe des Wertes der Marken noch auf die den Teilnehmern durch die Sambafahrt entstandenen Kosten nicht ankommt, nicht erforderlich.

Das LSG hat entgegen der Auffassung der Klägerin den sachlich-rechtlichen Begriff der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung nicht enger gezogen, als dies die bisherige Rechtsprechung in AN 1913, 636 Nr. 2646, EuM 41, 469, BSG 1, 179, 7, 249 und 17, 280 getan hat. Die Sonderfahrt nach Borkum stand nicht unter dem Schutz der gesetzlichen UV, der Ehemann der Klägerin ist also nicht durch einen Arbeitsunfall (§ 542 RVO aF), sondern durch ein der privaten Sphäre zuzurechnendes Ereignis zu Tode gekommen. Die Revision der Klägerin war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Fechner, Dr. Ecker, Dr. Schwankhart

 

Fundstellen

Dokument-Index HI929588

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